Linke Militanz und Antisemitismus in heterogenen Jugendmilieus: Analyse – Zugänge – Maßnahmen
Hintergrund: Antisemitismus unter Linken ist ein oftmals unterschätztes Phänomen. Gleichzeitig gehen Teile des linken Spektrums selbst gegen linke Militanz und Antisemitismus vor. Judenfeindlichkeit in seinen verschiedenen Erscheinungsformen – vor allem im Gewand des Antizionismus oder vermeintlich legitimer „Israelkritik“ – stellt spätestens seit Ende der 1990er Jahre eine entscheidende Konfliktlinie innerhalb des linksradikalen Spektrums dar. Ein Teil der radikalen Linken bricht offen mit der traditionellen antiimperialistischen Linken, problematisiert deren Antizionismus und Antisemitismus und charakterisiert sich durch ihre öffentlich artikulierte Solidarität mit Israel.
Die Modellhaftigkeit und Innovationskraft des Präventionsvorhabens lag daher darin, dass entlang dieser Konfliktlinie nicht gegen die Linke, sondern aus einem Teil der radikalen Linken selbst heraus präventiv gegen linke Militanz und Antisemitismus vorgegangen wurde. Methodisch-innovativ war das Vorhaben, weil erstmals auf der Basis lokaler empirischer Befunde und durch Studierende Zugänge zur linken Szene eröffnet wurden.
Forschungsfragen: In vergleichender Perspektive wurde danach gefragt, wie verbreitet welche Formen von Antisemitismus (manifester, latenter, sekundärer und israelbezogener) unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Rhein-Ruhr-Region mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Einstellungen, Glaubensformen, Selbstdeutungen und Wertorientierungen sind. Gibt es Antisemitismus unter Linken? Und falls ja: Für welche Formen sind Linke im Vergleich zu anderen Gruppen besonders anfällig? Spielen dabei eher Religionszu- und Staatsangehörigkeit sowie Migrationshintergrund oder die Radikalität der politischen Orientierung, spezifische Glaubensformen, persönliche Selbstdeutungen und Wertorientierungen eine Rolle? Mit anderen Worten: Kommt es eher darauf an, ob man Deutscher, Christ und Muslim ist oder nicht ist, oder nicht doch eher darauf, ob man Theist, Soziotheist oder Atheist bzw. Humanist, Sozialist und Naturalist ist? Welche Verbindungen bestehen zwischen gesellschaftspolitischer Orientierung und religiösen Werteorientierungen, säkularen Selbstdeutungen, Lebensgeschichten und Erfahrungen vor Ort? Welche Mittel und Wege werden als legitim angesehen, um bestimmte Ziele zu erreichen?
Methodik: Ausgehend von einer Sekundäranalyse quantitativer, selbst erhobener Daten wurden zunächst in einer Feld- und Diskursanalyse Schriften (Flyer, Liedtexte, in sozialen Netzwerken) und Programmatiken linker Gruppen analysiert, um das Ideologie- und Gefährdungspotential einzuschätzen. Zudem wurden Interviews und Kleingruppengespräche mit Studierenden und Repräsentanten linker Parteien und Gruppierungen geführt und analysiert. Befragt wurden vornehmlich links-affine, religiös wie säkular orientierte Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Zuwanderungsgeschichte.
Ergebnisse/Ausblick: Die Sekundäranalyse der unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen vom RISP in der Region durchgeführten quantitativen Erhebung „Religion & Kultur an Rhein & Ruhr“ hat ergeben, dass Antisemitismus Bestandteil vieler, vielleicht sogar aller Glaubensformen, Selbst- und Weltdeutungen sein kann, aber nicht muss. Am wenigsten anfällig für die Ausgrenzung von Juden sind übrigens Atheisten, am gefährdetsten Soziotheisten, also Menschen, die exklusiv an einen Gott für ihr Volk glauben, und Rechtsextremisten. Israelbezogener Antisemitismus ist indes – in der Reihenfolge der Aufzählung – unter jungen Soziotheisten, Muslimen, Linken und Frauen verbreiteter als unter Rechten, Männern, Atheisten und Christen. Basierend auf den Erkenntnissen wurden zudem gemeinsam mit Studierenden der UDE Maßnahmen zu Radikalisierungsprävention entwickelt und erprobt. Durchgeführt wurden Peer-to-Peer-Coachings für Studierende, Fortbildungen für das lokale Community-Education Netzwerk zur Radikalisierungsprävention und überregionale Multiplikatorenschulungen.
Wissenschaftliche Kooperationspartnerin dieses Modellprojekts ist die Universität Duisburg-Essen. Die Projektleitung dort hat Frau Prof. Dr. Susanne Pickel.