Die Distanzierung zum Staat und Kränkung des Freiheitsgefühls

Autor/en: Léandre Chavand

Erscheinungsort: Duisburg

Erschienen: April 2022

Eindeutig sind Veränderungen der politischen und demokratischen Landschaften zu vernehmen. Wie es scheint, ist die freiheitliche Demokratie kein Selbstläufer, nachdem das dialektische Verhältnis der zwei großen politischen Systeme, realisiert im West- und Ostblock, am Anfang der 90er Jahre aufgelöst wurde. Der beschielte Fluchtpunkt einer mittel- und langfristig zwangsläufigen Ausbreitung des liberal-demokratischen Systems weltweit, Einzug haltend in jeden international anerkannten Nationalstaat qua System-Überlegenheit und mangelnder Alternativen (Francis Fukuyama), erweist sich heute in vielerlei Hinsicht als theoretische Irrung. Die Demokratie kann das Opfer eines doppelten Entfremdungsprozesses werden. Einerseits die Entfernung und der Verlust der Repräsentanz der politischen Institutionen gegenüber den Bürger*innen, andererseits die Entfernung der Bürger*innen von denselben, sowie das sinkende Interesse, sich an den demokratischen Prozessen zu beteiligen. Kurzum: Ein mehr oder weniger subtiles Misstrauen gegenüber der gegenwärtigen Verfassung der Demokratie und ein Zweifel an eigener politischer Selbstwirksamkeit.

Unter diesem Kriterium einer Gefahrenquelle für Demokratie widmet sich der Text einem Interview, welches mit fünf Diskutierenden aus der Schülerschaft eines Berufskollegs in der Rhein-Ruhr-Region durchgeführt wurde. Einerseits wird herausgestellt, welche Vorstellung von Politik und Staat aus den Aussagen ersichtlich wird, andererseits welches Freiheits- und damit eng verknüpft, welches Rechtsverständnis denselben zu entnehmen ist. Worauf verweisen die jeweiligen Verknüpfungen mit den Begriffen? Welche Wechselwirkung könnte zwischen den grundsätzlichen Annahmen von Politik und Freiheit und der Wahrnehmung aktueller oder zurückliegender politischer und gesellschaftlicher Vorkommnisse liegen? Gibt es verständliche Erklärungen für teilweise überaus scharfe, viel zu überzogene oder auch widersprüchliche Äußerungen der Diskutierenden? Insofern ist der Beitrag ein Verständigungsversuch. Er versucht die Aussagen einzuordnen, untersucht sie auf jeweilige Verweise und versucht an der einen oder anderen Stelle auf pathologische Zusammenhänge unserer liberalen Demokratie aufmerksam zu machen, die solche Aussagen befeuern könnten. Aber wie die Annahme einer doppelten Entfremdung als Brandbeschleuniger einer demokratischen Regression impliziert, liegt die Verantwortung nicht nur auf einer Seite, sie liegt bei Politik und Zivilgesellschaft gleichermaßen. Diese Perspektive bestimmt den Essay von Léandre Chavand.


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