Das Forschungs- und Verbundprojekt Radikaler Islam versus radikaler Anti-Islam – Gesellschaftliche Polarisierung und wahrgenommene Bedrohungen als Triebfaktoren von Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsprozessen bei Jugendlichen und Post-Adoleszenten
In den letzten Jahren lässt sich in Deutschland eine Polarisierung in der Gesellschaft feststellen, die mit wechselseitigen Abstoßungsprozessen verschiedener sozialer Gruppen verknüpft ist. Bedrohungswahrnehmungen zwischen Sozialgruppen gehen mit gruppenbezogenen Vorurteilen einher. Eine besondere Bedeutung kommt der (wahrgenommenen) Bedrohung durch den radikalen Islam zu. Diese schafft in der deutschen Gesellschaft die Gelegenheitsstruktur für eine reziproke Spirale potentieller Radikalisierung, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. So zieht sich ein Teil junger Muslime aufgrund einer empfundenen Ablehnung in Sicherheit verheißende (oft konservativ-religiöse) Kollektive zurück, die ein Einfallstor für Radikalisierung darstellen können. Im Gegenzug findet in Teilen der nichtmuslimischen Bevölkerung eine durch Ängste beförderte Radikalisierung in Richtung Rechtsextremismus statt, die eine Radikalisierung im linken politischen Spektrum befördert. Das beantragte Projekt untersucht auf inter- und transdisziplinäre, interreligiöse sowie multimethodische Weise empirisch gestützt bislang nicht im Zusammenhang betrachtete gesellschaftliche Aspekte einer Radikalisierungsspirale und erarbeitet auf der Basis dieser Ergebnisse Präventionsmaßnahmen für den Bildungsbereich. Die zentrale Forschungsfrage des verschiedene Standorte übergreifenden Verbundprojektes lautet: Welche kollektiven Interventionsansätze können bei der Radikalisierung und Co-Radikalisierung Jugendlicher und postadoleszenter Muslime und Nicht-Muslime identifiziert werden?
Politik-, Gesellschafts- und Bürgerberatungsaktivitäten des RISP im Verbundprojekt RIRA
RIRA ist kein reines Forschungsprojekt. Vielmehr werden im Verlaufe des Projekts Präventions- und Bildungsmaßnahmen mit und für schulische wie außerschulische Bildungsträger bzw. für staatliche wie zivilgesellschaftliche Akteure der Bildungs-, Begegnungs-, Beratungs- und Integrationsarbeit entwickelt, erprobt und verbreitet.
Peter Krumpholz (Universität Duisburg-Essen, Projektteam Prof. Dr. Susanne Pickel; Leiter der Forschungsgruppe Migration und interkulturelle Kommunikation im Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung an der Universität Duisburg-Essen, RISP a.d. UDE) arbeitet seit vielen Jahren in Wissenschaft-Praxis-Tandem Teams u.a. zu Radikalisierungsprävention und interkultureller/interreligiöser Bildung. Über das RISP stellt er die Verbindung zwischen der universitären Forschung und der Präventionspraxis her, indem er die wissenschaftliche Forschung mit verschiedenen Praxispartnern vernetzt.
Der Aufbau der Wissenschafts-Praxis-Tandems dient a) der bedarfsorientierten und passgenauen Gewinnung weiterer Praxispartner*innen, b) dem frühzeitigen und parallel zur wissenschaftlichen Forschung verlaufenden Einbezug der Praxispartner*innen in die Entwicklung, Erprobung und Implementation von kollegialen Maßnahmen gegen Ko-Radikalisierungsprozesse.
Fragen nach den bislang verfolgten Maßnahmen der Radikalisierungsprävention, ihren Einsprungpunkten in die Entwicklung der Radikalisierungsspirale, der Einbindung von Erfahrungen und Kenntnisstand der Präventionspraxis und Demokratieförderung über gesellschaftliche Wirkungen des radikalen Islam auf reziproke Polarisierungs-, Spaltungs- und Co-Radikalisierungsprozesse leiten seine Evaluation der Präventionspraxis (Fokussierte Interviews/Experteninterviews mit 8-12 Praktikern*innen aus der Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung).
Zur Tiefenanalyse von Radikalisierungsprozessen und der Bestimmung, unter welchen Bedingungen die Radikalisierungsspirale greift, übernimmt Peter Krumpholz in enger Kooperation mit Projektpartnern aus Essen, Leipzig und Osnabrück zwei Gruppendiskussionen mit 4-6 nicht-muslimischen Schüler*innen im Abstand von zwei Jahren sowie 6 Einzelinterviews mit Schüler*innen. Diese Ergebnisse fließen in die Fragebogenentwicklung der Primärerhebung ein. Weitere zentrale Befunde zu den Bedingungen und Verläufen von Radikalisierungsprozessen Jugendlicher und Adoleszenter werden durch 7 Interviews mit Lehrer*innen und 8 Interviews mit weiteren Expert*innen erzielt, die begleitend erhoben werden. Aus den Ergebnissen der qualitativen und quantitativen Erhebungen werden Materialien für die Schulung von Multiplikatoren in der Präventionspraxis, der Erwachsenenbildung und politischen Bildung erstellt und Schulungen durchgeführt.
Hauptaufgabe des RISP in Zusammenarbeit mit der Präventionspraxis ist die Entwicklung, Erprobung und Einrichtung kollegialer Maßnahmen zur (Ko-)Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung (5/2021 bis 8/2024):
Das Wissenschafts-Praxis-Tandemteam Rhein-Ruhr-Region/RISP entwickelt, erprobt, implementiert und verbreitet 3 fächerübergreifende, außerunterrichtliche Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen für Kollegien der Präventionspraxis. Diese dienen der Entwicklung pädagogischer Kooperation und dem Aufbau kollegialer Kompetenz in Fragen kollektiver Co-Radikalisierungsprävention. Auf fachlicher Grundlage von Exploration, Gesellschaftlicher Stimmungslage, Tiefenanalyse und Eskalationszirkeluntersuchung erfolgt dies an Schulen und Bildungseinrichtungen je nach Bedarf z.B. durch Einführung von Kollegialer Fallberatung, Team-Supervision oder Pädagogischer Konferenz, um kollektive (Co-)Radikalisierungsprozesse und Eskalationszirkel durch kollegialpräventive Instrumente unterbinden zu können.
Die Entwicklung der Maßnahmen erfolgt im Zeitraum: 7/2021 bis 6/2022, die Erprobung: 7/2022 bis 6/2023, die regionale Implementation: 7/2023-2/2024 sowie Dokumentation und Transfer: 1/2024 bis 8/2024.