Dr. phil.
Alexander Schmidt
Ehemaliger Mitarbeiter
Forschungsschwerpunkte
Politische Philosophie
Antisemitismus
Religionspolitologie
Religionsphilosophie
Extremismusforschung
Ehemaliger Mitarbeiter
Forschungsschwerpunkte
Politische Philosophie
Antisemitismus
Religionspolitologie
Religionsphilosophie
Extremismusforschung
• 1998 Studium der Sozialwissenschaften und Psychologie an der Uni-GH Duisburg/ UDE
• 2000 – 2006 Studentische Hilfskraft bei Prof. Dr. Bärsch, Prof. Dr. Heberer, PD Dr. Sonnenschmidt und Dr. Berghoff am Institut für Politikwissenschaft der UDE
• 2001 – 2004 krankheitsbedingte Studienunterbrechung
• von 2002 – 2012 Mitglied bzw. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Religionspolitologie (IfR e.V.) in Duisburg
• 2004 – 2006 Wiederaufnahme des Studiums, Diplom am 26.9.2006 (Note 1,1)
• WS 2006/2007 bis SS 2014 Dozent mit Lehrauftrag im Diplom-Studiengang Politikwissenschaft sowie im Bachelor-Studiengang Politikwissenschaft
• seit Januar 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung an der UDE
• WS 2010/2011 – SS 2014 Mentor für die Studieneingangsphase BA Politikwissenschaften des Mentoring-Programms der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften, Institut für Politikwissenschaften der UDE
• 2017 Promotion zum Dr. phil. (summa cum laude), Gutachter: PD Dr. Reinhard Sonnenschmidt und Prof. Dr. Susanne Pickel
• 2018 Sparkassenpreis für herausragende Dissertation der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen
PUBLIKATIONEN:
• Braune Brüder im Geiste? Volk und Rasse bei Wagner und Hitler, Marburg 2007
• zusammen mit Peter Krumpholz und Manfred Bayer: Die internationale Stadt Mülheim an der Ruhr, in: Jahrbuch der Stadt Mülheim an der Ruhr 2010, hrsg. vom Referat I „Presse und Medien“ der Stadt Mülheim an der Ruhr, 12/2009
• Literarische Propädeutik – Über den gesellschaftspolitischen Wert publizistischer Essayistik im Hinblick auf die Ausbildung einer Philosophie der Freiheit, in: Hungeling, Christoph (Hrsg.): Anthropologie – Bildung – Demokratie. Kulturkritische Befunde Würzburg Königshausen&Neumann 2010.
• Wagners „Erlösung“ und Hitlers „Vernichtung“ – Weltanschauliche Strukturen im Vergleich, Marburg 2012
• Die ideologische Rezeption der Judenfeindschaft Richard Wagners – Ursprung, Verlauf und Konsequenzen, Baden-Baden 2017
• Eric Voegelin – Die Politischen Religionen, in: Gärtner, Christel/ Pickel, Gert (Hrsg.): Schlüsselwerke der Religionssoziologie, Wiesbaden (i. E.)
LEHRVERANSTALTUNGEN:
• Platons „Politeia“
• Einführung in Niklas Luhmanns Systemtheorie
• Von der Sicherheit des Untertanen zur Freiheit des Bürgers – Thomas Hobbes‘ „Leviathan“ und John Lockes „Zwei Abhandlungen über die Regierung“
• Immanuel Kants Philosophische Anthropologie
• Klassiker der Parlamentarismustheorie – Heinrich Triepel, Hans Kelsen, Max Weber,
Carl Schmitt, Wolfgang Leibholz
PROJEKTE:
• Bundesprogramm Vielfalt tut gut, (BMFSFJ) 2007 – 2010
• Bundesprogramm Toleranz fördern, Kompetenz stärken, (BMFSFJ) 2011 – 2014
• ESF-Programm XENOS, Integration und Vielfalt (BMAS) 2012 – 2014
• Bundesprogramm Demokratie leben! (BMFSFJ) 2015 – 2019
Schmidt, Alexander
Eric Voegelin: Die Politischen Religionen (1938)
Schmidt, Alexander / Ullrich, Andrea
Verschwörungstheorien und Antisemitismus - Unterrichtsmodul für Schulen
Alexander Schmidt
Die ideologische Rezeption der Judenfeinschaft Richard Wagners - Ursprung, Verlauf und Konsequenzen
Krumpholz, Peter / Schmidt, Alexander
Dokumentation Ethnisierung von Religion und Kultur
Schmidt, Alexander
Wagners "Erlösung" und Hitlers "Vernichtung" - Weltanschauliche Strukturen im Vergleich
Schmidt, Alexander
Literarische Propädeutik - Über den gesellschaftspolitischen Wert publizistischer Essayistik im Hinblick auf die Ausbildung einer Philosophie der Freiheit
Hauptziel des Modellprojekts „Israelkritik und Judenfeindschaft“, das im Rahmen des BMFSFJ Bundesprogramm “Demokratie leben!” gefördert wird, ist die Entwicklung, Erprobung und Verbreitung von neuen Präventions- und Fortbildungsangeboten gegen religiös, politisch wie sozial bedingte Formen von aktuellem Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Ausgangspunkt der zu entwickelnden Präventionsangebote sind die Selbstdeutungen der Bürger bzw. der verschiedenen Zielgruppen unserer Kooperationspartner. Alle Angebote werden daher auf der Grundlage von Befragungen konzipiert, die der empirischen Erfassung von Israelkritik und aktuell virulentem Antisemitismus vor Ort dienen. Befragt werden Muslime und Christen, aber auch Religionskritiker und säkular, links wie rechts orientierte Menschen mit wie ohne Zuwanderungsgeschichte.
1. Lokale Ausgangslage und Handlungsbedarf
Dass der Nahostkonflikt Auswirkungen in die Ruhrgebietsregion habe, mag befremdlich erscheinen, wie der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg / Mülheim / Oberhausen unlängst feststellte. Dieser kandidierte 2012 in Duisburg für die OB-Wahl und wurde daraufhin mit sowohl indiskutablen anonymen Nachrichten (in Israel kandidiere auch kein Deutscher für politische Ämter) als auch Reaktionen der lokalen Presse konfrontiert, die allein von dem „jüdischen“ Kandidaten wissen will, wie dieser seinen Wahlkampf finanziere. Dem ostentativen Reflex, man sei nicht antisemitisch, begegnet man auch in der Duisburger Stadtgesellschaft sehr zuverlässig. Nichtsdestoweniger werden jüdische Mitbürger schnell als legitime Vertreter, mithin als Verantwortliche für israelische Politik vereinnahmt.
Für die Verhältnisse vor Ort sind in diesem Zusammenhang eine Reihe unrühmlicher Ereignisse festzustellen: Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Rat der Stadt Duisburg – in dem neuerdings auch (kooperierende) Abgeordnete der NPD, PRO NRW und AfD vertreten sind – ruft zu einem Boykott israelischer Produkte auf, im Rahmen einer von Milli Görüş initiierten pro-palästinensischen Großdemonstration wird unter dem „Druck der Straße“ als „deeskalierende Maßnahme“ der Polizei die israelische Flagge auf einem Anwohnerbalkon entfernt.
Dies mag genügen, um anzudeuten, dass Phänomene des sekundären Antisemitismus, die in Form und Inhalt als israelkritische Äußerungen daherkommen, in der Region Duisburg existent sind. Neben dem erwartbaren rechtsextremen Antisemitismus sind judenfeindliche Stimmungen auch im linken Spektrum von der dafür oft kritisierten NRWLinkspartei bis hin zu revolutionär-marxistischen und autonomen Gruppen mit antiimperialistischer, internationalistischer und anti-faschistischer Ausrichtung sowie bei Muslimen und Migranten feststellbar. Die Argumentationsmuster erweisen sich nicht erst auf den zweiten Blick leider allzu oft als antizionistisch resp. außenpolitisch verbrämte judenfeindliche Stereotype. Es zeigt sich, dass Antisemitismus, der sich seit den Zuspitzungen in Gaza als offener Antisemitismus bis hin zu Judenhass manifestiert, in rechts und linksextremen Milieus ebenso wie in radikal-religiösen Gruppierungen grassiert. Daneben gibt es weiterhin einen verdeckten Antisemitismus, wie er sich vor allem in leichtfertig geäußerten, betont „legitimen“ israelkritischen Positionen der vermeintlich aufgeklärten bürgerlichen Mitte bis hin zu latent judeophoben Ressentiments artikuliert. Diese schwierigen vorurteilsbeladenen Generalisierungen sind meist nur notdürftig verklausuliert. Es kann vermutet werden, dass dies zum einen dem Reflex sog. Sozialer Erwünschtheit, zum anderen aber schlichter Ahnungslosigkeit und verfehlter Eigenwahrnehmung geschuldet ist. Aktueller Antisemitismus in der Region begegnet also nicht nur als exhibitionistischer Krawall (z.B.: Milli Görüş und Salafisten, die in Kommunen mit hohem Anteil muslimischer BürgerInnen ein Aktionsfeld vermuten), sondern auch auf vorgeblich pro-palästinensischen Solidaritätskundgebungen.
Insofern in diesem Projekt die aktuellen Formen von Antisemitismus in den Blick genommen werden, sind die ‚herkömmlichen‘ Formen von Antisemitismus (christlicher Antijuda-ismus, biologistisch definierter Rassismus, Holocaustleugnung oder-relativierung) möglicherweise nicht mehr vordergründig zu gewichten. Wir gehen vielmehr von einem neu zu definierenden, mithin „tertiärem“ Antisemitismus aus, der die Trennlinie zwischen „rechtem“ und „linkem“ Antisemitismus aufzulösen scheint. Denn globalisierungskritische, generell antiwestliche, antiimperialistische, USAkritische Stimmungen sind unter der phantasierten Annahme, hier seien Israel, Juden oder Wall Street wirksam, nicht nur in linksradikalen oder neonationalsozialistischen Verschwörungsnarrativen nachweisbar, sondern auch in linksliberalen oder konservativen Milieus nicht per se auszuschließen. Letzterer Aspekt betrifft auch die Mitte der Gesellschaft. Antisemitismus beginnt nicht erst mit manifesten Übergriffen, sondern nimmt seinen Anfang im Alltag in subtilen Formen von Ressentiments, die der Gesamtheit der Juden (als vermeintliche Repräsentanten Israels) verborgene Intentionen oder konkrete Handlungen zuordnet. Aktuelle Formen des Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erfahren im Prozess der Globalisierung und damit einhergehender Marginalisierungserfahrungen in weiten Teilen der Gesellschaft vehementen Auftrieb. Dies gilt insbesondere für die Montanregion Duisburg, die in besonderer Weise von Arbeitslosigkeit, Armut und empfundener Ausgrenzung geprägt ist. Duisburg ist aufgrund der Heterogenität seiner BürgerInnen ein „Schmelztiegel“ kultureller und religiöser Vielfalt und somit beispielhaft für die Integrationsanforderungen einer modernen Zivilgesellschaft, was zugleich ein nicht zu vernachlässigendes demokratiegefährdendes Potential birgt, welches u. E. vor allem infolge grundlegender Alteritätserfahrungen, kollektivierender Wahrnehmungsmuster sowie Projektion des Negativ-Erlebten aktualisiert wird. Insofern Fremdwahrnehmung immer durch die Auslegung eigener Existenzerfahrungen mitbestimmt wird, können Präventions und Fortbildungsangebote gegen sowohl alte als auch neue, latente oder manifeste Formen von Antisemitismus ihre Wirksamkeit nur dort entfalten, wo sie an der jeweiligen Erfahrungsrealität des Einzelnen, in besonderer Weise bei adoleszenter Selbstverortung ansetzen. Methodisch kommen hierfür vor allem pädagogische Konzepte in Betracht, denen ein multiperspektivischer, subjektorientierter, partizipativer sowie diversityorientierter Ansatz zugrunde liegt und die hier modellhaft entwickelt, erprobt und verbreitet werden sollen. Entsprechend wählen wir unsere Kooperationspartner aus, die das Spektrum der schulischen, religiösen sowie politischen Bildungsarbeit repräsentieren. Ebenso wertvoll ist der darüber gewonnene Zugang zu den jeweiligen Teilnehmerkreisen unserer Partner, der sowohl in die Mitte als auch zu den Rändern der Gesellschaft reicht.
2. Hauptziel des Modellvorhabens
Hauptziel des Vorhabens „Israelkritik und Judenfeindschaft“ ist die Entwicklung, Erprobung und Verbreitung von neuen Präventions- und Fortbildungsangeboten gegen religiös, politisch wie sozial bedingte Formen von aktuellem Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Ausgangspunkt der zu entwickelnden Präventionsangebote werden stets die Selbstdeutungen der BürgerInnen bzw. der verschiedenen Zielgruppen unserer Kooperationspartner sein. Alle Angebote werden daher auf der Grundlage von Befragungen konzipiert, die der empirischen Erfassung von Israelkritik und aktuell virulentem Antisemitismus vor Ort dienen. Befragt werden Juden, Muslime und Christen, aber auch Religionskritiker und säkular, links wie rechts orientierte Menschen mit wie ohne Zuwanderungsgeschichte. Zweck der Erhebung ist es herauszufinden, welche Verbindungen zwischen unterschiedlichen Gruppen, Traditionen und Ausprägungen des Antisemitismus es vor dem Hintergrund welcher Selbstdeutungen, Lebensgeschichten und Erfahrungen vor Ort gibt. Beachtet wird also nicht nur Feindseligkeit gegen Juden, sondern auch Muslim- oder Deutschenfeindlichkeit.
Die Präventionsangebote werden im Kooperationsverbund mit und für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure erstellt, die in der interreligiösen und interkulturellen Bildungs-, Integrations- und Sozialarbeit tätig sind. Gemeinsam mit den PädagogInnen und SozialarbeiterInnen werden lebensweltnahe und erlebnisorientierte Angebote für die unterschiedlichen Zielgruppen (u.a. Kinder, Schüler, Eltern, Erzieher, Lehrer, Jugendliche und Erwachsene) der Bildungseinrichtungen unseres Kooperationsverbundes entwickelt und in herkunftsheterogenen wie – homogenen Settings erprobt. Die erprobten Angebote werden über Fortbildungsangebote für Multiplikatoren lokal verbreitet, in die Regelstrukturen unserer Kooperationspartner überführt und anschließend über ihre Landes- und Bundesverbände durch weitere Multiplikatorenschulungen und Implementationsbegleitung landes- und bundesweit verbreitet.
3. Methodisches Vorgehen
Negative Fremdbestimmungen erfolgen selten aus reiner Boshaftigkeit. Zumeist beruhen sie auf einer Vereinseitigung oder Verabsolutierung dessen, was persönlich als gut, wertvoll, sinn- und zweckhaft für das eigene Leben und auch für das Miteinander in der Gesellschaft empfunden wird. Kollektive Wahrnehmungsmuster, die allzu häufig über eine soziale, politische oder religiöse Polarisierung (arm vs. reich, demokratisch vs. autoritär, gläubig vs. ungläubig etc.) zu positiver Selbst- und negativer Fremdbestimmung bis hin zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit führen, basieren immer auch auf persönlichen Werten, die vorschnell verallgemeinert oder ethnisiert werden.
Befragungen, die das RISP in der Vergangenheit durchführte, haben uns zudem gezeigt, dass kollektive Wahrnehmungsmuster (über z.B. Juden, Christen, Muslime, Deutsche, TürkInnen, MigrantInnen) unter allen Bevölkerungsgruppen in Duisburg weit verbreitet sind. Zugleich haben sie uns darauf aufmerksam gemacht, dass die konkreten Glaubensformen, Selbstdeutungen und Wertorientierungen der meisten Menschen relativ unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Staatsan- und Religionszugehörigkeit sind. In aller Regel weisen die BürgerInnen entgegen kollektiver Wahrnehmungsmuster und unterstellter Homogenität ihrer Gruppe somit gruppenintern ungleich mehr Unterschiede und gruppenübergreifend mehr Gemeinsamkeiten auf, als ihnen aufgrund ihrer kollektiven Wahrnehmungsmuster bewusst ist. Dies kann pädagogisch selbst in vermeintlich homogenen Settings genutzt werden, indem Teilnehmenden zu Beginn einer Maßnahme stets die Möglichkeit eröffnet wird, sich über ihre Grundwerte und Güterorientierungen auszutauschen und somit einen Überblick über die Gemeinsamkeiten wie Unterschiede der Werteorientierungen in ihrer Gruppe zu bekommen. Die aktuell erlebte Erfahrung, dass es in einer Gruppe mehr Unterschiede und gruppenübergreifend mehr Gemeinsamkeiten als gedacht gibt, ist emotionale Voraussetzung dafür, um kognitiv durch Wissensvermittlung kollektive Identifizierungen u. Stereotype wirkungsvoll hinterfragen zu können.
Daher wird unsere methodische Herangehensweise darin bestehen, dass wir 1. nicht von Kollektivkategorien, sondern von den Selbstdeutungen der Teilnehmenden ausgehen, 2. diese empirisch erfassen, 3. dabei in einem Netzwerk von sozialen, beruflichen, politischen und religiösen Bildungsanbietern in der Kommune zusammenarbeiten, 4. bei der Entwicklung der Maßnahmen pädagogisch an die empirischen Ergebnisse und Erfahrungen der Bildungsträger anknüpfen, 5. die Maßnahmen zunächst in den Einrichtungen der Kooperationspartner erproben, 6. sodann überarbeiten und in die Regelstrukturen der Kooperationspartner überführen, bevor 7. auf der Basis dieser Erfahrungen das RISP und die Kooperationspartner landes- und bundesweite Fortbildungen mit Multiplikatoren durchführen und diese bei der Anwendung ihrer ersten Maßnahmen supervidierend unterstützen und bei der Implementation beraten.
4. Fachlicher Bedarf, Innovationsgehalt und Nutzen des Modellvorhabens
Fast siebzig Jahre nach der Shoah ist der Bedarf an wirksamen Maßnahmen zur Prävention von Antisemitismus (Antisemitismus) dringlicher denn je. Denn Antisemitismus ist in der deutschen Mehrheitsgesellschaft in allen ideologischen Erscheinungsformen – seien es religiöse, politische, soziale, nationalistische, ökonomische oder rassistische – nach wie vor virulent.
Dabei lassen sich zwei Varianten ausmachen: die verdeckte Form von Andeutungen sowie die offene Form von Hassbildern und antisemitisch motivierter Gewalt. Beide Varianten zeichnen sich dadurch aus, dass sie unterschiedlichste politische Lager verbindet. Antisemitische Erklärungsmuster sind nach wie vor integraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie. Mittlerweile lassen sich auch ideologische Schnittmengen mit dem Linksextremismus sowie dem Islamismus ausmachen, so dass Antisemitismus nicht mehr länger als ein vorwiegend in der rechtsextremen Szene anzutreffendes Phänomen angesehen werden kann. Insbesondere der Nahostkonflikt dient Islamisten, Rechts- und Linksradikalen als Projektionsfläche antisemitischer Erklärungsmuster. Über die radikalen Ränder hinaus sind judenfeindliche Tendenzen auch in der Mitte der Gesellschaft zumindest latent vorhanden und brechen sich Bahn in Kritik an Kapitalismus, den USA, dem Westen, die teils mit legitimer, teils vermeintlich legitimer Israelkritik kurzgeschlossen wird.
Die antisemitischen Übergriffe der letzten zehn Jahre zeigen, dass Antisemitismus insbesondere bei Jugendlichen mit muslimischen Sozialisierungskontexten zunehmend Verbreitung findet, wobei antisemitische Stereotype durch subjektiv empfundene Benachteiligung und Ausgrenzung aufrechterhalten und verstärkt werden. Pädagogische Ansätze zur Prävention antisemitischer Denkmuster bei Kindern und Jugendlichen müssen demnach deren Diskriminierungserfahrungen aufgreifen. Daneben gilt es, den interreligiösen Dialog in Form eines lebensweltnahen und lebendigen Austausches von jüdischen und nicht-jüdischen Jugendlichen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte unter Einbeziehung aller relevanten Bezugssysteme, Akkulturationsinstanzen und Akteure zu fördern.
Die vielfältigen neuen Erscheinungsformen des Antisemitismus von den extremistischen Rändern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein stellt die Präventionsarbeit vor neue Herausforderungen. In der pädagogischen Praxis wurde das Thema als historisches (christlicher Antijudaismus) oder modernes Phänomen (Nationalsozialismus) behandelt. Entsprechende Bildungsangebote dienten vornehmlich der Vermittlung von historischem Wissen. Unter dem Eindruck fremdenfeindlicher Übergriffe hat sich seit den 1990er Jahren in Deutschland zudem eine gegen Rechtsextremismus und Rassismus orientierte Pädagogik etabliert, die sich gegen Antisemitismus wendet, mitunter ohne diesen eigens zu thematisieren. Im Zentrum stehen dabei Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wozu auch Begegnungsprojekte zum Abbau von Vorurteilen und Ressentiments gegen Juden gehören. Nicht unumstritten ist indes die Annahme, dass der Kontakt zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen zur Reduktion von Vorurteilen beiträgt. Begegnung und Wissensvermittlung über den oder die „Andere(n)“ allein kann auch zum Einfallstor für Differenzkonstruktionen werden, die es gerade zu verhindern gilt.
Während bisherige Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen „über“ oder „gegen“ Antisemitismus zumeist vom Gegenstand her, also der historischen Genese und den tradierten Formen von Antisemitismus, konzipiert sind, wird in diesem Projekt ein lebensweltlicher Ansatz zugrunde gelegt, der von der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Jugendlichen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Diskriminierung, Benachteiligung und Ausgrenzungserfahrung ausgeht. Die zu entwickelnden Präventionsmaßnahmen gegen aktuelle judenfeindliche Ressentiments werden zudem multi-perspektivisch eingebettet in Konzepte, die der Diversität in der Gesellschaft verbreiteter rassistischer, fremdenfeindlicher und demokratiedistanter Stereotype Rechnung tragen. Insofern nicht nur direkt oder allein die Überwindung von Judenhass – gegenüber diesem sich allzu viele reflexhaft verwahren – zum Projektgegenstand erhoben wird, soll der Sensibilisierung und dem Abbau antisemitischer Stimmungen auf neue Weise Vorschub geleistet werden.
Erstmals werden in einem Kooperationsverbund aus Wissenschaft und Praxis mit und für staatliche und zivile Akteure aus Politischer Bildung und Sozialarbeit empiriegestützt erlebnisorientierte Modellmaßnahmen gegen Judenhass und alle anderen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entwickelt, erprobt sowie regional, landes- und bundesweit verbreitet.
5. Kooperation und Vernetzung
KOOPERATIONSPARTNER sind staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure:
(1) Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein K.d.ö.R. (2) Evangelisches Bildungswerk im Kirchenkreis Duisburg (3) Katholische Familienbildungsstätten Duisburg (4) DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh(5) VHS der Stadt Duisburg (6) VHS der Stadt Moers(7) VHS-Zweckverband Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten, Niederrhein(8) IMBSE – Institut für Modelle beruflicher und sozialer Entwicklung GmbH, Duisburg(9) Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg(10) Duisburger Schulen, Lehrkräfte, Eltern und SchülerInnen, Kindertagesstätten der Religionsgemeinschaften und Kirchen, ErzieherInnen, Eltern und Kinder(11) Tausche Bildung für Wohnen e.V., Duisburg-Marxloh(12) Internationales Zentrum des Kommunalen Integrationszentrums der Stadt Duisburg
STRATEGISCHE PARTNER:
(13) VHS der Stadt Duisburg(14) Kommunales Integrationszentrum der Stadt Duisburg (15) Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, NRW
Der Wirkungskreis unserer Kooperationspartner ist zunächst kommunal und regional. Unsere Kooperationspartner 1-7 haben indes über ihre Landes- und Bundesverbände einen landes- und bundesweiten Wirkungskreis, den wir in den Projektphasen 4 und 5 nutzen werden.
Hauptziel der Kooperationen ist, die Präventions- und Fortbildungsangebote mit und für die Kooperationspartner 1-11 zu entwickeln, zu erproben und zu verbreiten. Bezüglich der Arbeitsstrukturen sei ergänzt, dass eine Steuerungsgruppe für diejenigen Kooperationspartner gegründet wird, mit denen eine besonders intensive Kooperation erfolgt. Erfahrungsgemäß kommen im Verlaufe der Durchführung eines Modellprojekts weitere Kooperationspartner hinzu, wir denken hierbei an Begegnungsstätten von freien Trägern, Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Migrantenselbstorganisationen sowie Elternvereine.
6. Zielgruppen und deren Erreichung
Die zu erreichenden Zielgruppen sind im Wesentlichen parallel zur Kette der Sozialisationsinstanzen ausgewählt worden und lassen sich für die einzelnen Kooperationspartner wie folgt konkretisieren:
(I) Schulpsychologische Beratungsstellen: SchulpsychologInnen -> Schulsozialarbeiterinnen -> LehrerInnen -> SchülerInnen DozentInnen -> Kursteil nehmende Verbreitung: Landesverband; Dt. Volkshochschul-Verband
(II) Politische Bildungsträger: Volkshochschulen: Fachpädagogische Bereichsleitung -> DozentInnen -> Kursteil nehmende Verbreitung: Landesverband; Dt. Volkshochschul-Verband
(III) Religiöse Bildungsträger: Geschäftsführung —>Einrichtungsleitung —>Gruppen-/Kursleitung —>Kitas —>Kinder/Jugendliche
(IV) Sozialunternehmer/ Stadtteilbezogene Sozialarbeit: Streetworker / Sozialarbeiter Bildungs-Paten —>Kinder (vor allem aus benachteiligtem, bildungsfernem und durch hohen Zuwanderungsanteil geprägtem Milieu)
(V) Berufliche Bildungsträger: Fachpädagogisches Personal —>Teilnehmende und Lernende
(VI) Kommunale Institutionen: Integrationspolitische ReferentInnen -> integrations -> u. bildungspolitische Netzwerker Verbreitung: Netzwerk Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte und Elternvereine NRW; Kommunale Integrationszentren und Landesweite Koordinierungsstelle NRW; Städteinitivative Integration.Interkommunal
Über die Auswahl unserer Kooperationspartner, die von Projektbeginn an partizipativ in die Projektarbeit eingebunden werden, können passgenaue, bedarfsgerechte Präventions- und (Fort-) Bildungsangebote in den wesentlichen Sozialisationsinstanzen vor Ort entwickelt und erprobt sowie ggf. modifiziert und schließlich landes- und bundesweit verbreitet werden. Die Projektarbeit setzt demnach genau dort an, wo Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene über einen längeren Zeitraum sozialisiert und wo antisemitische und fremdenfeindliche Vorurteile und Einstellungen ausgebildet und manifest werden.
Obschon Präventionsangebote für Kinder und junge Menschen, Eltern und Erwachsene gegen religiös, sozial oder politisch bedingte Formen von aktuellem Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufgrund kollektiver Wahrnehmungsmuster erstellt werden, bilden nicht diese selbst, sondern staatliche bzw. kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit sowie der Frühpädagogik und Elternarbeit tätig sind, die Hauptzielgruppe. Diese wurden schon bei der Konzipierung der vorliegenden Interessenbekundung und somit bereits in die Frühphase des Vorhabens mit einbezogen.
Wichtige Akteure der Hauptzielgruppe, zu der aus vorhergehenden Modellprojekten seit vielen Jahren erprobte und belastbare Kooperationsbeziehungen bestehen, werden sich von Projektbeginn an über alle fünf Phasen des Vorhabens durch anteilige personale Mitarbeit beteiligen. Sowohl Entwicklung wie Erprobung als auch Verbreitung, Überführung in Regelstrukturen und Herstellung der landes- und bundesweiten Übertragbarkeit und Verbreitung können daher in enger Zusammenarbeit mit der Hauptzielgruppe erfolgen.
Über die Hauptzielgruppe können weitere Zielgruppen, insbesondere Kinder und Jugendliche (auch aus bildungsfernen Milieus, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte), deren Familien sowie LehrerInnen und ErzieherInnen, Bundesfreiwilligendienstleistende und FSJ`ler ebenso wie MultiplikatorInnen erreicht und über alle Phasen des Vorhabens in die konkrete Projektarbeit mit eingebunden werden.
Der Zugang zu allen Zielgruppen, die für das Modellvorhaben von Relevanz sind, ist somit gewährleistet.
7. Arbeitsschritte und Meilensteine
PROJEKTPHASE 1: Empirisch-kooperative Entwicklung des PräventionsangebotsZusammen mit den Kooperationspartnern werden Expertengespräche und Tiefeninterviews (Meilenstein 1) sowie standardisierte Befragungen mit Teilnehmenden der Kooperationspartner über Selbstdeutungen, GMF, Israelkritik und Judenfeindschaft geführt (Meilenstein 2), ein gemeinsames Kernangebot erstellt und auf einem Workshop der Fachöffentlichkeit vorgestellt(Meilenstein 3).
PROJEKTPHASE 2: Erprobung und Überarbeitung der PräventionsangeboteEs werden modular aufgebaute Präventionsangebote für mindestens drei verschiedene Zielgruppen der Kooperationspartner fertig gestellt (Meilenstein 4) und im Team-Teaching mit mindestens drei verschiedenen Kooperationspartnern und ihren Teilnehmenden erprobt (Meilenstein 5a-c). Auf der Grundlage dieser Erfahrungen werden die Angebote überarbeitet und fertiggestellt (Meilenstein 6).
PROJEKTPHASE 3: Regionale Durchführung und Übernahme in RegelstrukturenEs werden mindestens drei Fortbildungskonzepte für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure entwickelt (Meilenstein 7a-c), Multiplikatorenschulungen durchgeführt (Meilenstein 8a-c) und 10 weitere Anwendungen des Präventionsangebots mit den zuvor Fortgebildeten und ihren Teilnehmenden supervidiert (Meilenstein 9a-j), überarbeitet und in die Regelstrukturen überführt (Meilenstein 10a-c). Es wird eine umfangreiche Dokumentation mit Materialien über alle Präventionsangebote und Fortbildungen erstellt (Meilenstein 11).
PROJEKTPHASE 4: Landesweite Durchführung von Multiplikatorenschulungen
PROJEKTPHASE 5: Bundesweite Durchführung von MultiplikatorenschulungenJeweils Durchführung von drei Multiplikatorenschulungen (Meilensteine 12/15a-c) und Supervision der zuvor Fortgebildeten beim ersten Einsatz der Präventionsangebote mit ihren Teilnehmenden (Meilensteine 13/16a-j) nebst Überarbeitung und Übernahmeberatung der Leitung (Meilensteine 14/17).
8. Pädagogische und wissenschaftliche Standards
Pädagogische Standards:Unsere Kooperationspartner sind zertifiziert und staatlich anerkannte Träger der Weiterbildung oder Jugendhilfe. Mit Blick auf die Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung orientieren sich Träger und Kooperationspartner – über gesetzliche Vorgaben und übliche Qualitätsstandards hinaus – an je eigenen Wertedimensionen und qualitativen Leitbildern zur Sicherstellung guter Arbeit. Für die Ansprache und die Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind vor allem die Prinzipien Freiwilligkeit, Akzeptanz, Transparenz und Vertrauen verbindlich. Die Schnittmenge der fachlichen Standards für das Arbeitsleben betrifft menschliches Miteinander und Toleranz, kollegialen Umgang, gegenseitige Wertschätzung und Annahme, Vertrauen und Freundlichkeit sowie Eintreten für eine Gesellschaft, die solidarisch und auf demokratischem Wege Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit anstrebt.
Um über die konkrete Projektarbeit hinaus eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, sollen gemeinsam erarbeitete und erprobte Projektergebnisse in die Konzepte, Leitbilder und Qualitätsstandards der Kooperationspartner einfließen, z.B. im Hinblick auf die Weiterführung ihrer interkulturellen Öffnung und Etablierung eines Diversity-Management-Systems.
Wissenschaftliche Standards:Das RISP e.V. als ein vom Wissenschaftsministerium des Landes NRW anerkanntes An-Institut der Universität Duisburg-Essen ist den Standards guter wissenschaftlicher Praxis verpflichtet.
Im Projekt werden wir uns über die Antisemitismusforschung hinaus an der Politischen Kulturforschung und der Religionspolitologie orientieren, um dem Hauptziel, der Entwicklung, Erprobung u. Verbreitung neuer Präventionsangebote gegen religiös, politisch und sozial bedingte Formen von Antisemitismus gerecht zu werden. Denn unterschiedliche kulturelle wie religiöse Prägungen indizieren stärkere oder schwächere Demokratiefähigkeit bzw. distanz. Phänomene von politisierter oder vorgeblich politisch bzw. vorgeblich religiös legitimierter Judeophobie gilt es als solche zu erkennen. Die Besonderheit der Verknüpfung von Politischer Kulturforschung und Religionspolitologie besteht darin, dass nach der politischen Bedeutung von Kultur und Religiosität der Menschen für ihr jeweiliges Bewusstsein von der gesellschaftlichen Ordnung gefragt wird. Ausgehend von der religiösen ebenso wie der kulturellen Selbstwahrnehmung der Menschen kommt es darauf an zu ermitteln, welche politischen Implikationen die unterschiedlichen Formen ihrer Selbst und Fremdbilder aufweisen. Diese wiederum sind konstitutiv für Verabsolutierungen, Vereinseitigungen, Ethnisierungen, Identifikationen sowie Projektionen und als motivationale Grundlage für gruppenbezogene Formen von menschenfeindlichen Entgleisungen zwecks wirksamer und erfolgversprechender Präventionsarbeit zu berücksichtigen.
Obschon es sich bei dem hier vorgestellten Modellvorhaben nicht um die Fortführung eines bereits geförderten Projekts handelt, so können wir dennoch inhaltlich, pädagogisch-methodisch und kooperativ an unsere bisher durchgeführten DFG und BKA Forschungsprojekte und BQF, XENOS, VIELFALT und TFKS Modellprojekte auf vielfältige Weise anknüpfen.
So hatten wir letztere z.B. bereits in einem Kooperationsverbund als Tandemprojekte mit Wissenschaft-Praxis-Austausch und Akteuren aus politischer Bildung und Sozialarbeit umgesetzt. Doch können wir nicht nur auf einen bewährten und daher belastbaren Kooperationsverbund zurückgreifen. Durch die Vernetzung interkultureller wie interreligiöser Orte der Bildung in einer Region können methodisch der gesamte lokale Raum für erlebnis- und diversitätsorientierte Formen der Bildung und Begegnung quer zu kollektiven Zugehörigkeiten ebenso wie die Methodenvielfalt unserer Kooperationspartner erneut genutzt werden. Bewährt hat sich auch der Zielgruppenzugang über staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure.
In den Vorgängerprojekten standen allerdings hinsichtlich der Zielsetzung Präventions- und Fortbildungsangebote gegen die Ethnisierung von Religion und Kultur und damit gegen alle Formen von religiös wie kulturell bedingter Menschenfeindlichkeit im Mittelpunkt. Inhaltlich fanden vor allem Islamismus, Islamophobie und Nationalismus Beachtung. Die Bekämpfung des Antisemitismus erfolgte eher am Rande. Diesmal werden umgekehrt und erstmals Maßnahmen gegen aktuelle Formen des Antisemitismus im Zentrum stehen. Um religiös, politisch wie sozial bedingter Judenfeindschaft effektiv entgegenwirken zu können, wird es wiederum erforderlich sein, dabei rechtsextreme Orientierungen, Islamophobie und antireligiöse Affekte zu beachten. Zudem kommt es abermals darauf an, sorgfältig zwischen Islamkritik und Islamophobie zu differenzieren, ohne dabei Zusammenhänge zu ignorieren. Erstmals gilt dies auch für das Spannungsfeld von Israelkritik und Judenhass.
Peter Krumpholz, Dr. Alexander Schmidt, Andrea Ullrich
Entwicklung von Inhalten und Methoden für die Bildungsarbeit mit Bundesfreiwilligen
Krumpholz, Peter
Verfassungs- und Judenfeindschaft aus der Perspektive der Politischen Philosophie und Religionspolitologie
Krumpholz, Peter / Wessendorf, Insa
Interkulturelle Fallberatung in der Schule - Fortbildung für Schulsozialarbeiter*innen
Krumpholz, Peter / Wessendorf, Insa
Kultur und Konflikte in Gesellschaft und Schule - Fortbildung für die Schulpsychologie
Krumpholz, Peter / Andrea Ullrich / Astrid Kummer / Patrick Depuhl / Jens Korfkamp
Wie man Deutsch leben kann - Eine Reise in den Kopf & das Herz der Deutschen
Schmidt, Alexander / Ullrich, Andrea
Verschwörungstheorien und Antisemitismus - Unterrichtsmodul für Schulen
Krumpholz, Peter / Wessendorf, Insa
Interkulturelle Fallberatung in der Schule
Krumpholz, Peter
Verfassung und Verfasstheit: Förderung bürgerlicher Kompetenzen
Krumpholz, Peter
Religion & Kultur an Rhein & Ruhr - Kerncurriculum zum Modellprojekt Israelkritik und Judenfeindschaft
(1) Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein
(2) Evangelisches Bildungswerk im Kirchenkreis Duisburg
(3) Katholische Familienbildungsstätten Duisburg
(4) DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh
(5) VHS der Stadt Duisburg
(6) VHS der Stadt Moers
(7) VHS-Zweckverband Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten,
(8) IMBSE – Institut für Modelle beruflicher und sozialer Entwicklung GmbH, Duisburg
(9) Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg
(10) Duisburger Schulen, Lehrkräfte, Eltern und SchülerInnen, Kindertagesstätten der Religionsgemeinschaften und Kirchen, ErzieherInnen, Eltern und Kinder
(11) Tausche Bildung für Wohnen e.V., Duisburg-Marxloh
(12) Internationales Zentrum des Kommunalen Integrationszentrums der Stadt Duisburg
STRATEGISCHE PARTNER:
(13) VHS der Stadt Duisburg
(14) Kommunales Integrationszentrum der Stadt Duisburg
(15) Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, NRW
Im Rahmen des BMAS Bundesprogramms XENOS Integration und Vielfalt befasst sich das Modellprojekt KIBA Kommunale Integration, Beschäftigung und Arbeitsmarkt im Kontext der „Städtekooperation Integration.Interkommunal“ der Metropole Ruhr mit der praktischen Gestaltung der interkulturellen Ausrichtung dreier Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, die von der Qualifizierung (Essener Arbeit – Beschäftigungsgesellschaft) über die Vermittlung (Jobcenter Duisburg) bis hin zur Beschäftigung in KMU’s (VHS Dortmund) in einer Prozesskette am Arbeitsmarkt agieren.
Zielsetzung
KIBA befasst sich im Kontext der „Städtekooperation Integration.Interkommunal“ der Städte Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Mülheim a.d. Ruhr und Oberhausen in der Metropole Ruhr exemplarisch mit der praktischen Gestaltung der interkulturellen Öffnung, Ausrichtung und Qualifizierung dreier Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, die von der Qualifizierung (Essener Arbeit – Beschäftigungsgesellschaft) über die Vermittlung (Jobcenter Duisburg) bis hin zur Beschäftigung in kleinen und mittelständischen Unternehmen (VHS Dortmund/Öffnung KMU’s) in einer logisch aufeinander aufbauenden und sich ergänzenden Prozesskette unmittelbar am Arbeitsmarkt agieren, so dass KIBA Diversitykompetenzen und interkulturelle Karrieren von Beschäftigten mit wie ohne Zuwanderungsgeschichte an drei ausgewählten Orten fördern kann, die innerhalb der öffentlichen Verwaltungslandschaft für die berufliche Integration funktionell und symbolisch von herausragender Bedeutung sind, nicht zuletzt für Risikogruppen und benachteiligte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Methode und Meilensteine: Entwicklung, Erprobung und Ergebnissicherung
Der methodische Ansatz des Projekts KIBA stützt sich auf die langjährigen Erfahrungen des Antragstellers mit der Konzipierung und Leitung von interkulturellen Modellprojekten und empirisch gestützter Begleitforschung von kommunalen und regionalen Maßnahmen für interkulturelle Eingliederungs- und Lernprozesse in Stadtverwaltungen, die auf die nachhaltige Sicherung und Wirkung angelegt sind. Der Ansatz lässt sich als methodischer 3-Schritt übersichtlich darstellen:
(1) Empirische Analyse und Entwicklung geeigneter Projektmodule
Meilenstein 1: Diversity-Checks der Teilprojekte (Organisation – Personal – Außenauftritt)
Meilenstein 2: Führungskräfte-Feedback
Meilenstein 3: Evaluation bestehender Maßnahmen und Aufstellung eines Maßnahmeplans
(2) Erprobung von Maßnahmen und Modulen
Meilenstein 4: Durchführung der Maßnahmen
Meilenstein 5: Popularisierung von Diversity und Interkulturalität für Verwaltungen an der
Schnittstelle zum Arbeitsmarkt und zur Wirtschaft
Meilenstein 6: Dokumentation der Maßnahmen, inkl. Teilnehmer-Feedback
(3) Ergebnissicherung und Verbreitung
Meilenstein 7: Austausch im Projektverbund
Meilenstein 8: Verbreitung durch die Kooperationspartnerinnen
Meilenstein 9: Abschlussveranstaltung
Hauptziel des Vorhabens ist die Entwicklung, Erprobung und Verbreitung eines neuen Präventionsangebots gegen religiös wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit, die durch ethnisierte Wahrnehmungsmuster hervorgerufen werden.
In Zeiten der Globalisierung und des world-wide-web sind zumindest die Vielfalt der (vermeintlich homogenen) Kulturen und Weltreligionen sowie ihre offenkundigen Unterschiede und Konflikte zwischen ihnen in den Fokus selbst lokaler Öffentlichkeiten gerückt. Befürchtet wird bis weit in die Wissenschaften hinein ein ‚Kampf der Kulturen’ (Huntington 1997) und neuerdings sogar ein ‚Krieg der Religionen’ (V. & V. Trimondi 2006), den es durch interkulturelle und interreligiöse Dialoge zu verhindern gelte. Mit der in den Medien wohl unvermeidlich verkürzten Redeweise werden ‚Kulturen’ und ‚Religionen’ zu Kollektivsubjekten erhoben, die kämpfen, glauben oder einen Dialog führen könnten.
Zwar bieten kollektive Wahrnehmungsmuster eine Reduktion von Komplexität und informieren über bestehende Differenzen zwischen ‚Kulturen’ und ‚Religionen’. Zugleich sind sie jedoch ein wesentlicher Bestandteil eben dieser Konflikte. Denn durch sie werden nicht nur die Unterschiede zwischen den Gläubigen in einer Religion und Menschen in einer Kultur weitgehend ausgeblendet, sondern auch die Gemeinsamkeiten von Menschen aus unterschiedlichen Kultur- und Glaubensgemeinschaften. Weil für immer mehr Menschen der Glaube an Gott zu einer Option unter vielen avanciert ist und an immer mehr Orten der Welt Menschen mit unterschiedlichen Glaubensformen und säkularen Weltsichten leben, gibt es indes sowohl Gemeinsamkeiten als auch Spannungen zwischen wie unter Gläubigen, Andersgläubigen und Nicht-Gläubigen. Kollektive Wahrnehmungsmuster führen also dazu, dass vermeintliche oder tatsächliche Differenzen zwischen Kollektiven als alleinige Begründung für komplexe Problemlagen herangezogen werden, die es nicht nur zwischen, sondern auch in ‚Kulturen’ und ‚Religionen’ gibt.
Kollektive Wahrnehmungsmuster, vor allem die Ethnisierung von Kultur und Religion, berühren längst auch das Miteinander vor Ort. Mentale und religiöse Differenzen führen insbesondere dann zu Konflikten, wenn sie durch (Kultur-)Nationalismen und ethnisierte Glaubenslehren fundiert werden. Dann kommt es zu einer polarisierenden Gegenüberstellung von vermeintlich Gläubigen und Ungläubigen, von säkularer und religiöser Kultur. Durch positive Selbst- und negative Fremdbestimmung werden national-kulturelle und ethnisch-religiöse, vermeintlich homogene Kollektivgemeinschaften und fundamental-dramatisierte Differenzen konstruiert. Auf diese Weise werden exklusive Zugehörigkeiten imaginiert, die leicht zu Diffamierung, Dämonisierung und Ausgrenzung führen. Vor allem an Orten wie Duisburg, in denen Gläubige, Andersgläubige und Menschen mit säkularer Orientierung aus verschiedenen ‘Kulturen’ und ‘Religionen’ leben, kommt es daher darauf an, zugleich Präventionsangebote gegen säkular als auch gegen religiös bedingte Formen von Fremden- und Deutschenfeindlichkeit zu entwickeln, die durch kollektive Stereotypen bzw. ethnisierte Wahrnehmungsmuster hervorgerufen werden.
Erstellung von Präventions- und Fortbildungsangeboten für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure gegen religiös wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus
Die Angebote werden gemeinsam mit und für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure erstellt, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind. Passgenaue Fortbildungskonzepte werden somit kooperativ erstellt. Mit der DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh wird überdies eine zweijährige Begleitfortbildung durchgeführt. Das Präventionsangebot richtet sich an alle Bevölkerungsgruppen, d.h. es wird für Menschen mit unterschiedlichen Glaubensformen und säkularen Weltsichten konzipiert. Auf handlungs- und erlebnisorientierte Weise will es ihnen Gelegenheit bieten, andere und sich selbst jenseits kollektiver Stereotypen und ethnisierter Wahrnehmungsmuster (z.B. ‚Deutsche’ vs. ‚Türken’,‚Muslime’ vs. ‚Christen’ oder ‚Gläubige’ vs. ‚Ungläubige’) als Personen mit unterschiedlichen oder ähnlichen Glaubensformen und säkularen Wertorientierungen wahrzunehmen. Auf der Grundlage ihrer Selbstdeutungen, d.h. unabhängig von Herkunft, Staatsan- und Religionszugehörigkeit, werden zudem aktuelle Konflikte in der Integrationsgesellschaft thematisiert und Regeln der Koexistenz für Gläubige und Religionskritiker (wieder)entdeckt und eingeübt. Weil kollektive Wahrnehmungsmuster und Identitäten implizit eine fragwürdige Antwort auf die Frage geben, wer wir sind, soll überdies explizit erarbeitet werden, was allen Menschen unserer Gesellschaft gemeinsam sein sollte und was besser nicht. Zu diesem Zweck werden die Grundwerte unserer Gesellschaft erörtert, die aufgrund ihrer Pluralität nicht nur spannungsgeladen sind, sondern aufgrund ihrer wechselseitigen Begrenzung auch Konfliktlösungspotentiale aufweisen.
Die Besonderheit des Fortbildungskonzepts besteht darin, dass nicht erst nachträglich Multiplikatorenschulungen durchgeführt werden, sondern bereits die Entwicklung des Angebots kooperativ erfolgt. Eine besonders intensive Zusammenarbeit wird mit der DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh stattfinden. Das Präventionsangebot und die Begleitfortbildung dienen als qualitätssichernde Grundlage einer kommunal und regional vernetzten Integrationsarbeit der Begegnungsstätte, die über die Projektlaufzeit hinaus in deren Regelstrukturen überführt und als Modell bundesweit übertragbar sein wird.
Modellhaftigkeit
Erstmals werden kooperativ im kommunalen Verbund von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in der Bildungs-, Begegnungs- und Integrationsarbeit tätig sind, Präventions- und Fortbildungsangebote gegen alle Formen von Extremismus aufgrund ethnisierter Wahrnehmungsmuster ─ also gegen säkular wie religiös bedingte Fremden- und Deutschenfeindlichkeit zugleich ─ entwickelt, erprobt und verbreitet.
Neu ist auch, dass zum ersten Mal ein muslimisch geprägter Ort der Bildung und Begegnung, die Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh, dabei im Mittelpunkt steht und zusammen mit religiösen und säkularen Bildungseinrichtungen der Kommune die Maßnahme entwickelt und erprobt. Besonderes Augenmerk wird also darauf gelegt, dass nicht nur der interreligiöse Dialog zwischen den Gläubigen, sondern auch das interkulturelle Gespräch mit den Nicht-Gläubigen und Religionskritikern gepflegt wird. Zum innovativen Gehalt zählt, dass eine Maßnahme zugleich gegen religiöse wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit entwickelt wird, und nicht beide gegeneinander ausgespielt werden. Die Ethnisierung von Religion – also der Glaube, dass nicht alle Menschen zum Volk Gottes gehören und nicht alle Menschen, Gesellschaften und Kulturen vor Gott gleich seien ─ gefährdet unser Miteinander jedenfalls eben so wie eine Ethnisierung von Kultur, Gesellschaft oder Wirtschaft, die interkulturelle Konflikte durch alleinige Verfolgung nationaler oder volkswirtschaftlicher Interessen hervorrufen. Ein Innovationsgehalt der geplanten Maßnahme besteht mit anderen Worten in dem Umstand, dass bestehende Übel weder in die Religion bzw. Religionen noch in Politik oder Wirtschaft allein verlegt werden, vielmehr säkulare (ökonomische, soziale und politische) wie religiöse Ursachen von Konflikten beachtet werden. Es ist ferner zu erwarten, dass die neuen Formen kommunaler Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Angeboten auch zu neuen Methoden der Bildung- und Begegnung von Gläubigen, Andersgläubigen und Nicht-Gläubigen genutzt werden. So kann durch die Vernetzung verschiedener Orte der Begegnung z.B. der gesamte Raum einer Kommune für die Arbeit genutzt werden, so dass neue erlebnisorientierte Formen der Begegnung quer zu kollektiven Zugehörigkeiten möglich sein werden. Obschon wir es bereits in der Vergangenheit so handhabten, ist unseres Erachtens eine empirisch gestützte Vorgehensweise nach wie vor innovativ.
Zielgruppen
Obschon Präventionsangebote für alle Bevölkerungsgruppen gegen religiös wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus aufgrund ethnisierter Wahrnehmungsmuster erstellt werden, bilden nicht diese selbst, sondern staatliche bzw. kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, die Hauptzielgruppe. Diese wurde schon bei der Konzipierung der Interessenbekundung bzw. des Antrags und somit bereits in die Vorphase des Vorhabens miteinbezogen. Wichtige Akteure der Hauptzielgruppe, zu der aus vorhergehenden Modellprojekten seit vielen Jahren erprobte und somit belastbare Kooperationsbeziehungen bestehen, werden sich von Projektbeginn an über alle drei Phasen des Vorhabens durch anteilige personale Mitarbeit beteiligen. Sowohl Entwicklung wie Erprobung als auch Verbreitung, Überführung in Regelstrukturen und Herstellung der bundesweiten Übertragbarkeit können daher in enger Zusammenarbeit mit der Hauptzielgruppe erfolgen.
Für unseren wichtigsten Kooperationspartner, die DITIBBegegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh, ist zudem im Rahmen des Modellprojekts eine Teilzeitstelle vorgesehen. Mit ihr kann somit eine besonders intensive Zusammenarbeit erfolgen. Unter unseren Kooperationspartnern aus der Hauptzielgruppe besteht Konsens darüber, dass die Qualität und der Erfolg interreligiöser und interkultureller Bildungsarbeit in der Begegnungsstätte als muslimisch geprägter Ort der Begegnung im hohen Maße davon abhängen, ob und inwiefern deren Bildungs und Integrationsarbeit in lokal und regional vernetzter Weise mit kommunalen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren erfolgt, die ebenfalls in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind. Von besonderer Bedeutung ist daher auch, dass die Bildungsholding der Stadt Duisburg, die in der Kommune für die Vernetzung aller Bildungspartner und die Entwicklung und Durchführung von ressortübergreifenden Bildungsprojekten zuständig ist, sich an der Entwicklung, Erprobung und Verbreitung des Vorhabens durch koordinierende Leitung und personale Mitarbeit beteiligt. Überdies werden auch Jugendliche und Erwachsene aus der Bevölkerung Duisburgs, über vom RISP in der Vergangenheit bereits wiederholt durchgeführte Befragungen hinaus, wiederum durch Tiefeninterviews in erster Projektphase und via Erprobung und Verbreitung in zweiter und dritter Projektphase in alle Etappen des Vorhabens direkt mit eingebunden.
Weitere Konkretisierung der Zielgruppen und Darstellung der Aktivierungsstrategie
Obschon im vorigen Abschnitt als Hauptzielgruppe des Vorhabens staatliche bzw. kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure definiert wurden, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, werden im Rahmen des Vorhabens letztlich doch Präventionsangebote gegen religiös wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus aufgrund ethnisierter Wahrnehmungsmuster erstellt, die sich potentiell an alle Bevölkerungsgruppen der Bundesrepublik Deutschland wenden. Grundsätzlich halten wir es zum Zwecke einer näheren Bestimmung dieser Zielgruppe bei interkulturellen und interreligiösen Maßnahmen sachlich für dringend geboten, hierfür auch interkulturelle und interreligiöse Kriterien heranzuziehen. Wichtige Kriterien zur näheren Bestimmung der Zielgruppe sind daher z.B. nicht soziostrukturelle Indikatoren wie Einkommen, Alter, Bildung, Geschlecht, Staatsan- oder Religionszugehörigkeit oder sonstige kollektive Wahrnehmungskategorien (wie Nationalität, Migrationshintergrund, Ethnizität etc.), sondern die konkreten Glaubens-, Selbstdeutungs- und Wertorientierungsformen der Bürgerinnen und Bürger. Wer eine Maßnahme gegen durch Ethnisierung und kollektive Wahrnehmungsmuster hervorgerufene Formen von religiöser wie säkularer Fremdenfeindlichkeit erstellen will, würde seine Absicht konterkarieren, wenn er seine Zielgruppe allein oder primär durch eben diese Kategorien zu erfassen suchte. Wir erstellen somit Präventionsangebote nicht in erster Linie für spezifische Einkommens-, Alters-, Bildungs-, Geschlechts-, Staats- oder Religionsgruppen bzw. für Menschen mit spezifischer kollektiver Zugehörigkeit, sondern Angebote für Menschen mit unterschiedlichen Glaubens-, Selbstdeutungs- und Wertorientierungsformen, unabhängig von kollektiven Selbst- oder Fremdzuschreibungen. Die Glaubens- und Selbstdeutungsformen, dies haben auch unsere bisherigen empirischen Befragungen gezeigt, kann man nicht schlicht auf soziostrukturelle Indikatoren oder kollektive Zugehörigkeiten zurückführen. Diese haben zwar einen Einfluss auf die Ausbildung der Glaubens- und Selbstdeutungsformen, determinieren diese jedoch nicht. Wir entwickeln also in erster Linie Präventionsangebote für Gläubige, Andersgläubige, Agnostiker, Atheisten und Religionskritiker, und nicht primär Angebote für soziostrukturell oder kollektiv näher bestimmte Gruppen.
Obschon wir uns in diesem Sinne also potentiell an alle gläubigen, andersgläubigen und nicht-gläubigen Bürgerinnen und Bürger wenden und Wert darauf legen, dass die Zielgruppe nicht in erster Linie soziostrukturell und kollektiv, sondern interkulturell und interreligiös heterogen zusammengesetzt sind, werden wir uns doch immer über unsere Kooperationspartner – und die Zielgruppen von deren Bildungs- und Integrationsarbeit – an konkrete Personen wenden. Über die interkulturell/-religiös nähere Bestimmung unserer Zielgruppe hinaus, die stets oberstes Kriterium bleibt, kann unsere Zielgruppe somit auch soziostrukturell näher beschrieben werden. So ist die soziostrukturelle Bevölkerungszusammensetzung in einem Integrationskurs, der von der VHS durchgeführt wird, eine andere als die Zielgruppe der Schulpsychologischen Beratungsstelle, die mit Lehrern, Eltern und Schülern einer oder mehrerer Schulformen zusammenarbeitet. Konkret wenden wir uns also an spezifische Zielgruppen unserer Kooperationspartner. Diese werden aktiviert, indem sie von Beginn an über Tiefeninterviews bis hin zur Erprobung der Maßnahme in alle Entwicklungsphasen der Maßnahme aktiv mit eingebunden werden. Dabei werden diese nicht nur durch das Bundesprogramm bzw. uns, sondern auch von unseren jeweiligen Kooperationspartnern angesprochen und zur aktiven Mitarbeit aufgefordert. Die empirisch-kooporative Entwicklung und die gemeinsame Erprobung und Entwicklung der Maßnahme stellt also unsere Aktivierungsstrategie dar. Eine nähere Beschreibung der Zielgruppe im Hinblick auf die Glaubensformen und Selbstdeutungen werden nicht zuletzt die Tiefeninterviews ermöglichen, die wir im Verlaufe des Vorhabens mit der Zielgruppe führen, um nähere Befunde über ihre unterschiedlichen Glaubens- und Selbstdeutungsformen sowie über kollektive Wahrnehmungsmuster gewinnen zu können. Dies wird im Rückgriff auf Forschungsansätze und –methoden der Religionspolitologie erfolgen (vgl. hierzu Bärsch, Berghoff und Sonnenschmidt: Wer Religion verkennt, erkennt Politik nicht – Perspektiven der Religionspolitologie, Würzburg 2005).
Kooperations- und Netzwerkpartner
Unsere Kooperationspartner (folgend: KP) sind sowohl staatliche als auch zivilgesellschaftliche Akteure aus Duisburg und Nordrhein-Westfalen, u.a.:
1. DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte an der Merkez- Moschee zu Duisburg-Marxloh,
2. „DuisburgBildung“ – Bildungsholding der Stadt Duisburg,
3. Referat für schulische Bildung der Stadt Duisburg,
4. Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg,
5. Volkshochschulen der Stadt Duisburg, Moers und Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten,
6. Referat für Integration der Stadt Duisburg,
7. Gesellschaft für Beschäftigungsförderung der Stadt Duisburg (GfB),
8. Evangelisches Familienbildungswerk Duisburg,
9. St. Peter und Paul, katholische Gemeinde zu Duisburg Marxloh,
10. Bildungswerk NRW des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB),
11. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW
12. Duisburger Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, Schüler und Eltern,
13. weitere Akteure, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, und deren Zielgruppen
Hauptziel der Kooperationen ist es, Präventions-Angebote mit und für die jeweiligen Zielgruppen der Kooperations- bzw. Projektpartner zu entwickeln, zu erproben und zu verbreiten. Hier sei bzgl. der Arbeitsstrukturen ergänzt, dass eine Steuerungsgruppe für KP gegründet wird, mit denen eine besonders intensive Kooperation erfolgt (KP 1-5, 7-10). Gemeinsam mit dem Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikbratung (RISP) übernimmt hier KP (2) eine koordinierende Leitungsfunktion. Zur Koordination werden ferner die Beiratssitzungen der Begegnungsstätte (KP 1) genutzt (u.a. mit KP aus 8, 9 und 12). Zudem werden Workshops zur Präsentation der Ergebnisse aus Phase 1 und 2 mit den KP durchgeführt. Eine Mitarbeit im Hinblick auf spezifische Arbeitspakete [siehe nächstes Kapitel 7), dort unterscheiden wir Phase 1-3 mit den Meilensteinen 1-13] erfolgt bei der konzeptionellen Entwicklung (Phase 1), bei der Erprobung (Phase 2) sowie bei der Verbreitung des Modellvorhabens (Phase 3) vor allem mit KP 1-10. Mit Blick auf die, für die Umsetzung des Projektes unabdingbare kommunal- und darauf folgende landespolitische Transfer- und Öffentlichkeitsarbeit wird kommunal vor allem die Mitarbeit des KP (6) sowie landesweit die von KP (1, 8-11) und deren Integration in Landesarbeitsgemeinschaften in Anspruch genommen. Die Zusammenarbeit mit den Partnern erfolgt somit über alle drei Phasen des Vorhabens. Nahezu alle 13 Meilensteine werden kooperativ erarbeitet.
Erfahrungsgemäß werden im Verlaufe des Vorhabens weitere Kooperationspartner hinzukommen.
Methoden/Projektmodule, Formulierung von Teilzielen und Meilensteine
A. Methodische Herangehensweise
Quantitative und qualitative Befragungen des RISP haben uns nicht nur gezeigt, dass ethnisierte Wahrnehmungsmuster unter allen Bevölkerungsgruppen in Duisburg sehr weit verbreitet sind. Tiefeninterviews haben uns vielmehr darauf aufmerksam gemacht, dass sie zugleich über weitaus komplexere Selbst- und Weltdeutungen verfügen. Sie weisen somit ungleich mehr Gemeinsamkeiten auf, als ihnen aufgrund ihrer kollektiven Wahrnehmungsmuster zunächst bewusst ist. Dies gilt es pädagogisch mit Teilnehmenden aus unterschiedlichen ‚Kulturen’ und ‚Religionen’ zu nutzen. Das Modellvorhaben gliedert sich inhaltlich wie zeitlich in drei Phasen:
B. Teilziele und Meilensteine
Teilziel 1: Empirisch-kooperative Entwicklung und Meilensteine 1-3:
Im ersten Projektjahr wird das Präventionsangebot „Ethnisierung von Religion und Kultur“ in enger Zusammenarbeit mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelt. Zu diesem Zweck werden ca. 15 Expertengespräche mit ihnen (MEILENSTEIN 1) und ca. 25 Tiefeninterviews mit Jugendlichen und Erwachsenen aus allen Bevölkerungsgruppen über ethnisierte Konflikte, Glaube und Selbstdeutung in der Integrationsgesellschaft geführt (MEILENSTEIN 2). Die Ergebnisse werden mit einem ersten Curriculumentwurf den Kooperationspartnern und der lokalen Fachöffentlichkeit innerhalb eines Workshops vorgestellt und erörtert (MEILENSTEIN 3).
Teilziel 2: Erprobung und Entwicklung der Fortbildungskonzepte und Meilensteine 4-8
Im zweiten Projektjahr werden modular aufgebaute Präventionsangebote für verschiedene, stets heterogen im Hinblick auf Glaubens- und Selbstdeutungsformen zusammengesetzte Altersgruppen und Akteure fertig gestellt (MEILENSTEIN 4) und im Team-Teaching mit drei verschiedenen Kooperationspartnern in ihren Einrichtungen mit ca. 20 ihrer Teilnehmenden erprobt (MEILENSTEIN 5a-c). Parallel dazu wird die Begleitfortbildung in der Begegnungsstätte mit Schulungen ehrenamtlicher Moscheeführer begonnen (MEILENSTEIN 6). Auf der Grundlage dieser Erfahrungen werden die Angebote überarbeitet (MEILENSTEIN 7) und drei Fortbildungskonzepte für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure entwickelt (MEILENSTEIN 8a-c).
Teilziel 3: Verbreitung, Überführung und Übertragbarkeit und Meilensteine 9-13:
Nach erster Erprobung der Angebote und Entwicklung der Fortbildungskonzepte dient das 3. Projektjahr der regionalen Verbreitung, der Vorbereitung der Überführung des Vorhabens in die Regelstrukturen der Begegnungsstätte über die Förderlaufzeit hinaus und der Herstellung der bundesweiten Übertragbarkeit einer kommunal vernetzten Bildungs- und Integrationsarbeit einer muslimisch geprägten Bildungs- und Begegnungsstätte. Zu diesen Zwecken werden zunächst zwei Fortbildungen mit jeweils 10 Teilnehmenden für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure durchgeführt (MEILENSTEIN 9a-b) und 10 weitere Durchgänge mit den zuvor Fortgebildeten und wiederum ca. 20 Teilnehmenden supervidiert und ausgewertet. (MEILENSTEIN 10a-j). Abschließend werden die Konzepte mit pädagogischer Anleitung schriftlich dokumentiert (MEILENSTEIN 11), gemeinsam mit der Begegnungsstätte ein Curriculum für die Überführung der Maßnahme in deren Regelstrukturen (MEILENSTEIN 12) und ein Fortbildungskonzept zur bundesweiten Übertragbarkeit erstellt (MEILENSTEIN 13). Zu diesem Zwecke werden wir inbesondere die landesweit agierenden Kooperationspartner und deren Erfahrungen nutzen.
Sicherung der Nachhaltigkeit und des Transfers
Die entwickelten und erprobten Präventions- und Fortbildungsangebote werden in die Regelstrukturen der Begegnungsstätte aufgenommen und dort über die Projektlaufzeit hinaus angeboten. Das Modellprojekt dient darüber hinaus durch die Begleitfortbildung, Vernetzung und kooperative Entwicklung von Maßnahmen mit anderen säkularen wie religiösen Bildungseinrichtungen in der Kommune der Qualitätssicherung der Integrationsarbeit der Begegnungsstätte. Zentrale Projektergebnisse werden extern in Kooperationsvereinbarungen, und intern im Leitbild, in Stellen- und Aufgabenbeschreibungen, Qualitätsstandards (z.B. bei Moscheeführungen) und Kompetenzregelungen etc. festgehalten werden. Auf diese Weise wird zunächst sichergestellt, dass das Projekt durch den wichtigsten Kooperationspartner über die Laufzeit hinaus fortgeführt wird. Selbstredend können und sollen die zu erstellenden Präventions- und Fortbildungsangebote auch von den übrigen Kooperationspartnern in ihr Regelangebot aufgenommen werden. Überdies soll die Zusammenarbeit aber auch dazu führen, dass künftig weitere Angebote zu jeweils aktuellen Themen gemeinsam entwickelt und durchgeführt werden können.
Das Modell der kommunalen Vernetzung eines muslimisch geprägten Ortes der Begegnung mit anderen Orten der Begegnung in einer Kommune, die sowohl religiös als auch säkular oder religionskritisch geprägt sind, ist darüber hinaus als Ganzes landes- und bundesweit auf andere Kommunen übertragbar. Das RISP und seine kommunalen Partner verstehen dies als ein Duisburger Leuchtturmprojekt, das landes- und bundesweit ─ und möglicherweise sogar weit darüber hinaus, wie internationale Besucher nicht nur aus der Türkei andeuten ─ von Bedeutung ist.
Transferstrategie
Von besonderer Bedeutung im Hinblick auf die Herstellbarkeit einer landes- und bundesweiten Übertragbarkeit des Modellvorhabens sind nicht allein die landesweit agierenden Kooperationspartner (10 und 11). Vielmehr sind auch viele unserer kommunalen Kooperationspartner Mitglied in landesweiten Organisationen bzw. in Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften. Zu unserer Transferstrategie gehört es daher, die Ergebnisse und Produkte unseres Modellvorhabens in diese Organisationen miteinzubringen und mit diesen gemeinsam realisierbare Transferstrategien zu entwickeln. Hierzu seien nur drei Beispiele genannt, die erfolgversprechende Ansatzpunkte für eine nachhaltige Transferleistung bieten:
1. Die DITIBBegegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh ist in den Gremien des DITIB Landes und Bundesverbands vertreten, die somit Basisstrukturen für eine Übertragbarkeit des Duisburger Modells einer muslimisch geprägten, kommunal vernetzten Begegnungsstätte auf andere Kommunen bieten. 2. Die Zusammenarbeit nicht nur mit der VHS Duisburg, sondern auch mit VHS’en aus mittelstädtischen und ländlichen Gebieten, kann genutzt werden, um Strategien für die Übertragbarkeit in Regionen sicherzustellen, deren Bevölkerung möglicherweise zwar weniger im Hinblick auf konkrete Glaubens-, Selbstdeutungs- und Wertorientierungsformen, doch im Hinblick auf Zu- oder Nichtzugehörigkeit zu Glaubensgemeinschaften recht unterschiedlich zusammengesetzt sind. 3. Und nicht zuletzt können wir zum Zwecke des Transfers die Landesarbeitsgemeinschaft der Familienbildung in NRW nutzen. Das evangelische Familienbildungswerk in Duisburg, Mitglied dieser Landesarbeitsgemeinschaft und unseres Modellprojektes, hat zu diesem Zwecke bereits an einm landesweiten, vom Integrationsministerium NRW (ebenfalls Kooperationspartner) geförderten Projekt mitgewirkt, dass einen Praxisleitfaden zur interkulturellen Öffnung der Familienbildung erstellt hat. Unser Modellvorhaben, das dieser Öffnung der Familienbildung ein weiteres zentrales, interkulturell-interreligiöses Modul bietet, kann über diesen Kooperationspartner bereits auf etablierte Entwicklungspfade der Tranferarbeit zurückgreifen und diese nutzen.
Ferner hat das RISP zusammen mit Prof. Bärsch und Prof. Weidenfeld (CAP Uni München) bereits einen umfangreichen Antrag zu einer bundesweiten repräsentativen Bevölkerungsumfrage ausgearbeitet. Jenseits der Frage, ob man für oder wider eine Religion oder gar die Religion ist, wird mit dem religionspolitologischen Design dieser Befragung – was im Zeitalter der Mondialisierung von besonderer Bedeutung ist, da an immer mehr Orten der Welt Menschen mit unterschiedlichen Glaubensformen und säkularen Weltsichten leben und daher neue, interkulturelle und interreligiöse Regeln der Koexistenz finden müssen – erstmals in vergleichender Perspektive erfasst werden, wie Gläubige, Andersgläubige und Nicht-Gläubige einerseits und politische Entscheidungsträger andererseits das Verhältnis von Religion und Politik deuten und welche gesellschaftspolitischen Schlüsse sie hieraus ziehen. Weder Religion noch Religionskritik oder Säkularität werden dabei ausschließlich im Modus des Konflikts und eines erneuerten Kulturkampfes als Dispositive politisch oder religiös motivierter Gewaltbereitschaft wahrgenommen. Gefragt wird mithin zum ersten Mal sowohl danach, welche Inhalte des Glaubens als auch danach, welche Gehalte des säkularen Bewusstseins der demokratischen Kultur förderlich bez. abträglich sind. Erstmals soll zu diesem Zweck in vergleichender Perspektive erfasst werden, wie verbreitet einerseits religiöse Pathologien und andererseits säkulare Hybris sind. Beispielsweise kommt es gerade im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen der Integration darauf an, nicht isoliert die – möglicherweise nicht vorhandene – Verfassungsloyalität z.B. von Muslimen (vgl. hierzu Brettfeld/Wetzels 2007), sondern auch diejenige von Säkularisten zu erfassen. Erst in vergleichender Perspektive kann eine politische Gewichtung der Befunde vorgenommen werden, die sich nicht leichtfertig dem Vorwurf der Dramatisierung oder Verharmlosung aussetzt.
Die bundesweite Befragung wird somit empirische Befunde liefern, die wir ausgezeichnet zur bundesweiten Übertragbarkeit der Präventions- und Fortbildungskonzepte verwenden können, die im vorliegenden Modellprojekt entwickelt werden. Denn sie bietet nicht nur kommunal, sondern bundesweit eine empirische Grundlage für eine religionspolitologisch ausgerichtete Politikberatung und Bildungsarbeit. Insofern stellt auch dieses parallell verfolgte Vorhaben eine wichtige Kompenente unserer Transferstrategie dar.
Krumpholz, Peter / Schmidt, Alexander
Dokumentation Ethnisierung von Religion und Kultur
1. DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte an der Merkez-Moschee zu Duisburg-Marxloh,
2. „DuisburgBildung“ – Bildungsholding der Stadt Duisburg,
3. Referat für schulische Bildung der Stadt Duisburg,
4. Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg,
5. Volkshochschulen der Stadt Duisburg, Moers und Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten,
6. Referat für Integration der Stadt Duisburg,
7. Gesellschaft für Beschäftigungsförderung der Stadt Duisburg (GfB),
8. Evangelisches Familienbildungswerk Duisburg,
9. St. Peter und Paul, katholische Gemeinde zu Duisburg Marxloh,
10. Bildungswerk NRW des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB),
11. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW
12. Duisburger Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, Schüler und Eltern,
13. weitere Akteure, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, und deren Zielgruppen
Unter den veränderten Rahmenbedingungen, die mit der Implementierung der Agenda von Lissabon und der europäischen Neuordnung von Studienregelungen zum Bologna Prozess entstehen, hat die Forschungsgruppe mikom ein Master-DUO Studienmodell mit erweiterten internationalen Studienmöglichkeiten im Verbund mit den beiden Partneruniversitäten Danzig und Duisburg-Essen entwickelt und erprobt.
Unter den veränderten Rahmenbedingungen, die mit der Implementierung der Agenda von Lissabon und der europäischen Neuordnung von Studienregelungen zum Bologna Prozess entstehen, hat die Forschungsgruppe mikom ein Master-DUO Studienmodell mit erweiterten internationalen Studienmöglichkeiten im Verbund mit den beiden Partneruniversitäten Danzig und Duisburg-Essen entwickelt und erprobt.
Diese Neukonzeption bietet den teilnehmenden Studierenden die Möglichkeit, ihren auswärtigen Studienaufenthalt wie folgt zu planen und zu realisieren:
1. Bereits zu Beginn des ersten Masterstudienjahres können sie eine Förderung für die Teilnahme am Master-DUO Programm im Rahmen der beantragten DPWS-Förderung für die laufende „Erprobungsphase“ im Studienjahr 2010/11 ff. an den kooperierenden Universitäten Danzig und Duisburg-Essen beantragen.
2. Die Bewerber können sich jeweils im 1. und 2. Semester des Master-DUO Studiums auf einen einsemestrigen Auslandsstudienaufenthalt im 3. Semester an der Partnerhochschule mit entsprechenden Sprachkursen und durch ihre empfohlene Teilnahme am Zusatzstudium der ,,Interkulturellen Kommunikation / Cultural Studies“ vorbereiten.
3. Vom ersten MA-Studiensemester an lernen die Studierenden die für beide Partnerhochschulen vereinbarten Studien- und Prüfungsregelungen kennen und können dadurch ein Zusatzstudienprogramm ─ einschließlich des an beiden Partnerhochschulen vorbereiteten fachlichen Auslandsstudiums ─ auch für den integrierten Studienschwerpunkt Interkulturelle Kommunikation / Cultural Studies individuell gestalten.
4. Die im Master-DUO Studienprogranm integrierte Komponente der ,,Interkulturellen Kommunikation / Cultural Studies” wird bereits seit Beginn des ersten MA-Studienjahres, bei Bedarf gemeinsam mit Visiting-Professoren, in der heimatlichen Hochschule für alle dafür angemeldeten Studierenden eingeführt. Im daran anschließenden dritten Studiensemester wird dieser modularisierte Teil-Studiengang auch an der Gasthochschule studiert und mit einem besonderen Prüfungs-Zertifikat absolviert, das in den Master-Abschluss einbezogen wird; wobei auch ─ bei einer möglichen Themenwahl für die Master-Arbeit aus diesem Bereich ─ alle in- und ausländischen Studienleistungen berücksichtigt werden.
5. Die beschlossenen Rahmenvereinbarungen über die koordinierte Studienplanung für die Studierenden beider Partnerhochschulen über dieses variable Master-DUO-Studienmodell, dem sich nach erfolgreicher Evaluierung und Modell-Implementierung auch weitere europäische Universitäten im Netzwerk-Verbund wunschgemäß anschließen können ─ erhält durch die nunmehr gemeinsam ermöglichte Interkulturelle Studien-Komponente zusätzliche, wissenschaftlich begleitete Wahlmöglichkeiten lokaler Cultural Studies an der Gasthochschule unter vollständiger Anrechnung auf den Masterabschluss.
6. Demnach werden durch die nunmehr vorhandenen Wahlmöglichkeiten sowie durch die garantierte, im Studienaustausch zwischen beiden Partneruniversitäten geförderte Anerkennung der Interkulturellen Studienanteile und -abschlüsse auch erheblich erweiterte Berufseinstiegsmöglichkeiten im europäischen Kontext für die Studierenden geschaffen. Diese günstigen Chancen und Voraussetzungen gilt es in den kommenden Jahren während der Erprobungsphase zu realisieren und zu evaluieren.
Die projektverantwortlichen Dekane und Koordinatoren ─ Prof. Dr. Andrzej Ceynowa (Dekan an der Danziger Fakultät für Sprachwissenschaften), Prof. Dr. Erhard Reckwitz (Dekan an der UDEFakultät für Geisteswissenschaften) sowie Prof. Dr. Manfred Bayer in seinen Funktionen als Koordinator und Danziger Gastdozent ─ leiten im ständigen persönlichen Kontakt und im Einvernehmen mit ihren jeweiligen Hochschulpartnern das Kooperationsprojekt. Dieses kollegiale Leitungsteam ist auch für die empirische Evaluierung und für die curriculare Weiterentwicklung des MasterDUO Studienprogramms verantwortlich und stellt gemeinsam die hierfür notwendigen Förderanträge (u .a. im Einvernehmen mit der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung / DPWS).
Dadurch soll ─ nach einer mehrjährigen Erprobungsphase ─ die anschließende Implementierung nicht nur an beiden Hochschulstandorten gewährleistet, sondern auch die erwünschte Übertragbarkeit auf weitere Universitäten im europäischen Netzwerk-Verbund ermöglicht werden.
Mitarbeitende: Manfred Bayer (Projektleitung) Peter Krumpholz, Alexander Schmidt, Björn Ochs und Lukas Twardowski
Laufzeit: 01/2009 - 12/2012
Das Modellprojekt Ideenführer Europa wird vom BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) im Rahmen des Bundesprogramms VIELFALT TUT GUT – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie gefördert.
Leitziel des Modellprojekts: Entwicklung eines kulturreligiösen Bildungskonzepts
Übergeordnetes Leitziel des Modellprojekts ist es, auf der theoretischen Grundlage der Religionspolitologie ein neues, empirisch gestütztes Bildungs- und Begegnungskonzept zu entwickeln, mit dem Ansätze der interkulturellen Pädagogik aufgegriffen und mit denen des interreligiösen Lernens didaktisch verknüpft werden. Das Bildungs- und Begegnungskonzept wird gemeinsam mit Jugendlichen und Lehrkräften entwickelt, erprobt und durch die Fortbildung von Pädagogen und die Publikation von Arbeitsmaterialien mit Arbeitsblättern verbreitet. Letztere werden so gestaltet, dass der Ideenführer Europa ohne zusätzliche Vorbereitungszeit von Pädagogen in der schulischen und außerschulischen Jugendbildung eingesetzt werden kann.
Download: Bildungs- und Begegnungskonzept Ideenführer Europa
Mit dem Ideenführer Europa wird erstmals ein kulturreligiöses Bildungs- und Begegnungskonzept entwickelt, dass religiöse und religionskritisch eingestellte Jugendliche anregt, sich sowohl über die Vor- und Nachteile verschiedener Glaubensformen als auch über die Stärken und Schwächen von säkularen Selbstdeutungen auszutauschen. Unabhängig von Herkunft, Staatsan- und Religionszugehörigkeit wird ihnen deshalb auf kognitiv und emotional abwechslungsreiche Art und Weise Gelegenheit geboten, sich zunächst untereinander und anschließend mit lokalen Persönlichkeiten aus Religion, Politik, Kultur und Arbeitswelt über die kulturelle Bedeutung von Glaube und Säkularität für das interkulturelle und interreligiöse Mit-, Neben- oder Gegeneinander vor Ort auszutauschen.
Auf diese Weise trägt das Modellprojekt nicht zuletzt dazu bei, dass Jugend-liche die Attraktivität und die Integrationsstärke Europas entdecken. Daher steht die Idee einer wechselseitigen Ergänzung wie Begrenzung von weltlicher und religiöser Orientierung im Mittelpunkt, die im gegenwärtigen Prozess der globalen Begegnung und Durchdringung der Religionen und Kulturen an Aktualität gewonnen hat. Hängt die Frage nach einer ethischen Grundlage für ein interkulturelles und interreligiöses Miteinander doch vor allem davon ab, ob es zu einer polyphonen Korrelationalität von Vernunft und Religion, säkularen Weltsichten und der Vielfalt der Glaubensformen kommt. Es kommt darauf an, gegenwärtige Pathologien der Religiosität und Hybris oder Fatalität bei säkularen Weltanschauungen gleichermaßen zu erkennen. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Selbstdeutungen und Wertorientierungen sollen Jugendliche und junge Erwachsene deshalb die Vielfalt und Spannungshaftigkeit der europäischen Prinzipien und die Werte des Grundgesetzes kennen lernen. Denn nur sofern diese als ideale Maßstäbe und Ordnung der eigenen Lebensziele wahrgenommen werden, können sie auch lebensweltnah Orientierung bieten und einen neuen Umgang mit kulturreligiösen Konflikten eröffnen, die aus einer Ablehnung, unreflektierten Hinnahme oder Dramatisierung religiöser oder säkularer Differenzen resultieren.
Zur Idee Europas gehören Jerusalem, Athen, Rom und Paris. Als ideelle Orte des Glaubens, der Vernunftkultur, der Politik und der Aufklärung versinnbildlichen diese vier Städtenamen symbolisch die Spannungen zwischen religiöser, wissenschaftlicher, politischer und sozialer Lebensweise. Durch gedankliche Ausflüge in die europäische Ideenwelt und konkrete Reisen zu Persönlichkeiten und Orten, von und an denen heute in unmittelbarer Umgebung der Jugendlichen die verschiedenen Formen des Glaubens ausgeübt, Kultur betrieben, Politik gemacht und soziale Fragen erörtert werden, sollen sie die Spannungen innerhalb und zwischen idealen und konkreten Orten kennen lernen. Durch die Begegnungen sollen sie zudem Einblicke erhalten, wie im öffentlichen Raum um Macht und Einfluss und damit zugleich um die ideale Rangordnung von Glaube und Wissen, Kunst, Politik und Wirtschaft gestritten wird. Pädagogisches Leitziel des Modellprojekts ist es, Jugendlichen vor Augen zu führen, dass es in und zwischen Religionen, Kultur, Politik und Arbeitswelt immer auch um die richtige Lebensweise, die Ziele, Zwecke, Güter und Werte des Lebens und deren Rangordnung bzw. um die Frage geht: Wie soll ich leben? Indem im öffentlichen Raum für, mit und von Jugendlichen kontrovers über die Vor- und Nachteile von unterschiedlichen Glaubensformen und Weltsichten, Wertorientierungen und Lebensweisen für das gesellschaftliche Miteinander gestritten wird, soll mit dem Modellprojekt ein Beitrag dazu geleistet werden, dass die europäischen Prinzipien und Werte des Grundgesetzes von Jugendlichen als ideale Maßstäbe und Rangordnung ihrer eigenen Lebensziele wahrgenommen werden können.
Handlungskonzept des Ideenführer Europa
Bei der Entwicklung, Erprobung und Verbreitung des kulturreligiösen Bildungs- und Begegnungskonzepts Ideenführer Europa stehen stets die empirisch zu ermittelnden Selbst-, Gesellschafts- und Weltdeutungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Mittelpunkt. Diese – und nicht kollektive Zugehörigkeiten – bilden den Ausgangs- und Angelpunkt des Modellvorhabens.
Unter der Verknüpfung von Konzepten der interkulturellen Pädagogik mit Ansätzen des interreligiösen Lernens verstehen wir zudem in praktisch-topischer Hinsicht zunächst einmal schlicht, dass Menschen mit unterschiedlichen oder ähnlichen Selbstdeutungen – seien diese nun primär religiös oder säkular – pädagogisch angeregt werden, sich untereinander und mit anderen darüber auszutauschen, welche (kulturelle) Bedeutung ihre Religiosität (oder deren Negation) für ihr jeweiliges Bewusstsein von Mensch, Gesellschaft und Welt und damit auch für ihr kulturreligiöses Mit-, Neben-, Durch- und Gegeneinander hat. Daher kommt es uns nicht allein auf Form und Inhalt der Religiosität der Jugendlichen an, sondern vor allem auf die kulturelle Bedeutung ihrer Religiosität. Und es geht auch nicht allein um die kulturelle Bedeutung ihrer Religiosität, sondern zudem um die Bedeutung von Religionskritik, Areligiosität und Säkularität für ihr Miteinander. Entwickelt, erprobt und verbreitet wird somit eine kulturreligiöse und keine bloß religiöse, allein soziale, lediglich politische oder ausschließlich ökonomische Präventionsmaßnahme.
Indem wir Jugendliche unterschiedlichen Glaubens und solche, die auf eher auto-, sozio- oder physionome Weise säkular orientiert sind, untereinander und mit Erwachsenen ins Gespräch bringen, wollen wir auch, dass junge Erwachsene sich selbst und andere jenseits kollektiver Stereotypen und dichotomer Wahrnehmungsmuster (z.B. ‚Deutsche’ vs. ‚Türken’, ‚Muslime’ vs. ‚Christen’ oder ‚Gläubige’ vs. ‚Ungläubige’) erleben und kennenlernen, die sie leider allzu häufig ausbilden. Trotz dichotomer Selbst- und Fremdzuschreibungen anhand o.g. Differenzen weisen Jugendliche und junge Erwachsene – dies haben unsere Befragungen gezeigt – jedoch im Hinblick auf ihre konkreten Selbst-, Gesellschafts- und Weltdeutungen mehr Gemeinsamkeiten auf, als ihnen selbst bewusst ist. Dies gilt es pädagogisch zu nutzen.
Das Modellvorhaben gliedert sich dabei formal in drei Phasen und sieben Meilensteine:
Phase 1: Empirisch-kooperative Entwicklung
Zum Zwecke der Gewinnung von Pädagogen und von lokalen Persönlichkei-ten, die Orte des Glaubens, der Kultur, Politik und Arbeit repräsentieren, wurden zunächst Expertengespräche geführt (Meilenstein 1a). Um die Hauptzielgruppe von Beginn an aktiv in das Vorhaben einbinden zu können, wurden zudem narrative Interviews mit Jugendlichen realisiert. Dies geschah in Ergänzung zu der quantitativen Befragung zu ihren Weltdeutungen und Wertorientierungen, die das RISP bereits durchgeführt hatte (Meilenstein 1b). Die Ergebnisse der Interviews wurden zusammen mit einem ersten Curriculum-Entwurf ausgewählten Kooperationspartnern und der lokalen Fachöffentlichkeit vorgestellt und mit ihnen erörtert (Meilenstein 1c).
Phase 2: Curriculumentwicklung und Erprobung des Vorhabens
Auf der Grundlage der Experteninterviews, der quantitativen Befragung und der narrativen Interviews mit den Jugendlichen wurde im zweiten Jahr das kulturreligiöse Bildungs- und Begegnungskonzept Ideenführer Europa entwickelt (Meilenstein 2) und mit Jugendlichen und Lehrkräften erprobt und überarbeitet (Meilenstein 3).
Phase 3: Regionale Implementierung und Übertragung des Vorhabens
Das letzte Jahr dient nun der regionalen Umsetzung des Vorhabens, der Herstellung der Serienreife und der Vorbereitung der Weiterführung des Projektvorhabens über die Förderlaufzeit hinaus. Zu diesen Zwecken werden Fortbildungen mit Pädagogen durchgeführt (MEILENSTEIN 4), die bei ihrer ersten Durchführung der Maßnahme mit Jugendlichen begleitet und supervisiert werden (Meilenstein 5). Schließlich wird das Konzept IDEENFÜHRER EUROPA weiteren Bildungs- und Begegnungsstätten angeboten (Meilenstein 6) und mit pädagogischer Anleitung schriftlich dokumentiert und publiziert (Meilenstein 7).
Bayer, Manfred / Krumpholz, Peter
Cultural Diversity Inspiring International and Urban Education
Krumpholz, Peter
Methodenporträt des Modellprojekts IDEENFÜHRER EUROPA - Reise nach Jerusalem, Athen, Rom und Paris
Krumpholz, Peter
Zum Verständnis von Kultur unter der Perspektive von Philosophie und Religionspolitologie
Krumpholz, Peter
IDEENFÜHRER EUROPA: REISE NACH JERUSALEM, ATHEN, ROM UND PARIS. Ein kulturreligiöses Bildungs- und Begegnungskonzept für Jugendliche und junge Erwachsene
Volkshochschule Duisburg, lokale Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Bildung, Katholische und Evangelische Kirche, Bildungs- und Begegnungsstätte an der Merkez-Moschee
http://www.vielfalt-tut-gut.de/content/e4558/e4560/e5131/e4962/index_ger.html
Interkulturelle Vernetzung und transkulturelle Vermischung
Dass Mülheim, wie andere Städte der Metropole Ruhr, längst zu einer internationalen Stadt geworden ist, lässt sich mittlerweile leicht an der Vielzahl internationaler Kontakte und der Vielfalt der Beziehungen der hier ansässigen Organisationen und der in Mülheim lebenden Menschen auf geschäftlicher, gesellschaftlicher und privater Ebene mit dem europäischen wie außereuropäischen Ausland erkennen. Dass im Verlaufe des vorigen Jahrhunderts nicht nur Weltstädte wie Berlin, Paris, London, Istanbul, New York oder Sydney, sondern auch die Mehrzahl der Groß- und Mittelstädte in metropolitanen Ballungsräumen international geworden sind und hierzu längst auch Mülheim an der Ruhr mit seinen kommunalen Besonderheiten im Ruhrgebiet zählt, mag daher inzwischen eine banale Feststellung sein: Jedenfalls ist das eine Tatsache, die im Zeitalter der Mondialisierung auch konservative, heimat- und traditionsbewusste Bürgerinnen und Bürger nicht mehr grundlos verschreckt. Ungeachtet des Umstands, ob sie nun seit vielen Generationen oder erst in jüngster Vergangenheit hier ansässig geworden sind. Oder ob sie nur – wie dies zukünftig immer häufiger und für immer mehr Menschen der Fall sein wird – vorübergehend und jenseits ihrer Familienbande und Freundschaftsstrukturen im Rahmen eines beruflichen Projekts, eines Praktikums im Ausland oder eines Auslandsaufenthalt im Kontext ihres Studiums hier bei uns leben werden.
Die Vielzahl und Vielfalt der internationalen Beziehungen führt allerdings nicht immer und keineswegs ohne zusätzliche Begegnungsformen, kulturelle Reflexion und neue Bildungsanstrengungen zu der Feststellung, dass diese Städte im 21. Jahrhundert auch im Hinblick auf die im Alltag habitualisierten Lebensstile und Kommunikationsformen ihrer Bevölkerung inter- und transkulturelle Städte sein werden.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass man, wie dies in der Vergangenheit oftmals der Fall war, der Vielfalt der multikulturellen Städte in der Einwanderungsgesellschaft wieder schlicht mit bloßem Misstrauen oder ungetrübter Begeisterung begegnet. Die real vorgefundene Vielfalt allein durch Toleranz und einen Dialog zwischen den Kulturen vermeintlich überbrücken zu können, reicht jedoch nicht aus. Vor allem dann nicht, wenn dabei die ‚Kulturen’ als solche unter Bestandsschutz gestellt und als in sich unveränderlich betrachtet werden. Erst recht wird man die Vielfalt – zum Ausgleich von sprachlichen, ökonomischen und sozialen Defiziten – nicht durch Integrationsbemühungen in eine vorgeblich homogene Nationalkultur wieder rückgängig machen können.
Ob künftig auch die Internationalität einer mittleren Großstadt als städtisches Entwicklungspotenzial erkannt wird, hängt deshalb in einem ganz entscheidenden Maße davon ab, dass sich die Einwohner dieser Städte im Hinblick auf ihr Miteinander mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen auch als Bewohner inter- und transkultureller Städte begreifen. Denn wohl erst dann wird man über die bisherigen politischen Gegensätze hinaus die internationale und multikulturelle Vielfalt in den Städten selbst primär als ein Potenzial betrachten können, das durch interkulturelle Vernetzungen und transkulturelle Vermischungen im Außen- wie im Binnenverhältnis innovative Lebensweisen, neue Partizipations- und Arbeitsformen, kreativen Unternehmensgeist und ideenreiche Marktzugänge aus sich selbst hervorzubringen vermag. Dies mag dann auch als eine adäquate Antwort auf die immensen Herausforderungen und sozialen Verwerfungen zu verstehen sein, die der Prozess der Mondialisierung und Europäisierung zweifelsohne gerade für die Kommunen mit sich bringt.
Begegnung und transkulturelle Bildung in Mülheim
Vier Jahre lang unterstützte und begleitete das RISP die Stadt Mülheim a. d. Ruhr auf ihrem Weg zu einer internationalen Stadtgesellschaft. Hier sei nur in praktischer Hinsicht kurz angedeutet, wie die Kommune und das Team „Internationale Stadt“ der Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe mikom damit begonnen haben, vor Ort die Voraussetzungen und Bedingungen zu verbessern, damit künftig die inter- und transkulturellen Kompetenzen insbesondere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Mülheim stärker als bisher gefördert werden können.
Zu diesem Zweck wurde zunächst eine Auftaktkonferenz zur „Internationalen Stadt Mülheim an der Ruhr“ in der Akademie „Die Wolfsburg“ im Februar vergangenen Jahres durchgeführt. Da die Internationalität künftig alle Bereiche der Gesellschaft, Dimensionen der Kultur und Ressorts der Politik betrifft, war es wichtig, dass zur Auftaktkonferenz auch Teilnehmende aus Mülheim gewonnen werden konnten, die internationale Erfahrungen aus ganz unterschiedlichen Betätigungsfeldern mit einbrachten, u.a. aus den Bereichen: Bildung, Kultur, Wirtschaft und Beruf, Zivilgesellschaft, Migration und Integration, Religion und Glaubensgemeinschaften sowie Jugendarbeit. Auf diese Weise konnten von den Teilnehmenden ressortübergreifende Entwicklungspfade für die Stadt Mülheim auf ihrem Weg zur internationalen Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts gesucht und auch gefunden werden, wobei die Förderung der interkulturellen Bildung als zentrales Aktionsfeld zukunftsträchtigen kommunalen Engagements identifiziert wurde. Die Kommunen wurden nicht zuletzt als wichtige Akteure im vereinten Europa der Bürgerinnen und Bürger identifiziert. Als interaktives Bindeglied zwischen den Institutionen dieser Europäischen Union und ihren Bürgerinnen und Bürgern tragen sie vor allem durch die Städtepartnerschaften zum zwischenmenschlichen Austausch und zur grenzüberschreitenden Begegnung bei. Die Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld hob auf der Konferenz hervor, dass seit dem EU-Reformvertrag von Lissabon die Städte, Gemeinden und Kreise als unverzichtbare Mittler zwischen den Menschen in der Europäischen Union gesehen werden. Sie betonte überdies, dass sich EU-Parlament, EU-Ministerrat und EU-Kommission darin einig sind, dass Städtepartnerschaften auf dem Weg zum vereinten Europa einen wichtigen Beitrag zur gelingenden Integration leisten, die notwendige interkulturelle Kompetenz durch Begegnung erwerben helfen und so eine europäische Identität herausbilden sollen, die das Friedensprojekt Europa dauerhaft zukunftsfest macht. Diese Aufgabe müssen wir auch und vor allem unseren jungen Menschen vermitteln: Am einfachsten geschieht das im Austausch mit anderen Jugendlichen – über Ländergrenzen hinweg.
Ein weiterer Meilenstein, um künftig inter- und transkulturelle Kompetenzen fördern zu können, war daher auch die internationale Berufsbildungskonferenz vom 07. bis 10. Mai 2009 in Mülheim. Ziel dieser Konferenz war es, die Mülheimer Berufsschulen mit denen der Partnerstädte intensiver zu vernetzen und den Praktikantenaustausch zu einer festen und regelmäßigen Insti-tution zu machen. Der Informationsaustausch für die Mülheimer Schülerinnen und Schüler soll auf internationaler Ebene erreicht, ein gemeinsames Lernen in Projekten ermöglicht sowie die interkulturelle Kompetenz gefördert werden. Die Teilnehmenden der Konferenz waren sich darin einig, dass zunächst eine gemeinsame Internetplattform zu schaffen ist, die von den Schulen und Unternehmen in den Partnerstädten als Praktikumsbörse und Informationsplattform für multilaterale Austauschprojekte genutzt werden kann. Alle Teilnehmenden erklärten überdies in einer gemeinsamen Abschlusserklärung ihre Bereitschaft, den Schüler-/Praktikantenaustausch zwischen den Partnerstädten zu einer festen und regelmäßigen Institution zu machen und gemeinsam Austauschprojekte für Lehrer, Schüler und Mitarbeitende aus Unternehmen mit dem Ziel zu entwickeln, die interkulturelle und sprachliche Kompetenz insbesondere von Jugendlichen zu verbessern und sie fit zu machen für die Anforderungen des europäischen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes.
Um es künftig bei internationalen Begegnungen im Rahmen von Städtepartnerschaften und Schüler-/Praktikantenaustauschen nicht bei schlichten Begegnungskonzepten zu belassen, ist es allerdings erforderlich, dass diese durch inter- und transkulturelle Bildungsmodule ergänzt werden. Es empfiehlt sich daher, bereits bestehende Bildungsprogramme aus der inter- und transkulturellen Pädagogik auf europäische Jugendaustauschprogramme zu übertragen.
Anknüpfungspunkte hierzu bietet das transkulturelle Begegnungs- und Bildungskonzept „Ideenführer Europa“, das zurzeit von uns (RISP) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Programms „Vielfalt tut gut“ entwickelt wird. In Zusammenarbeit mit dem Team „Internationale Stadt“ der Stadtverwaltung Mülheim und der Gustav Heinemann Gesamtschule – Europaschule in NRW – wurde das von uns entwickelte Curriculum inzwischen von Schülerinnen und Schüler der Klasse 11 und ihrer Lehrerin Frau Mewenkamp in diesem Frühjahr erfolgreich erprobt. Es ist geplant, die Module dieses Curriculums künftig auch in Austauschprogramme und internationale Projekte mit Schulen aus europäischen Partnerstädten Mülheims zu integrieren.
Das Coaching des Jugendstadtrats und des Teams „Internationale Stadt“ der Stadtverwaltung hat zur Konzipierung des Vorhabens „Jugendstadtrat meets friends – Multilaterale Begegnung in 2010“ geführt. Im Jahr 2010 wird der Mülheimer Jugendstadtrat aus den Partner- und Cousinenstädten Mülheims Jugendstadträte oder interessierte Jugendliche einladen, sofern diese noch nicht über einen Jugendstadtrat verfügen. Auf einem mehrtägigen Kongress zum Thema „Politisches Engagement und europäisches Bewusstsein von Jugendlichen – Jugendstadtrat meets friends“ sollen Partizipationsmodelle von Jugendlichen aus den verschiedenen Ländern vorgestellt werden, Erwartungen Jugendlicher an Politik und EU sowie Mitwirkungsmöglichkeiten an europäischen Entscheidungen in der Jugendpolitik diskutiert werden. Ziel dieses Vorhabens ist es u.a., den interkulturellen Dialog zwischen den Jugendlichen zu fördern und in Europa Werbung für das Mülheimer Partizipationsinstrument „Jugendstadtrat“ zu machen.
Mitarbeitende: Manfred Bayer, Raphael Gareis, Peter Krumpholz, Björn Ochs und Alexander Schmidt
Kommunalverwaltung Stadt Mülheim an der Ruhr
Laufzeit: 04/2006 - 12/2010