Der Verbreitungsgrad islamistischer Orientierungsmuster und die Bedeutung islamistischer Gruppierungen bei der Rekrutierung junger Muslime in Deutschland

Autor/en: Schweer, Thomas / Zdun, Steffen

Erschienen in: RISP-Texte 1/2005

Erscheinungsort: Duisburg

Erschienen: Januar 2005

Seit dem 11. September 2001 hat die Angst vor terroristischen Anschlägen islamistischer Organisationen auch in der bundesdeutschen Bevölkerung deutlich zugenommen. Nach offiziellen Angaben sei die Sicherheitslage unverändert, und es bestehe kein Grund zur Panik, da keine konkreten Hinweise auf Anschläge vorlägen, gleichwohl gelte Deutschland als potenzielles Zielgebiet für Terroranschläge.

Die latente Gefahr wird u.a. vor dem Hintergrund der Eröffnung eines Terrorismusabwehrzentrums mit Sitz in Berlin im Dezember 2004 deutlich. In der Kooperation von Spezial- und Analyseeinheiten des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz beschäftigt sich ein Expertenteam unter Einbindung des Bundesnachrichtendienst, der Kriminal- und Verfassungsschutzämter der Länder, des Bundesgrenzschutzes, des Zollkriminalamtes und des Militärischen Abschirmdienstes nach Aussagen von Innenminister Schily mit folgenden Aspekten: „Gefährdungsbewertung, operativer Informationsaustausch, Fallauswertung, Strukturanalysen, Aufklärung des islamistisch-terroristischen Personenpotenzials sowie Ressourcenbündelung“ (Bundesministerium des Innern 2004b). Von diesem Zentrum verspricht sich der Minister „einen erheblichen Qualitätssprung“, den er „in der Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ als notwendig erachtet.

Die Bedrohung der Bundesrepublik durch terroristische Attentate steht im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Islamismus in Deutschland, der nicht mit dem Islam zu verwechseln ist. Der Islam ist eine Weltreligion, von der prinzipiell keine Gefahr ausgeht. Bedenklich ist jedoch, dass die Islamisten ihre Auslegung des Islams mit politischen Absichten verbinden.

Die Islamisten suchen ihre Anhänger vorzugsweise in den Gettos der Großstädte, in die sich die islamische Bevölkerung zunehmend zurückzieht. Die Ursachen für dieses Rückzugsverhalten liegen neben (multiplizierten) Diskriminierungserfahrungen durch die Einheimischen u.a. in den fehlenden Chancen und Perspektiven auf dem Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnungsmarkt begründet. Gerade junge Muslime fühlen
sich zwischen den Kulturen hin- und hergerissen. Diese Schwierigkeiten instrumentalisieren die in Deutschland ansässigen islamistischen Gruppierungen, um die Zahl ihrer Mitglieder und Sympathisanten zu vergrößern. Einerseits bieten diese Organisationen Freizeit- bzw. Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Muslime an, die diesen ansonsten nicht zur Verfügung stünden. Andererseits versuchen sie, das Stimmungsbild der islamischen Bevölkerung in Deutschland über eigene Medien und Koranschulen zu prägen. Durch eine möglichst starke Bindung der Muslime an diese Gruppierungen soll eine Parallelgesellschaft entstehen und die Einflussnahme der Mehrheitsgesellschaft sowie der laizistisch denkenden Muslime auf die eigene Anhängerschaft eingeschränkt werden. Zwar ist lediglich eine Minderheit der Muslime Mitglied dieser Gruppierungen, es ist jedoch alarmierend, dass sich der Nachwuchs der Organisationen weitgehend aus Jugendlichen und jungen Intellektuellen speist.
Darüber hinaus verfügen die Islamistengruppen über eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Sympathisanten.

Die Anhänger der Islamistenvereinigungen in Deutschland können zwar nicht unter den Generalverdacht gestellt werden, potenzielle Terroristen zu sein, jedoch befürworten nicht wenige von ihnen Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele. Ferner unterstützen einzelne Mitglieder bzw. Sympathisanten durch ihr Handeln zumindest indirekt den internationalen Terrorismus. So wird gesuchten Personen Unterschlupf geboten bzw. es werden logistische Aufgaben übernommen. Dennoch sind die Ter-
rorzellen, die bis zur Verübung ihrer Anschläge äußersten Wert auf Unauffälligkeit legen, als relativ eigenständige Organisationen zu betrachten. Während das Ziel islamisch-fundamentalistischer Vereinigungen oftmals im Wesentlichen die Einführung einer islamischen Staatsordnung in einem bestimmten Land wie etwa der Türkei ist,
legen es die Attentäter zudem auf Angst und Schrecken auf Seiten der Andersgläubigen an. Was allerdings Islamisten und religiös motivierte muslime Terroristen eint, ist ihr Glaube an die Überlegenheit des Islam.

Im vorliegenden Beitrag werden die islamistischen Bestrebungen in Deutschland thematisiert. Neben einer Chronologie islamistischer Anschläge in den vergangenen Jahren und dem Bedrohungspotenzial von Terrorakten in der Bundesrepublik wird die Frage erörtert, inwiefern Deutschland Islamisten als Rekrutierungsraum dient. In diesem Rahmen werden Ergebnisse einer Pilotstudie junger männlicher Türken zur Nähe zu islamistischen Vereinigungen und damit einhergehenden Einstellungsmus-
tern vorgelegt.

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