Migration und Interkulturelle Kommunikation
Die im Jahre 2001 gegründete Forschungsgruppe Migration und interkulturelle Kommunikation (Mikom) befasst sich mit Fragen der Migration und des gesellschaftlichen Zusammenhalts aus der Perspektive der Politik- und Bildungswissenschaften. Im Mittelpunkt stehen dabei vier Forschungsbereiche: 1. Religionspolitologie und politische Kulturforschung, 2. Konflikt-, Extremismus- und Antisemitismusforschung, 3. Interkulturelle und Interreligiöse Bildung sowie 4. Politische Philosophie, Religions- und Kulturphilosophie.
Unsere Forschung dient der Politik- und Gesellschaftsberatung. Sie erfolgt daher in enger Kooperation mit Partnern aus Wirtschaft, Politik, Bildung, Kultur und Religion. Dabei verfügen wir über langjährige Erfahrung in
- religionspolitologischer Politik- und Gesellschaftsberatung
- der Konzeption und Durchführung von Modellprojekten zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
- kooperativer Entwicklung, Erprobung und Implementation von Bildungsmaßnahmen zur Extremismus- und Antisemitismusprävention, Verfassungs- und Demokratieförderung
- präventiver Fallberatung, Teambildung und Supervision im inner- und außerschulischen Bildungsbereich
- interkultureller und interreligiöser Weiterbildung von Lehrkräften aller Schulformen, von Schulpsychologen und sozialpädagogischen Fachkräften
- Begleitforschung und Evaluation von kommunalen und regionalen Integrationsmaßnahmen
Die Durchführung von Modellprojekten erfolgt auf der Basis von empirischen Befragungen, um gewährleisten zu können, dass dabei die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden.
Dokumentationen und Materialien der Forschungsgruppe finden Sie unter den laufenden und abgeschlossenen Projekten. Einige von unseren Materialen finden Sie zudem auf den Seiten der Vielfalt-Mediathek des Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (IDA). IDA sammelt, archiviert, verleiht und vernetzt Materialien und Projekte, die in den verschiedenen Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Gewalt entstanden sind bzw. entstehen.
Hintergrundinformationen zum Forschungs- und Beratungsansatz der FG MIKOM
Peter Krumpholz
Kultur und Religion aus der Perspektive von Religionspolitologie und Politischer Philosophie
Während Europa traditionell zwischen säkularer und religiöser Kultur schwankt, ist in den USA und im größten Teil der Welt die Bevölkerung mehrheitlich religiös. Internationale Konflikte bestehen daher u.a. zwischen dem europäischen Säkularismus, der Zivilreligion der USA und der politischen Religion des Islamismus. Jedoch ist der kulturreligiöse Konflikt zwischen Europa und dem Islamismus nicht nur ein außenpolitischer, sondern zugleich ein innereuropäischer Konflikt zwischen dem Islamismus und dem modernen Verfassungsstaat. In vielen europäischen Gesellschaften, so auch in der Bundesrepublik, sind Spannungen zwischen traditionellen Muslimen und dem pluralistischen Modell der Gesellschaft zu beobachten. Selbstredend sind dies nicht die einzigen Konflikte in unserer Gesellschaft.
Die Verknüpfung, Vermischung oder Vereinheitlichung von säkularen mit religiösen Wirklichkeitsinterpretationen bei Phänomenen des politisch-religiösen Extremismus sind heute zwar wohl bekannt. Indes gilt dies nicht nur für den politisch-religiösen Fundamentalismus, bei dem diese Zusammenhänge evident und mittlerweile unumstritten sind. Vielmehr betrifft dies auch den so genannten Links- und Rechtsextremismus. Kulturreligiöse Konflikte, die durch Materialismus und Pleonexie, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Transzendenzskepsis, Antireligiosität und Islamophobie, oder durch Re-Ethnisierung, Segregation, politisch-religiösen Fundamentalismus, bildungsferne Weltfremdheit und exklusive Gottesbegeisterung hervorgerufen werden, bedingen sich zumeist gegenseitig und gefährden so das gesellschaftliche Zusammenleben. Mentale und religiöse Differenzen unter Bürgerinnen und Bürgern führen insbesondere dann zu Konflikten, wenn sie durch exkludierende Nationalismen und integralistische Glaubenslehren fundiert werden. Auf der Grundlage partikularer Selbst-, Gesellschafts- und Weltdeutungen entstehen polarisierende Gegenüberstellungen von vermeintlich Gläubigen und Ungläubigen, von säkularer und religiöser Kultur. Durch positive Selbst- und negative Fremdkulturalisierung werden nationale und ethnisch-religiöse, vermeintlich homogene Kollektivgemeinschaften wie fundamental-dramatisierte Differenzen und Spaltungslinien konstruiert. Auf diese Weise werden exklusive Zugehörigkeiten imaginiert, die leicht zu Diffamierung, Dämonisierung und Ausgrenzung führen können.
Die sozialwissenschaftlichen Erklärungsversuche, die in der Vergangenheit zumeist die ökonomische und soziale Desintegration in den Mittelpunkt der Erforschung von Fremdenfeindlichkeit und Fundamentalismus stellten (vgl. u.a. W. Heitmeyer „Verlockender Fundamentalismus. Türkische Jugendliche in Deutschland“, Ffm. 1997), greifen zu kurz. Doch gilt dies auch für kulturwissenschaftliche Forschungsansätze. Wer wie Samuel Huntington soziale Fragen ausgeklammert, die Kulturen mit den großen Weltreligionen identifiziert und allein in diesen die Hauptursache interkultureller Konflikte sieht (vgl. Kampf der Kulturen, München und Wien 1997, S.52), fragt nur unzureichend nach den konkreten Glaubensformen und säkularen Wertorientierungen der Menschen innerhalb einer Kultur. Die Ursache interkultureller oder interreligiöser Konflikte wird zudem aprioristisch im Glauben bzw. spezifischen Glaubensformen verortet, während säkulare Selbst- und Weltdeutungen unbeachtet bleiben und somit im Vorhinein exkulpiert werden.
Den gegenwärtigen Herausforderungen angemessener sind Konzepte von Interkulturalität und Interreligiosität, die den Zusammenhang von Religion und Gewalt nicht ausblenden, darüber hinaus jedoch den Topos der Kultur weiter fassen als das Zusammenspiel von säkularer Vernunft und Religion, wie z.B. Ratzinger, und somit auch in der Lage sind, die Frage aufzuwerfen, ob diese „sich gegenseitig begrenzen und je in ihre Schranken weisen und auf ihren positiven Weg bringen“ können (Werte in Zeiten des Umbruchs – Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, Freiburg 2005, S. 32).
Im gegenwärtigen Prozess der globalen Begegnung und Durchdringung der Kulturen hängt die Frage nach einer ethischen Grundlage für ein kulturreligiöses, d.h. interkulturelles und interreligiöses Miteinander nicht nur davon ab, ob es zwischen den kulturellen Räumen der Welt zu einer polyphonen Korrelationalität von Vernunft und Religion, säkularen Weltsichten und der Vielfalt der Glaubensformen kommt. Weil es auch innerhalb der kulturellen Räume keine Einheitlichkeit gibt, gilt dies vielmehr auch für die europäischen Gesellschaften. Es kommt darauf an, die gegenwärtigen Pathologien in den Religionen wie die Hybris der säkularen Weltanschauungen, gleichermaßen erkannt, zu kontrollieren. Um die Chancen und Gefährdungen der demokratischen, plural-religiösen Kultur zu verstehen, müssen daher die von den Menschen je geglaubten Existenz- und Weltdeutungen – seien sie primär religiöser oder säkularer Ausrichtung – empirisch erforscht und die vor Ort gewonnen Befunde in praktische Modellvorhaben einbezogen werden. Eine differenzierte Vorgehensweise ist notwendig, um einerseits der fundamentalistischen und fremdenfeindlichen Dramatisierung und andererseits der Verharmlosung der Herausforderungen und Probleme entgegenzuwirken, die sich aus dem interkulturellen und plural-religiösen Zusammenleben ergeben können.
Um den politischen und gesellschaftlichen Akteuren vor Ort kulturreligiöse Handlungsalternativen jenseits rein ökonomischer, reaktiv-juridischer, säkular-kultureller oder interreligiöser Maßnahmen eröffnen zu können, ist ein neues Verständnis von Kultur erforderlich, das soziale Fragen nicht ausklammert und interkulturelle mit interreligiösen Ansätzen verknüpft. Wer den Topos der Kultur exklusiv in einem nur idealistischen oder lediglich materialistischen Sinne versteht, z.B. allein als Religion, bloß als Politik oder nur als Wirtschaft, ist mit diesem einseitigen Kulturverständnis bereits dabei, freiwillig oder nicht, einen Beitrag zum so genannten Kampf der Kulturen zu leisten. Wer hingegen den Topos der Kultur inklusiv als Religion, Politik und Wirtschaft etc. bestimmt, ist in der Gefahr, alle Bereiche des menschlichen Denkens und Tuns zu kulturalisieren und die relative Eigenständigkeit des religiösen, politischen und wirtschaftlichen Handelns zu unterschätzen. Die vermeintliche Substanz der Kultur ist weder – um den Streit zwischen Idealisten und Materialisten nicht fruchtlos fortzuführen – die Religion oder die Wirtschaft, noch sind es – um den Streit zwischen exklusiven Reduktionisten und inklusiven Ideologen nicht zugunsten letzterer zu entscheiden – Religion, Politik und Wirtschaft. Im Sinne eines Modells der wechselseitigen Begrenzung und Abhängigkeit kommt es daher darauf an, Kultur nicht in einem substanziellen, sondern im grundbezogen-relationalen Sinne vor allem als das Verhältnis von Religion, Politik und Wirtschaft zu begreifen, wie es empirisch vorherrschend ist und ethisch sein sollte. Auf der Grundlage eines solchen Kulturverständnisses ist es zudem erforderlich, kulturreligiöse Bildungs- und Begegnungskonzepte zu entwickeln und zu erproben, nicht zuletzt weil in der praktischen Kulturarbeit bisher oftmals die säkular orientierten Freunde der Aufklärung zumeist ebenso unter ihresgleichen geblieben sind wie die Freunde der Religion. Während erstere vornehmlich den interkulturellen Dialog pflegten, blieben letztere im interreligiösen Dialog allzu oft unter sich. Wer indes Religion verkennt, kann Kultur nicht erkennen. Wer hingegen Kultur auf Religion reduziert, dem dürfte es schwer fallen, die relative Eigenständigkeit der säkularen Sphäre anzuerkennen.
Da bei Phänomenen wie Fundamentalismus, Nationalismus und Rassismus der Zusammenhang zwischen säkularer und religiöser Wirklichkeitsinterpretation evident ist, ist es in der kulturreligiösen Forschungspraxis unumgänglich, auch religionspolitologische Forschungsansätze aufzugreifen (vgl. Bärsch: Zweck und Inhalte der Religionspolitologie. In: Bärsch, Berghoff und Sonnenschmidt: Wer Religion verkennt, erkennt Politik nicht - Perspektiven der Religionspolitologie, Würzburg 2005).
Im Zentrum der Religionspolitologie steht der Zusammenhang zwischen dem Bewusstsein von Mensch, Gesellschaft und Geschichte und der Religiosität oder deren Negation. Erforscht wird deshalb auch nicht nur, „ob und wie die Menschen ihre Existenz religiös deuten“, sondern darüber hinaus, „ob sie ein religiöses Bewusstsein von der gesellschaftlichen Ordnung haben und ob ihre Entscheidungen über die Ordnung der Gesellschaft unbewusst durch ihre Religiosität beeinflusst werden“ (ebenda, S. 15).
Im Unterschied zu bisherigen Forschungen ist daher nicht die Religion allein der Gegenstand der Religionspolitologie, sondern das Verhältnis von Politik und Religion. Der religionspolitologische Forschungsansatz ist deshalb auch nicht primär an der Beziehung zwischen den Kollektivsubjekten ‚Staat’ und ‚Kirche’ – mit anderen Worten: der kollektiven Identität des ‚Staates’ und der ‚Kirche’ – orientiert. Denn die vorschnelle Verwendung des Begriffes ‚Staat’ bzw. primäre Orientierung am Staat stünde im Widerspruch zu Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes. Nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 ist nicht der ‚Staat’ maßgebend, sondern das Volk: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ und (Satz 2): „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“. Das Volk wiederum ist mit der Kategorie des Pluralismus wahrzunehmen. Es besteht aus vielen voneinander zu unterscheidenden Menschen. Im Unterschied zu anderen Forschungskonzeptionen wird daher von der Religionspolitologie auch die Differenz zwischen Regierenden und Regierten berücksichtigt. Daraus folgt, dass nicht nur erforscht wird, wie die Bevölkerung das Verhältnis von Politik und Religion wahrnimmt, sondern auch erfasst wird, wie dieses Verhältnis von politischen Entscheidern und Parlamentariern gedeutet wird.
Von der Religionspolitologie wird also nicht nur die Religiosität der Menschen bzw. das erforscht, woran die Herrschenden und Beherrschten, die Regierenden und Regierten sowie die Befehlenden und Gehorchenden gemeinsam oder nicht (mehr) gemeinsam glauben. Die Besonderheit des religionspolitologischen Forschungsansatzes besteht vielmehr darin, dass vor allem nach der kulturellen und politischen Bedeutung der Religiosität (oder deren Negation) der Menschen für ihr jeweiliges Bewusstsein von der gesellschaftlichen Ordnung gefragt wird. Ausgehend von der religiösen ebenso wie der areligiösen Selbstwahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger kommt es der Religionspolitologie sowohl darauf an, zu ermitteln, welche politischen Implikationen die unterschiedlichen Formen ihrer Religiosität haben, als auch darauf an, herauszufinden, welche kulturelle und politische Bedeutung ihre Religionskritik oder Areligiosität haben, um darauf aufbauend eine religionspolitologische und kulturreligiöse Politikberatung etablieren und empirisch fundierte Bildungs- und Begegnungskonzepte für die Bevölkerung und politische Entscheider entwickeln und erproben zu können.
Jenseits der Frage, ob man für oder wider eine Religion oder gar die Religion ist, kann von der Religionspolitologie – was im Zeitalter der Mondialisierung von besonderer Bedeutung ist, da an immer mehr Orten der Welt Menschen mit unterschiedlichen Glaubensformen und säkularen Weltsichten leben und daher neue, interkulturelle und interreligiöse Regeln der Koexistenz finden müssen – erstmals in vergleichender Perspektive erfasst werden, wie Gläubige, Andersgläubige und Nicht-Gläubige das Verhältnis von Religion und Politik deuten. Weder Religion noch Religionskritik oder Säkularität werden dabei ausschließlich im Modus des Konflikts und eines erneuerten Kulturkampfes als Dispositive politisch oder religiös motivierter Gewaltbereitschaft wahrgenommen. Gefragt wird mithin sowohl danach, welche Inhalte des Glaubens als auch danach, welche Gehalte des säkularen Bewusstseins der demokratischen Kultur förderlich sind bzw. diese bereichern und welche Glaubens- oder säkularen Bewusstseinsformen abträglich sind, zu Fanatismus und Fatalismus tendieren und die politisch oder religiös motivierte Gewaltbereitschaft begünstigen. Ausgehend von einer Korrelationalität von Vernunft und Glaube kann sowohl danach gefragt werden, welche säkularen Deutungsmuster, als auch danach, welche Formen der Religiosität mit Fremdenfeindlichkeit einhergehen und das interkulturelle und interreligiöse Miteinander gefährden. Erstmals kann in vergleichender Perspektive erfasst werden, wie verbreitet einerseits religiöse Pathologien und andererseits säkulare Hybris sind. Denn gerade im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen der Integration kommt es darauf an, nicht isoliert die – möglicherweise nicht vorhandene – Verfassungsloyalität z.B. von Muslimen (vgl. hierzu Brettfeld und Wetzels, Muslime in Deutschland, Hamburg 2007), sondern auch diejenige von Säkularisten, Christen, Juden und postkonfessionell Gläubigen zu erfassen. Erst in vergleichender Perspektive kann eine politische Gewichtung der Befunde vorgenommen werden, die sich nicht leichtfertig dem Vorwurf der Dramatisierung oder Verharmlosung einer Gruppe aussetzt.
Um die Chancen und Gefährdungen der freiheitlich-demokratischen und plural-religiösen Kultur heute erkennen zu können, ist es erforderlich, die sozialdominanten Selbst-, Gesellschafts- und Weltdeutungen der Bürgerinnen und Bürger – seien diese primär religiöser oder säkularer Ausrichtung – empirisch zu erforschen und die wahrscheinlichen Folgen dieser Deutungen für das kulturelle Mit- oder Gegeneinander bzw. deren jeweilige Vor- und Nachteile für ein gelingendes Miteinander herauszustellen. Es kommt je nach kultureller Konstellation und empirischer Verbreitung darauf an, sowohl den fundamentalistischen und fremdenfeindlichen Dramatisierungen als auch der pseudo-liberalen Verharmlosung der Herausforderungen entgegenwirken zu können, mit denen gegenwärtig auf das interkulturelle und plural-religiöse Mit-, Neben-, Durch- und Gegeneinander reagiert wird.
Zwecks Grundlegung einer präventiv ausgerichteten Politikberatung ist es nicht zuletzt erforderlich, auch die Wechselbeziehungen von Gläubigen zu Andersgläubigen und Nicht-Gläubigen zu erfassen. Denn damit kann ein Beitrag zu einer nicht allein reaktiven, sei es nun juristisch oder polizeilich, sondern präventiv ausgerichteten religionspolitologischen Politikberatung geleistet werden, die auf eine Förderung des kritisch-loyalen Bewusstseins der Bürgerinnen und Bürger sowohl für die politischen Implikationen ihrer Religiosität als auch für die religiösen Implikationen ihres politischen Handelns abzielt, zumal das Bewusstsein für die religiösen Implikationen säkularer Selbst- und Weltdeutungen mäßig ausgeprägt ist. Unter den Bedingungen des religiösen und weltanschaulichen Pluralismus in (post)säkularen Gesellschaften, in denen der Glaube an Gott zu einer Option neben vielen anderen geworden ist, erfordert eine lebendige Verfassungskultur einen zivilen Wettbewerb der Weltsichten und Wettstreit um Werte unter den gläubigen, andersgläubigen und nichtgläubigen Bürgerinnen und Bürgern um die Vor- und Nachteile religiöser und säkularer Selbstdeutungen. Darum ist es, auch aufgrund der praxisorientierten Zielsetzung unserer Forschungen, notwendig, weder die Religiosität noch die Areligiosität der Bürgerinnen und Bürger vorschnell zu bewerten, sondern zunächst einmal empirisch nachzuvollziehen und zu verstehen. Nur wenn die religiösen, religionskritischen und areligiösen Motive und Voraussetzungen ihrer politischen Entscheidungen eruiert werden, können darauf basierend religionspolitologische und kulturreligiöse Politikberatungs- und Bildungskonzepte entwickelt werden, die das gegenwärtige Bewusstsein der Menschen, wie sie sich selbst und ihre gesellschaftliche Existenz wahrnehmen und deuten, und ihre jeweiligen Handlungsorientierungen zum Ausgangspunkt nehmen. Da eine Politikberatung empirisch fundierte Kenntnisse voraussetzt, wie sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch Mandatsträger und Parlamentarier das Verhältnis von Politik und Religion wahrnehmen, sind stets auch die Regierenden, also politische Entscheidungsträger, in die Forschungen und Projekte mit einzubeziehen.
Im Hinblick auf das stets relevante Problem der Konstituierung kollektiver Identität – mag sie als vernünftig oder unvernünftig gelten – wird mit Hilfe der Kategorien Differenz, Negation, Inklusion oder Exklusion deutlich, wie es zu einer Verknüpfung von Politik und Religion kommen kann und welche Folgen wiederum wahrscheinlich sind. Mit anderen Worten: wenn Menschen aufgrund ihrer religiösen Weltanschauung zu der Überzeugung gelangen, dass zur Herstellung ihrer eigenen Identität die Negation des anderen zwingend erforderlich ist, so hat dies in jedem Fall politische Folgen. Es kann sein, dass eine Zivilreligion das Gebot der Gleichheit aller Menschen und Gesellschaften vor Gott enthält. Es ist hingegen auch möglich, dass sich positive Selbstbestimmung und negative Fremdbestimmung wechselseitig ergänzen. Wird z.B. bei einer politischen Religion an einen Kampf zwischen Gott und dem Bösen geglaubt und ist die exklusive Beziehung zwischen Gott und dem eigenen Kollektiv konstitutiv für die kollektive Identität, so muss die Differenz zu den Mitgliedern anderer Kollektive nicht nur den Charakter der Negation haben; sondern es kann fest daran geglaubt werden, dass das jeweils andere Kollektiv vom Bösen unterminiert ist und deren Mitglieder bekämpft oder sogar vernichtet werden müssen. Mit Claus-E. Bärsch schlagen wir folgende allgemeine Merkmale zur Kennzeichnung einer Pathologie des Religiösen vor:
- "Der unerschütterliche Glaube an die Übereinstimmung des jeweils eigenen, konkreten Willens mit dem Willen Gottes. Die Grundlagen solchen fundamentalen Größenwahns sind das vermeintliche Wissen, zu dem allmächtigen Gott eine außerordentlich-unmittelbare Beziehung zu besitzen, Gott im eigenen Selbst zu haben sowie an die Gottgleichheit der eigenen Seele oder des eigenen Kollektivs zu glauben.
- Der Glaube an die vom Satan oder dem Teufel bewirkte Personifikation des metaphysisch Bösen im einzelnen Menschen oder in menschlichen Kollektiven.
- Der Glaube, zukünftiges Heil schon in dieser Welt durch die Vernichtung der Bösen durch menschliche Taten herbeiführen zu können oder zu müssen.
Dies hat eine fatale Konsequenz: der total heilige Zweck der zukünftigen Erlösung vom Bösen heiligt alle Mittel. Darüber hinaus ist die Vernichtung der Bösen nicht nur eine Option, sondern wird zum Zwang." (Claus-E. Bärsch: Die Schoah und "Das Reich, das kommt", vgl. auch ders., Die politische Religion des Nationalsozialismus, München 2002).
In der religionspolitologischen Forschung geht es indes nicht nur um die empirische, historische und theoretische Erforschung politischer Aussagen und Symbole in Glaubensformen, Religionen und Theologien. Gegenstand des Interesses sind auch religiöse Implikationen politischer Ideen, säkularer Handlungen und Ordnungen. Ein Verständnis kulturreligiöser, d.h. vor allem politisch-religiöser oder religiös-politischer Konflikte ist heute nur möglich, wenn bei säkularen Weltdeutungen die religiösen Implikationen ebenso beachtet werden wie bei religiösen Selbstdeutungen die säkularen.
Es gilt daher zu berücksichtigen, dass politisch-religiöse oder religiös-politische Konflikte und Kulturkämpfe auch aus vordergründig säkularen Selbst-, Gesellschafts- und Weltdeutungen resultieren können. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn innerweltliche Bezugspunkte an die Stelle von transzendentem Sein und Seinsgrund gerückt und kryptoreligiös oder traditionelle Religionen substituierend verabsolutiert werden. Wenn die eigene Existenz beispielsweise allein autonom, lediglich sozionom oder nur physionom gedeutet wird, führt dies leicht dazu, dass auch die politischen Handlungsmöglichkeiten und -grenzen entweder grob über- oder aber unterschätzt werden. Die Pluralität und wechselseitige Ergänzung wie Begrenzung der Grundwerte der Verfassung kann dann nicht mehr erkannt werden. Es kann in Extremfällen sein, dass die Meinung vertreten wird, dass entweder das Leben des Einzelnen durch die Gesellschaft, in der man lebt, oder durch die Tradition und Geschichte des Volkes, dem man sich zurechnet, oder aber durch die Gesetze der Natur bzw. physischen Welt vollständig bestimmt sind oder werden sollten. Es ist indes auch möglich, dass das Selbstbewusstsein der Menschen nicht ausschließlich in Abhängigkeit von ihrem Bewusstsein von Gesellschaft, Geschichte oder Welt und Natur bestimmt wird. Vielmehr kann diesen Haltungen entgegengesetzt die Meinung vertreten werden, dass der Mensch frei von allem sei und sein Leben in jeder Hinsicht selbst bestimmen könne und solle, wenn er es nur wolle und durch andere nicht daran gehindert werde.
Wie dem auch sei: Aus der Perspektive der Religionspolitologie gilt es zu bedenken, dass im malumtypologisch zugespitzten Sinne Welt und Existenz – je nachdem ob diese religiös oder säkular gedeutet werden, ob Gott, Götter, überirdische Wesen oder höhere Mächte, der einzelne Mensch, die Gesellschaft oder die Natur das Kristallisationszentrum der Realitätsauffassung bilden – allein theo-, auto-, sozio- oder physionom gedeutet werden können. Im Extremfall könnte es sein, dass beispielsweise geglaubt wird, Gott sei jenseits der Welt ohne jedweden Bezug zu einer für den Menschen ganz bedeutungslosen Welt. Wenn geglaubt wird, dass diese eher früher als später untergehen werde, dann liegt der Gedanke nahe, dem Fall dessen, was ohnehin in seiner Hinfälligkeit und Verdorbenheit dem Untergang geweiht sei, tatkräftig nachzuhelfen. Es kann aber auch die Meinung vertreten werden, dass der letzte Grund nur in der Welt, in Teilen der Welt oder im eigenen Selbst zu verorten sei. Es muss, mit anderen Worten, einerseits damit gerechnet werden, dass der Glaube an eine Bestimmung durch Gott die Gläubigen dazu verführt, die Selbstbestimmung der Menschen in kultureller, gesellschaftspolitischer und ökonomischer Hinsicht zu substituieren; und andererseits damit, dass die Grenzen der Selbstbestimmung übergangen oder die Abhängigkeit von der Natur im Übermaß hervorgehoben wird, indem man sich dem Bewusstsein und Gefühl „schlechthinniger Abhängigkeit“ (Schleiermacher 1889, 27) bzw. dem, „was uns unbedingt angeht“ (Tillich 1956, 19ff.), verschließt.
Es muss jedoch nicht nur damit gerechnet werden, dass eine unvollständige, nicht allen Seinsdimensionen und Daseinssphären gegenüber offene Selbstdeutung ausgebildet wird und damit die Handlungsmöglichkeiten grob über- oder unterschätzt werden. Vielmehr dürfte es im Zeitalter der Globalisierung eher selten der Fall sein, dass gänzlich ohne Kenntnis anderer Glaubens- und Weltanschauungsformen die eigene Existenz auf nur eine oder wenige Dimensionen reduziert gedeutet wird. Da die rigide Apperzeptionsverweigerung in Anbetracht der weltweiten Vernetzung der Menschen eher die Ausnahme, und das Befremden, die Geringschätzung oder Abwertung als Kompensationsstrategie eher die Regel sein dürfte, muss heute vor allem damit gerechnet werden, dass politisch-religiöse Konflikte aus einer bestimmten Konnexität von erfahrenen oder konstruierten Glaubens- und Existenzdeutungsdifferenzen und seltener aus einseitig-reduktionistischen Weltanschauungen ohne ausdrücklichen Bezug auf andere resultieren. Wenn Weltanschauungsdifferenzen verstärkt zur Kenntnis genommen und damit bisherige Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden, dürfte es vor allem dann zu Konflikten kommen, wenn in Reaktion hierauf vermeintliche oder tatsächliche Differenzen nicht mehr schlicht verleugnet und ausgeblendet werden, sondern wenn diese - zum Zwecke der Stabilisierung bisheriger Selbstverständlichkeiten bzw. der Wiederherstellung der Geschlossenheit und Homogenität der eigenen Weltanschauung - einseitig oder gar wechselseitig fundamentalisiert und auf vermeintlich homogene Kollektive bezogen werden und ein Prozess der positiven Selbst- und der negativen Fremdkulturalisierung in Gang gesetzt wird.
Kurzum: Nur wenn vordergründig säkulare wie religiöse Entgleisungen im Kontext aufeinander bezogener Diskurse beachtet werden, können ein- oder wechselseitige Fundamentalisierungen von Differenzen angemessen erkannt und in ihrer empirischen Relevanz bzw. Verbreitung unter den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt erfasst und gewichtet werden. Ohne Rezeption des theoretischen Hintergrunds der Religionspolitologie ist ein Verständnis von kulturreligiösen Konflikten in religiös wie säkular pluralen Gesellschaften, in denen Religiosität zu einer Option unter vielen geworden ist, nicht mehr möglich.
Interkulturalität betrifft nicht nur das Zusammenleben von Deutschen mit Ausländern oder von Menschen mit Migrationshintergrund mit Menschen ohne Migrationshintergrund. Ein solches Verständnis von Interkulturalität, dass heute in der Öffentlichkeit und bisweilen auch in den Wissenschaften und der interkulturellen Pädagogik vorherrschend ist, beruht auf einem verkürzten, lediglich sozialem und nicht mehr personalem Verständnis von Kultur. Unter Kultur wird daher nicht mehr die Kultivierung und Zivilisierung der Persönlichkeit oder die individuelle wie arbeitsteilig gemeinsame Pflege der menschlichen und außermenschlichen Natur und das daraus resultierende Zusammenleben von Menschen mit gemeinsamen und unterschiedlichen – mehr oder weniger zivilisierten – Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Wertvorstellungen, Lebensstilen und Präferenzen verstanden, sondern die Besonderheit einer Gruppe von Menschen im Gegensatz zu anderen. Meist orientiert man sich bei der Herstellung des Gruppenbezugs an den politisch organisierten Gesellschaften, den sog. Nationalstaaten. Ein solches Verständnis von Kultur ist jedoch nach innen hin stark homogenisierend bzw. vereinheitlichend und nach außen hin entschieden abgrenzend (vgl. hierzu grundlegend: Wolfgang Welsch, Transkulturalität – Die veränderte Verfassung heutiger Kulturen). Nicht zuletzt widerspricht es dem Selbstverständnis einer pluralen Gesellschaft. Es führt dazu, dass auch diejenigen, die das interkulturelle Miteinander fördern wollen, das „Inter“ (Zwischen) in „Interkulturalität“ auf das beziehen, was zwischen Menschen aus unterschiedlichen Gruppen sich ereignet, und nicht schlicht auf das, was konkret zwischen Menschen stattfindet, nämlich auf das Zwischenmenschliche. Obwohl man zu einem Dialog der Kulturen beitragen und Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen überwinden möchte, trägt man mit einem unreflektierten, ausschließlich kollektivistischen Verständnis von Kultur zur Homogenisierung der eigenen Gruppe und ihrer Separierung von anderen Gruppen bei und damit auch zur Schaffung von Problemen, die man doch eigentlich überwinden möchte. Um dies zu vermeiden, schlagen wir vor, nicht nur ein gruppenbezogenes, sondern auch ein personales Verständnis von Kultur und Interkulturalität auszubilden. Es kommt also darauf an, nicht allein die Zugehörigkeit der Menschen zu einer national, ethnisch, staatlich, sprachlich oder religiös bestimmten Gemeinschaft in den Mittelpunkt des Kulturverständnisses zu stellen, sondern ein Verständnis auszubilden, dass von den Kenntnissen und Fertigkeiten, Lebensstilen, Wertvorstellungen und Vorlieben konkreter Menschen ausgeht. Versteht man auf diese Weise unter Kultur nicht ausschließlich ein soziales, sondern zunächst einmal ein personales Phänomen, dann kann auch unter Interkulturalität mehr als nur das Mit-, Neben-, Durch- und Gegeneinander von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen / Staaten verstanden werden. Es können a) über die Unterschiede zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen hinaus, auch b) die Unterschiede zwischen Menschen in einer Kultur und c) die kulturenübergreifenden Gemeinsamkeiten von Menschen aus verschiedenen Kulturgemeinschaften berücksichtigt werden. Wir schlagen daher vor, unter Interkulturalität folgendes zu verstehen:
- Das Mit- oder Nebeneinander von Menschen a) mit unterschiedlichen, ähnlichen oder gemeinsam geteilten Kenntnissen, Fähig- und Fertigkeiten, Lebensstilen, Wertvorstellungen, Glaubensformen und ästhetischen Vorlieben, und b) ihr Bewusstsein dafür, was ihnen als Menschen und verschiedenen Gruppen von Menschen gemeinsam ist und was nicht.
- Die Konflikte und Spannungen zwischen Menschen mit vermeintlich oder tatsächlich unterschiedlichen Glaubensformen, Weltdeutungen und Wertorientierungen, die vor allem aus einer Dramatisierung oder Verharmlosung von Glaubens- und Weltdeutungsdifferenzen und daraus resultieren, dass a) Unterschiede zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, b) Unterschiede zwischen Menschen in einer Kultur und c) kulturübergreifende Gemeinsamkeiten von Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen entweder über- oder unterbewertet bzw. dramatisiert oder ausgeblendet werden.
- Paradigmen und Prinzipien, die einen Umgang mit diesen Konflikten eröffnen und deren Mäßigung fördern können, indem sie das Bewusstsein der Menschen dafür fördern, was ihnen allen als Mensch und Gruppe gemeinsam sein sollte und was besser nicht. Hierunter fallen nicht nur Empathie, Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz gegenüber Menschen aus einer anderen Kultur, wie interkulturelle Pädagogen bisweilen meinen. Hierzu gehören aber auch nicht allein Bilderverbot, zehn Gebote, Bergpredigt und Nächstenliebe. In unserer Gesellschaft kommen als Paradigmen, die bestimmen, woran wir unser politisches und zwischenmenschlich-öffentliches Handeln gemeinsam orientieren sollten, vor allem die Pluralität der im Grundgesetz angeführten Werte (Verantwortung vor Gott und den Menschen, Würde, Freiheit, Gleichheit etc.) in Frage - eine Pluralität, die implizit ein Konfliktbewusstsein für konkurrierende, allgemein menschliche und bürgerliche Werte und die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen konkurrierenden Gütern umfasst.
Da indes von der Öffentlichkeit gegenwärtig noch a) Migration, Kampf oder Dialog der Kulturen, Vielfalt und Integration als zentrale Herausforderungen unserer Gesellschaft betrachtet werden, und weil dabei im heutigen Alltagsverständnis b) unter Kultur zumeist die Besonderheit einer Gruppe im Gegensatz zu allen anderen Gruppen und c) unter Interkulturalität meistens ein gelingendes Miteinander von Einheimischen mit Zugewanderten verstanden werden, werden von der Öffentlichkeit in aller Regel zunächst auch die Unterschiede zwischen Menschen aus diesen beiden Gruppen bemerkt. Dabei werden – je nach Standpunkt – Differenzen entweder als Problem und Defizit oder aber Ressource und Chance begriffen. Während die Befürworter der multikulturellen Gesellschaft hervorheben, dass sie über Toleranz und Anerkennung der Vielfalt hinaus diese als Chance begreifen und nutzen wollen, betonen andere, dass bestehende Differenzen zwischen den Kulturen bzw. zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen durch Integrationsbemühungen zu überbrücken sind. Beiden gemeinsam ist jedoch, dass sie auf migrationsspezifische Besonderheiten und auf Differenzen zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen abzielen und dazu tendieren, diese Unterschiede zu überschätzen und die Unterschiede in einer Kultur ebenso wie die Kulturen übergreifenden Gemeinsamkeiten der Menschen zu unterschätzen.
Im Verlauf eines interkulturellen Beratungsprozesses oder einer interkulturellen Öffnung kann zwar zunächst der Aspekt der Differenz zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen im Vordergrund stehen, zumal dieser gemeinhin von der Bevölkerung auch als erstes bemerkt wird. Erste Schritte zu einer interkulturellen Kontextualisierung können durchaus in der Bildung von migrationsspezifischen und kulturspezifischen Hypothesen bestehen. Sofern diese indes allein verwendet werden, besteht stets die Gefahr einer Ethnisierung von Kultur, weil in diesem Kontext der Begriff der Kultur zumeist auf die Kultur eines Volkes bezogen oder allein in der einen oder anderen Form als Kollektivkategorie benutzt wird. Um nicht nur die Unterschiede bzw. Besonderheiten zwischen den Kulturen zu beachten, sondern um darüber hinaus auch die Vielfalt in den Kulturen und die Unterschiede zwischen Menschen in einer Kultur (=Intrakulturalität) sowie die Gemeinsamkeiten von Menschen aus verschiedenen Kulturen bzw. über Kulturgrenzen hinaus (=Transkulturalität) erfassen zu können, erachten wir es darüber hinaus für unabdingbar, dass auch intra- und transkulturelle Hypothesen gebildet werden. Bei intra- und transkulturellen Hypothesen kommt es vor allem darauf an, dass vorhandene Probleme a) auf die Vielfalt der Menschen in einer Kultur und b) auf kulturübergreifende Gemeinsamkeiten von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zurückgeführt werden (z.B. auf Alter, Glaube, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Milieu- und Schichtzugehörigkeit, aber auch auf persönliche Besonderheiten, Idiosynkrasien und Wertorientierungen). Es ist allen Menschen kulturübergreifend gemeinsam, dass sie in Kulturen leben, in denen es in der einen oder anderen Form z.B. Spannungen zwischen Religion, Kunst, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft bzw. Konflikte zwischen Menschen mit unterschiedlichen Wertorientierungen gibt. Ein Verständnis für diese Konflikte dürfte indes erst dann erreicht werden, wenn wir diese Konflikte auch als intrapsychische oder personale Konflikte begreifen, die aus der Pluralität unserer Bedürfnisse und Zielsetzungen resultieren.
Wie dem auch sei, die aktuellen Herausforderungen des interkulturellen Mit-, Neben-, Durch- und Gegeneinanders können nur interdisziplinär erforscht werden. Wer interkulturelle Prozesse theoretisch und empirisch untersuchen, praktisch begleiten und politisch-beratend mitgestalten will, sollte ökonomische, soziale, pädagogische, politische, psychologische, religiöse und sonstige Interdependenzen beachten. Interdisziplinäre Forschung zur Erfassung von Interdependenzen in der Praxis setzt jedoch fachwissenschaftliche Kompetenzen und einen übergeordneten Bezugspunkt zur Verknüpfung der verfügbaren Fachkompetenzen voraus. Dies führt in der Forschungspraxis oftmals dazu, dass die Möglichkeiten zur interdisziplinären Zusammenarbeit stark eingeschränkt werden, auch wenn dies nicht immer offen eingeräumt wird. Abschließend wird hier daher noch angedeutet, warum es in der interkulturellen Forschungspraxis nicht nur förderlich ist, auf die Religionspolitologie im Besonderen, sondern auf die Philosophie als Metawissenschaft im Allgemeinen zu rekurrieren.
Die Philosophie kann für interdisziplinäre Zwecke als Metawissenschaft fungieren, weil es neben der theoretischen Philosophie, die auf den Grund des Seins und damit auf eine „Zusammenschau der gegenseitigen Verwandtschaft der Wissenschaften und der Natur des Seienden“ (Platon, Politeia 537c) gerichtet ist, seit langem etablierte, spezielle Philosophien für die menschlichen Angelegenheiten gibt. Mit der Politischen und Pädagogischen Philosophie sowie der Religions-, Sozial- und Kulturphilosophie verfügt die Philosophie insbesondere über ein Wissen zur interdisziplinären Erfassung von Interdependenzen zwischen denjenigen Forschungsgegenständen, die es zwecks Ausbildung interkultureller Kompetenzen notwendigerweise zu berücksichtigen gilt.
Als Metawissenschaft ist die Philosophie nicht zuletzt dann besonders gut geeignet, wenn Philosophen die Unterschiede zwischen Theologie, Philosophie, Wissenschaft und Praxis hervorheben (so z.B. K. Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 1962, S. 95ff.). Denn auch Philosophen haben in Vergangenheit und Gegenwart leider nur allzu selten der Versuchung widerstehen können, sich einseitig der Theologie und den Religionen oder der Politik und dem Praktisch-Werden der Philosophie zu verschreiben. Enttäuscht von Politik und Praxis haben sich zuletzt manche damit begnügt, Philosophie primär als wissenschaftliche Erkenntnistheorie zu betreiben. Wird dahingegen zwischen Theorie, Praxis und Poiesis unterschieden, indem durch begriffliche Bestimmungen die spezifischen Differenzen zwischen diesen Handlungsweisen mit ihrem je besonderen Wirklichkeitsbezug benannt werden, können die jeweilige Eigenständigkeit ebenso wie die wechselseitige Ergänzung und Begrenzung von Theorie, Praxis und Poiesis erkannt werden; was wiederum der Politikberatung und Praxisbegleitung zugutekommt. Erst nachdem Philosophen nicht mehr um jeden Preis praktisch werden und ihre Eigenständigkeit aufgeben wollten, konnten sie die spezifische Erfahrungsweise der Praxis angemessen würdigen. Auch konnte der vermessene Anspruch aufgegeben werden, die Kenntnisse aller Einzelwissenschaften zu besitzen, und die „methodische Erkenntnis mit dem Wissen von der jeweiligen Methode“ (Jaspers, a.a.O. S. 95) als eines der zentralen Prinzipien der modernen Wissenschaft anerkannt werden. Wenn daher Philosophen heute auf empirische, intersubjektiv nachvollziehbare Befunde der Wissenschaften rekurrieren, zeugt dies nicht zuletzt davon, dass sich von ihrer zwischenzeitlichen Selbstaufgabe wie Überforderung in der Moderne wieder verabschiedet haben und nicht mehr länger die Philosophie als absolute Wissenschaft mit dem Ziel etablieren wollen, „ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein“, wobei Wissen angeblich „nur als Wissenschaft oder als System wirklich“ sei bzw. als „Enzyklopädie“ (G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, 1980, S. 11/21, hier zitiert nach: O. Marquard, Philosophie. In: Hist.Wb.Philos.7 Sp. 718).
Philosophen können eine kritische Funktion für die übrigen Praxisformen übernehmen, indem sie weiterhin die Frage nach dem Ganzen und den Teilen, dem Allgemeinen wie dem Besonderen stellen. Mithin sind Fragen nach dem unbedingten Grund, den ersten Ursachen und Prinzipien auch dann noch zu stellen, wenn sie sich nicht oder nicht vorschnell beantworten lassen. Wer weiß, dass er das Ganze nicht kennt, verkennt nicht durch vorschnelle Verallgemeinerung einer Handlungsweise das Gemeinsame zwischen Theologie, Philosophie, Wissenschaft und Praxis. Wünschenswert ist dies, weil auch Wissenschaftler oder Praktiker bisweilen die Unterschiede zwischen ihren spezifischen Denkformen und Handlungsweisen außer Acht lassen und in mehr oder minder blinde Wissenschafts-, Praxis- oder Technikgläubigkeit verfallen können. Nicht nur die Theorie wird gelegentlich noch um ihrer selbst willen betrieben, so dass diese nicht einmal mehr als die höchste Form der Praxis angesehen werden kann. Auch Wissenschaft, Praxis oder Poiesis können unbemerkt zum Selbstzweck erhoben werden, wenn methodische, praktische oder poietisch-technische Bedingtheiten dieser Praxisformen nicht hinreichend ausgewiesen werden. Nachdem Philosophen nicht mehr länger die Magd der Theologie sein wollten, gerieten sie in der Moderne jedenfalls umgehend in die Gefahr, sich der Politik, der Praxis und den Wissenschaften zu verschreiben und sich auch auf diese Weise mehr oder weniger selbst aufzugeben. Mitunter haben Philosophen jedoch auch einen Lernprozess von der Überforderung hin zur ernüchterten Anerkennung der Unterschiede durchlaufen (vgl. Marquard, a.a.O. Sp. 714ff). Ab und zu haben sie sogar daran erinnert, dass Menschen rationale Lebewesen (zôon noêtikon) sind, die Vernunft besitzen und am Seinsgrund (nous) partizipieren, ohne darüber zu vergessen, dass sie auch leibliche und politische Lebewesen sind, die an allen weltimmanenten Seinsschichten teilhaben (vgl. E. Voegelin, Vernunft: Die Erfahrung der klassischen Philosophen. In: Ders: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte, Stuttgart 1988, S. 127ff. und 162ff. Siehe auch: ders.: Was ist politische Realität?. In: ders.: Anamnesis – Zur Theorie der Geschichte und der Politik, München 1966, S. 340ff.). Nicht zuletzt aus diesem Grunde ziehen wir die Philosophie als Metawissenschaft den heutigen Kulturwissenschaften bei unserer Beratungspraxis vor. Zumal diese als relativ junge und typisch moderne Wissenschaft noch zwischen theoretischer Unterbestimmung und praktisch-enzyklopädischer Selbstüberanspruchung schwanken. Obschon Kulturwissenschaftler den Topos der Kultur und damit die relative Eigenständigkeit ihres spezifischen Forschungsgegenstands noch nicht hinreichend haben bestimmen können, ist es ihnen Ende des vorigen Jahrhunderts mit dem so genannten Cultural Turn gelungen, sich gegenüber philosophischen und geistes- wie gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten zu behaupten und als neue Wissenschaftswissenschaft oder Universalwissenschaft zu etablieren. Zwar eröffnen auch die Kulturwissenschaften der interdisziplinären Zusammenarbeit neue Perspektiven. Die Philosophie als Metawissenschaft für interkulturelle Forschungsvorhaben ermöglicht indes Wissenschaftlern wie Praktikern eine Selbstdistanzierung von ihrer eigenen Profession und Praxis, die mitunter bitter Not tut, mitunter aber auch entlastend und erheiternd ist.
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Laufende Projekte
RISP im BMBF Verbundprojekt RIRA "Radikaler Islam versus radikaler Anti-Islam" Verbundleitung: Prof. Dr. Susanne Pickel Universität Duisburg-Essen
Die Forschungsgruppe Mikom im RISP ist Kooperations- und Transferpartner im BMBF Verbundprojekt RIRA und u.a. für die Entwicklung, Erprobung und Implementation von Maßnahmen gegen Ko-Radikalisierungsprozesse in der Rhein-Ruhr-Region verantwortlich.
Das Forschungs- und Verbundprojekt Radikaler Islam versus radikaler Anti-Islam - Gesellschaftliche Polarisierung und wahrgenommene Bedrohungen als Triebfaktoren von Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsprozessen bei Jugendlichen und Post-Adoleszenten
In den letzten Jahren lässt sich in Deutschland eine Polarisierung in der Gesellschaft feststellen, die mit wechselseitigen Abstoßungsprozessen verschiedener sozialer Gruppen verknüpft ist. Bedrohungswahrnehmungen zwischen Sozialgruppen gehen mit gruppenbezogenen Vorurteilen einher. Eine besondere Bedeutung kommt der (wahrgenommenen) Bedrohung durch den radikalen Islam zu. Diese schafft in der deutschen Gesellschaft die Gelegenheitsstruktur für eine reziproke Spirale potentieller Radikalisierung, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. So zieht sich ein Teil junger Muslime aufgrund einer empfundenen Ablehnung in Sicherheit verheißende (oft konservativ-religiöse) Kollektive zurück, die ein Einfallstor für Radikalisierung darstellen können. Im Gegenzug findet in Teilen der nichtmuslimischen Bevölkerung eine durch Ängste beförderte Radikalisierung in Richtung Rechtsextremismus statt, die eine Radikalisierung im linken politischen Spektrum befördert. Das beantragte Projekt untersucht auf inter- und transdisziplinäre, interreligiöse sowie multimethodische Weise empirisch gestützt bislang nicht im Zusammenhang betrachtete gesellschaftliche Aspekte einer Radikalisierungsspirale und erarbeitet auf der Basis dieser Ergebnisse Präventionsmaßnahmen für den Bildungsbereich. Die zentrale Forschungsfrage des verschiedene Standorte übergreifenden Verbundprojektes lautet: Welche kollektiven Interventionsansätze können bei der Radikalisierung und Co-Radikalisierung Jugendlicher und postadoleszenter Muslime und Nicht-Muslime identifiziert werden?
Politik-, Gesellschafts- und Bürgerberatungsaktivitäten des RISP im Verbundprojekt RIRA
RIRA ist kein reines Forschungsprojekt. Vielmehr werden im Verlaufe des Projekts Präventions- und Bildungsmaßnahmen mit und für schulische wie außerschulische Bildungsträger bzw. für staatliche wie zivilgesellschaftliche Akteure der Bildungs-, Begegnungs-, Beratungs- und Integrationsarbeit entwickelt, erprobt und verbreitet.
Peter Krumpholz (Universität Duisburg-Essen, Projektteam Prof. Dr. Susanne Pickel; Leiter der Forschungsgruppe Migration und interkulturelle Kommunikation im Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung an der Universität Duisburg-Essen, RISP a.d. UDE) arbeitet seit vielen Jahren in Wissenschaft-Praxis-Tandem Teams u.a. zu Radikalisierungsprävention und interkultureller/interreligiöser Bildung. Über das RISP stellt er die Verbindung zwischen der universitären Forschung und der Präventionspraxis her, indem er die wissenschaftliche Forschung mit verschiedenen Praxispartnern vernetzt.
Der Aufbau der Wissenschafts-Praxis-Tandems dient a) der bedarfsorientierten und passgenauen Gewinnung weiterer Praxispartner*innen, b) dem frühzeitigen und parallel zur wissenschaftlichen Forschung verlaufenden Einbezug der Praxispartner*innen in die Entwicklung, Erprobung und Implementation von kollegialen Maßnahmen gegen Ko-Radikalisierungsprozesse.
Fragen nach den bislang verfolgten Maßnahmen der Radikalisierungsprävention, ihren Einsprungpunkten in die Entwicklung der Radikalisierungsspirale, der Einbindung von Erfahrungen und Kenntnisstand der Präventionspraxis und Demokratieförderung über gesellschaftliche Wirkungen des radikalen Islam auf reziproke Polarisierungs-, Spaltungs- und Co-Radikalisierungsprozesse leiten seine Evaluation der Präventionspraxis (Fokussierte Interviews/Experteninterviews mit 8-12 Praktikern*innen aus der Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung).
Zur Tiefenanalyse von Radikalisierungsprozessen und der Bestimmung, unter welchen Bedingungen die Radikalisierungsspirale greift, übernimmt Peter Krumpholz in enger Kooperation mit Projektpartnern aus Essen, Leipzig und Osnabrück zwei Gruppendiskussionen mit 4-6 nicht-muslimischen Schüler*innen im Abstand von zwei Jahren sowie 6 Einzelinterviews mit Schüler*innen. Diese Ergebnisse fließen in die Fragebogenentwicklung der Primärerhebung ein. Weitere zentrale Befunde zu den Bedingungen und Verläufen von Radikalisierungsprozessen Jugendlicher und Adoleszenter werden durch 7 Interviews mit Lehrer*innen und 8 Interviews mit weiteren Expert*innen erzielt, die begleitend erhoben werden. Aus den Ergebnissen der qualitativen und quantitativen Erhebungen werden Materialien für die Schulung von Multiplikatoren in der Präventionspraxis, der Erwachsenenbildung und politischen Bildung erstellt und Schulungen durchgeführt.
Hauptaufgabe des RISP in Zusammenarbeit mit der Präventionspraxis ist die Entwicklung, Erprobung und Einrichtung kollegialer Maßnahmen zur (Ko-)Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung (5/2021 bis 8/2024):
Das Wissenschafts-Praxis-Tandemteam Rhein-Ruhr-Region/RISP entwickelt, erprobt, implementiert und verbreitet 3 fächerübergreifende, außerunterrichtliche Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen für Kollegien der Präventionspraxis. Diese dienen der Entwicklung pädagogischer Kooperation und dem Aufbau kollegialer Kompetenz in Fragen kollektiver Co-Radikalisierungsprävention. Auf fachlicher Grundlage von Exploration, Gesellschaftlicher Stimmungslage, Tiefenanalyse und Eskalationszirkeluntersuchung erfolgt dies an Schulen und Bildungseinrichtungen je nach Bedarf z.B. durch Einführung von Kollegialer Fallberatung, Team-Supervision oder Pädagogischer Konferenz, um kollektive (Co-)Radikalisierungsprozesse und Eskalationszirkel durch kollegialpräventive Instrumente unterbinden zu können.
Die Entwicklung der Maßnahmen erfolgt im Zeitraum: 7/2021 bis 6/2022, die Erprobung: 7/2022 bis 6/2023, die regionale Implementation: 7/2023-2/2024 sowie Dokumentation und Transfer: 1/2024 bis 8/2024.
Peter Krumpholz
Philosophie der Polarisierung
Peter Krumpholz
Interkollegiales Konzept, Methoden und Maßnahmen / Meilenstein XVI
Dilcan Özmen
Broschüre Präventive Vereinssozialarbeit
Dilcan Özmen
Einführung in die präventive Vereinssozialarbeit
Peter Krumpholz
Broschüre Demokratiestunde
Peter Krumpholz
Presseinfo Interkollegiale Maßnahmen
Peter Krumpholz
Poster Demokratiestunde
Peter Krumpholz
Maßnahmen gegen Ko-Radikalisierung Meilenstein XII
Frank Preuß Theodor-König-Gesamtschule Duisburg
RAISE
Insa Wessendorf - Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg
Gewaltfreie Kommunikation
Atika Müller-Erogul Schulpsychologische Beratungsstelle Duisburg
Klassenrat
Insa Wessendorf - Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg
Neue Autorität in der Schule - Pädagogische Präsenz und Gewaltloser Widerstand
Peter Krumpholz
Kollegiale Konzepte Meilenstein X
Clara Macht / Dilcan Özmen / Kevser Tokgür / Nursel Kara
Präventive Sozial- und Vereinsarbeit
Léandre Chavand
Die Distanzierung zum Staat und Kränkung des Freiheitsgefühls
Peter Krumpholz
RIRA Flyer RISP
Peter Krumpholz
Demokratiebildung in der Schule
Peter Krumpholz
Erfahrungen und Kenntnisstand der Präventionspraxis und des RISP Meilenstein II
Susanne Pickel, Cemal Öztürk u.a.
Radikaler Islam vs. radikaler Anti-Islam - Gesellschaftliche Polarisierung und wahrgenommene Bedrohung als Triebfaktoren von Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsprozessen bei Jugendlichen und Post-Adoleszenten – ein Literaturbericht
Laufzeit: 09/2020 - 11/2024
Projektleitung:
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz
Israelkritik und Judenfeindschaft
Hauptziel des Modellprojekts „Israelkritik und Judenfeindschaft“, das im Rahmen des BMFSFJ Bundesprogramm “Demokratie leben!” gefördert wird, ist die Entwicklung, Erprobung und Verbreitung von neuen Präventions- und Fortbildungsangeboten gegen religiös, politisch wie sozial bedingte Formen von aktuellem Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Ausgangspunkt der zu entwickelnden Präventionsangebote sind die Selbstdeutungen der Bürger bzw. der verschiedenen Zielgruppen unserer Kooperationspartner. Alle Angebote werden daher auf der Grundlage von Befragungen konzipiert, die der empirischen Erfassung von Israelkritik und aktuell virulentem Antisemitismus vor Ort dienen. Befragt werden Muslime und Christen, aber auch Religionskritiker und säkular, links wie rechts orientierte Menschen mit wie ohne Zuwanderungsgeschichte.
1. Lokale Ausgangslage und Handlungsbedarf
Dass der Nahostkonflikt Auswirkungen in die Ruhrgebietsregion habe, mag befremdlich erscheinen, wie der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg / Mülheim / Oberhausen unlängst feststellte. Dieser kandidierte 2012 in Duisburg für die OB-Wahl und wurde daraufhin mit sowohl indiskutablen anonymen Nachrichten (in Israel kandidiere auch kein Deutscher für politische Ämter) als auch Reaktionen der lokalen Presse konfrontiert, die allein von dem „jüdischen“ Kandidaten wissen will, wie dieser seinen Wahlkampf finanziere. Dem ostentativen Reflex, man sei nicht antisemitisch, begegnet man auch in der Duisburger Stadtgesellschaft sehr zuverlässig. Nichtsdestoweniger werden jüdische Mitbürger schnell als legitime Vertreter, mithin als Verantwortliche für israelische Politik vereinnahmt.
Für die Verhältnisse vor Ort sind in diesem Zusammenhang eine Reihe unrühmlicher Ereignisse festzustellen: Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Rat der Stadt Duisburg – in dem neuerdings auch (kooperierende) Abgeordnete der NPD, PRO NRW und AfD vertreten sind – ruft zu einem Boykott israelischer Produkte auf, im Rahmen einer von Milli Görüş initiierten pro-palästinensischen Großdemonstration wird unter dem „Druck der Straße“ als „deeskalierende Maßnahme“ der Polizei die israelische Flagge auf einem Anwohnerbalkon entfernt.
Dies mag genügen, um anzudeuten, dass Phänomene des sekundären Antisemitismus, die in Form und Inhalt als israelkritische Äußerungen daherkommen, in der Region Duisburg existent sind. Neben dem erwartbaren rechtsextremen Antisemitismus sind judenfeindliche Stimmungen auch im linken Spektrum von der dafür oft kritisierten NRW-Linkspartei bis hin zu revolutionär-marxistischen und autonomen Gruppen mit antiimperialistischer, internationalistischer und anti-faschistischer Ausrichtung sowie bei Muslimen und Migranten feststellbar. Die Argumentationsmuster erweisen sich nicht erst auf den zweiten Blick leider allzu oft als antizionistisch resp. außenpolitisch verbrämte judenfeindliche Stereotype. Es zeigt sich, dass Antisemitismus, der sich seit den Zuspitzungen in Gaza als offener Antisemitismus bis hin zu Judenhass manifestiert, in rechts- und linksextremen Milieus ebenso wie in radikal-religiösen Gruppierungen grassiert. Daneben gibt es weiterhin einen verdeckten Antisemitismus, wie er sich vor allem in leichtfertig geäußerten, betont „legitimen“ israelkritischen Positionen der vermeintlich aufgeklärten bürgerlichen Mitte bis hin zu latent judeophoben Ressentiments artikuliert. Diese schwierigen vorurteilsbeladenen Generalisierungen sind meist nur notdürftig verklausuliert. Es kann vermutet werden, dass dies zum einen dem Reflex sog. Sozialer Erwünschtheit, zum anderen aber schlichter Ahnungslosigkeit und verfehlter Eigenwahrnehmung geschuldet ist. Aktueller Antisemitismus in der Region begegnet also nicht nur als exhibitionistischer Krawall (z.B.: Milli Görüş und Salafisten, die in Kommunen mit hohem Anteil muslimischer BürgerInnen ein Aktionsfeld vermuten), sondern auch auf vorgeblich pro-palästinensischen Solidaritätskundgebungen.
Insofern in diesem Projekt die aktuellen Formen von Antisemitismus in den Blick genommen werden, sind die ‚herkömmlichen‘ Formen von Antisemitismus (christlicher Antijuda-ismus, biologistisch definierter Rassismus, Holocaustleugnung oder-relativierung) möglicherweise nicht mehr vordergründig zu gewichten. Wir gehen vielmehr von einem neu zu definierenden, mithin „tertiärem“ Antisemitismus aus, der die Trennlinie zwischen „rechtem“ und „linkem“ Antisemitismus aufzulösen scheint. Denn globalisierungskritische, generell antiwestliche, antiimperialistische, USA-kritische Stimmungen sind unter der phantasierten Annahme, hier seien Israel, Juden oder Wall Street wirksam, nicht nur in linksradikalen oder neonationalsozialistischen Verschwörungsnarrativen nachweisbar, sondern auch in linksliberalen oder konservativen Milieus nicht per se auszuschließen. Letzterer Aspekt betrifft auch die Mitte der Gesellschaft. Antisemitismus beginnt nicht erst mit manifesten Übergriffen, sondern nimmt seinen Anfang im Alltag in subtilen Formen von Ressentiments, die der Gesamtheit der Juden (als vermeintliche Repräsentanten Israels) verborgene Intentionen oder konkrete Handlungen zuordnet. Aktuelle Formen des Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erfahren im Prozess der Globalisierung und damit einhergehender Marginalisierungserfahrungen in weiten Teilen der Gesellschaft vehementen Auftrieb. Dies gilt insbesondere für die Montanregion Duisburg, die in besonderer Weise von Arbeitslosigkeit, Armut und empfundener Ausgrenzung geprägt ist. Duisburg ist aufgrund der Heterogenität seiner BürgerInnen ein „Schmelztiegel“ kultureller und religiöser Vielfalt und somit beispielhaft für die Integrationsanforderungen einer modernen Zivilgesellschaft, was zugleich ein nicht zu vernachlässigendes demokratiegefährdendes Potential birgt, welches u. E. vor allem infolge grundlegender Alteritätserfahrungen, kollektivierender Wahrnehmungsmuster sowie Projektion des Negativ-Erlebten aktualisiert wird. Insofern Fremdwahrnehmung immer durch die Auslegung eigener Existenzerfahrungen mitbestimmt wird, können Präventions- und Fortbildungsangebote gegen sowohl alte als auch neue, latente oder manifeste Formen von Antisemitismus ihre Wirksamkeit nur dort entfalten, wo sie an der jeweiligen Erfahrungsrealität des Einzelnen, in besonderer Weise bei adoleszenter Selbstverortung ansetzen. Methodisch kommen hierfür vor allem pädagogische Konzepte in Betracht, denen ein multiperspektivischer, subjektorientierter, partizipativer sowie diversityorientierter Ansatz zugrunde liegt und die hier modellhaft entwickelt, erprobt und verbreitet werden sollen. Entsprechend wählen wir unsere Kooperationspartner aus, die das Spektrum der schulischen, religiösen sowie politischen Bildungsarbeit repräsentieren. Ebenso wertvoll ist der darüber gewonnene Zugang zu den jeweiligen Teilnehmerkreisen unserer Partner, der sowohl in die Mitte als auch zu den Rändern der Gesellschaft reicht.
2. Hauptziel des Modellvorhabens
Hauptziel des Vorhabens „Israelkritik und Judenfeindschaft“ ist die Entwicklung, Erprobung und Verbreitung von neuen Präventions- und Fortbildungsangeboten gegen religiös, politisch wie sozial bedingte Formen von aktuellem Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Ausgangspunkt der zu entwickelnden Präventionsangebote werden stets die Selbstdeutungen der BürgerInnen bzw. der verschiedenen Zielgruppen unserer Kooperationspartner sein. Alle Angebote werden daher auf der Grundlage von Befragungen konzipiert, die der empirischen Erfassung von Israelkritik und aktuell virulentem Antisemitismus vor Ort dienen. Befragt werden Juden, Muslime und Christen, aber auch Religionskritiker und säkular, links wie rechts orientierte Menschen mit wie ohne Zuwanderungsgeschichte. Zweck der Erhebung ist es herauszufinden, welche Verbindungen zwischen unterschiedlichen Gruppen, Traditionen und Ausprägungen des Antisemitismus es vor dem Hintergrund welcher Selbstdeutungen, Lebensgeschichten und Erfahrungen vor Ort gibt. Beachtet wird also nicht nur Feindseligkeit gegen Juden, sondern auch Muslim- oder Deutschenfeindlichkeit.
Die Präventionsangebote werden im Kooperationsverbund mit und für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure erstellt, die in der interreligiösen und interkulturellen == Bildungs-, Integrations- und == Sozialarbeit tätig sind. Gemeinsam mit den PädagogInnen und SozialarbeiterInnen werden lebensweltnahe und erlebnisorientierte Angebote für die unterschiedlichen Zielgruppen (u.a. Kinder, Schüler, Eltern, Erzieher, Lehrer, Jugendliche und Erwachsene) der Bildungseinrichtungen unseres Kooperationsverbundes entwickelt und in herkunftsheterogenen wie – homogenen Settings erprobt. Die erprobten Angebote werden über Fortbildungsangebote für Multiplikatoren lokal verbreitet, in die Regelstrukturen unserer Kooperationspartner überführt und anschließend über ihre Landes- und Bundesverbände durch weitere Multiplikatorenschulungen und Implementationsbegleitung landes- und bundesweit verbreitet.
3. Methodisches Vorgehen
Negative Fremdbestimmungen erfolgen selten aus reiner Boshaftigkeit. Zumeist beruhen sie auf einer Vereinseitigung oder Verabsolutierung dessen, was persönlich als gut, wertvoll, sinn- und zweckhaft für das eigene Leben und auch für das Miteinander in der Gesellschaft empfunden wird. Kollektive Wahrnehmungsmuster, die allzu häufig über eine soziale, politische oder religiöse Polarisierung (arm vs. reich, demokratisch vs. autoritär, gläubig vs. ungläubig etc.) zu positiver Selbst- und negativer Fremdbestimmung bis hin zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit führen, basieren immer auch auf persönlichen Werten, die vorschnell verallgemeinert oder ethnisiert werden.
Befragungen, die das RISP in der Vergangenheit durchführte, haben uns zudem gezeigt, dass kollektive Wahrnehmungsmuster (über z.B. Juden, Christen, Muslime, Deutsche, TürkInnen, MigrantInnen) unter allen Bevölkerungsgruppen in Duisburg weit verbreitet sind. Zugleich haben sie uns darauf aufmerksam gemacht, dass die konkreten Glaubensformen, Selbstdeutungen und Wertorientierungen der meisten Menschen relativ unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Staatsan- und Religionszugehörigkeit sind. In aller Regel weisen die BürgerInnen entgegen kollektiver Wahrnehmungsmuster und unterstellter Homogenität ihrer Gruppe somit gruppenintern ungleich mehr Unterschiede und gruppenübergreifend mehr Gemeinsamkeiten auf, als ihnen aufgrund ihrer kollektiven Wahrnehmungsmuster bewusst ist. Dies kann pädagogisch selbst in vermeintlich homogenen Settings genutzt werden, indem Teilnehmenden zu Beginn einer Maßnahme stets die Möglichkeit eröffnet wird, sich über ihre Grundwerte und Güterorientierungen auszutauschen und somit einen Überblick über die Gemeinsamkeiten wie Unterschiede der Werteorientierungen in ihrer Gruppe zu bekommen. Die aktuell erlebte Erfahrung, dass es in einer Gruppe mehr Unterschiede und gruppenübergreifend mehr Gemeinsamkeiten als gedacht gibt, ist emotionale Voraussetzung dafür, um kognitiv durch Wissensvermittlung kollektive Identifizierungen u. Stereotype wirkungsvoll hinterfragen zu können.
Daher wird unsere methodische Herangehensweise darin bestehen, dass wir 1. nicht von Kollektivkategorien, sondern von den Selbstdeutungen der Teilnehmenden ausgehen, 2. diese empirisch erfassen, 3. dabei in einem Netzwerk von sozialen, beruflichen, politischen und religiösen Bildungsanbietern in der Kommune zusammenarbeiten, 4. bei der Entwicklung der Maßnahmen pädagogisch an die empirischen Ergebnisse und Erfahrungen der Bildungsträger anknüpfen, 5. die Maßnahmen zunächst in den Einrichtungen der Kooperationspartner erproben, 6. sodann überarbeiten und in die Regelstrukturen der Kooperationspartner überführen, bevor 7. auf der Basis dieser Erfahrungen das RISP und die Kooperationspartner landes- und bundesweite Fortbildungen mit Multiplikatoren durchführen und diese bei der Anwendung ihrer ersten Maßnahmen supervidierend unterstützen und bei der Implementation beraten.
4. Fachlicher Bedarf, Innovationsgehalt und Nutzen des Modellvorhabens
Fast siebzig Jahre nach der Shoah ist der Bedarf an wirksamen Maßnahmen zur Prävention von Antisemitismus (Antisemitismus) dringlicher denn je. Denn Antisemitismus ist in der deutschen Mehrheitsgesellschaft in allen ideologischen Erscheinungsformen – seien es religiöse, politische, soziale, nationalistische, ökonomische oder rassistische – nach wie vor virulent.
Dabei lassen sich zwei Varianten ausmachen: die verdeckte Form von Andeutungen sowie die offene Form von Hassbildern und antisemitisch motivierter Gewalt. Beide Varianten zeichnen sich dadurch aus, dass sie unterschiedlichste politische Lager verbindet. Antisemitische Erklärungsmuster sind nach wie vor integraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie. Mittlerweile lassen sich auch ideologische Schnittmengen mit dem Linksextremismus sowie dem Islamismus ausmachen, so dass Antisemitismus nicht mehr länger als ein vorwiegend in der rechtsextremen Szene anzutreffendes Phänomen angesehen werden kann. Insbesondere der Nahostkonflikt dient Islamisten, Rechts- und Linksradikalen als Projektionsfläche antisemitischer Erklärungsmuster. Über die radikalen Ränder hinaus sind judenfeindliche Tendenzen auch in der Mitte der Gesellschaft zumindest latent vorhanden und brechen sich Bahn in Kritik an Kapitalismus, den USA, dem Westen, die teils mit legitimer, teils vermeintlich legitimer Israelkritik kurzgeschlossen wird.
Die antisemitischen Übergriffe der letzten zehn Jahre zeigen, dass Antisemitismus insbesondere bei Jugendlichen mit muslimischen Sozialisierungskontexten zunehmend Verbreitung findet, wobei antisemitische Stereotype durch subjektiv empfundene Benachteiligung und Ausgrenzung aufrechterhalten und verstärkt werden. Pädagogische Ansätze zur Prävention antisemitischer Denkmuster bei Kindern und Jugendlichen müssen demnach deren Diskriminierungserfahrungen aufgreifen. Daneben gilt es, den interreligiösen Dialog in Form eines lebensweltnahen und lebendigen Austausches von jüdischen und nicht-jüdischen Jugendlichen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte unter Einbeziehung aller relevanten Bezugssysteme, Akkulturationsinstanzen und Akteure zu fördern.
Die vielfältigen neuen Erscheinungsformen des Antisemitismus von den extremistischen Rändern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein stellt die Präventionsarbeit vor neue Herausforderungen. In der pädagogischen Praxis wurde das Thema als historisches (christlicher Antijudaismus) oder modernes Phänomen (Nationalsozialismus) behandelt. Entsprechende Bildungsangebote dienten vornehmlich der Vermittlung von historischem Wissen. Unter dem Eindruck fremdenfeindlicher Übergriffe hat sich seit den 1990er Jahren in Deutschland zudem eine gegen Rechtsextremismus und Rassismus orientierte Pädagogik etabliert, die sich gegen Antisemitismus wendet, mitunter ohne diesen eigens zu thematisieren. Im Zentrum stehen dabei Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wozu auch Begegnungsprojekte zum Abbau von Vorurteilen und Ressentiments gegen Juden gehören. Nicht unumstritten ist indes die Annahme, dass der Kontakt zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen zur Reduktion von Vorurteilen beiträgt. Begegnung und Wissensvermittlung über den oder die „Andere(n)“ allein kann auch zum Einfallstor für Differenzkonstruktionen werden, die es gerade zu verhindern gilt.
Während bisherige Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen „über“ oder „gegen“ Antisemitismus zumeist vom Gegenstand her, also der historischen Genese und den tradierten Formen von Antisemitismus, konzipiert sind, wird in diesem Projekt ein lebensweltlicher Ansatz zugrunde gelegt, der von der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Jugendlichen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Diskriminierung, Benachteiligung und Ausgrenzungserfahrung ausgeht. Die zu entwickelnden Präventionsmaßnahmen gegen aktuelle judenfeindliche Ressentiments werden zudem multi-perspektivisch eingebettet in Konzepte, die der Diversität in der Gesellschaft verbreiteter rassistischer, fremdenfeindlicher und demokratiedistanter Stereotype Rechnung tragen. Insofern nicht nur direkt oder allein die Überwindung von Judenhass – gegenüber diesem sich allzu viele reflexhaft verwahren – zum Projektgegenstand erhoben wird, soll der Sensibilisierung und dem Abbau antisemitischer Stimmungen auf neue Weise Vorschub geleistet werden.
Erstmals werden in einem Kooperationsverbund aus Wissenschaft und Praxis mit und für staatliche und zivile Akteure aus Politischer Bildung und Sozialarbeit empiriegestützt erlebnisorientierte Modellmaßnahmen gegen Judenhass und alle anderen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entwickelt, erprobt sowie regional, landes- und bundesweit verbreitet.
5. Kooperation und Vernetzung
KOOPERATIONSPARTNER sind staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure:
(1) Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein K.d.ö.R.
(2) Evangelisches Bildungswerk im Kirchenkreis Duisburg
(3) Katholische Familienbildungsstätten Duisburg
(4) DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh
(5) VHS der Stadt Duisburg
(6) VHS der Stadt Moers
(7) VHS-Zweckverband Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten, Niederrhein
(8) IMBSE – Institut für Modelle beruflicher und sozialer Entwicklung GmbH, Duisburg
(9) Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg
(10) Duisburger Schulen, Lehrkräfte, Eltern und SchülerInnen, Kindertagesstätten der Religionsgemeinschaften und Kirchen, ErzieherInnen, Eltern und Kinder
(11) Tausche Bildung für Wohnen e.V., Duisburg-Marxloh
(12) Internationales Zentrum des Kommunalen Integrationszentrums der Stadt Duisburg
STRATEGISCHE PARTNER:
(13) VHS der Stadt Duisburg
(14) Kommunales Integrationszentrum der Stadt Duisburg
(15) Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, NRW
Der Wirkungskreis unserer Kooperationspartner ist zunächst kommunal und regional. Unsere Kooperationspartner 1-7 haben indes über ihre Landes- und Bundesverbände einen landes- und bundesweiten Wirkungskreis, den wir in den Projektphasen 4 und 5 nutzen werden.
Hauptziel der Kooperationen ist, die Präventions- und Fortbildungsangebote mit und für die Kooperationspartner 1-11 zu entwickeln, zu erproben und zu verbreiten. Bezüglich der Arbeitsstrukturen sei ergänzt, dass eine Steuerungsgruppe für diejenigen Kooperationspartner gegründet wird, mit denen eine besonders intensive Kooperation erfolgt. Erfahrungsgemäß kommen im Verlaufe der Durchführung eines Modellprojekts weitere Kooperationspartner hinzu, wir denken hierbei an Begegnungsstätten von freien Trägern, Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Migrantenselbstorganisationen sowie Elternvereine.
6. Zielgruppen und deren Erreichung
Die zu erreichenden Zielgruppen sind im Wesentlichen parallel zur Kette der Sozialisationsinstanzen ausgewählt worden und lassen sich für die einzelnen Kooperationspartner wie folgt konkretisieren:
(I) Schulpsychologische Beratungsstellen: SchulpsychologInnen -> Schulsozialarbeiterinnen -> LehrerInnen -> SchülerInnen DozentInnen -> Kursteil nehmende Verbreitung: Landesverband; Dt. Volkshochschul-Verband
(II) Politische Bildungsträger: Volkshochschulen: Fachpädagogische Bereichsleitung -> DozentInnen -> Kursteil nehmende Verbreitung: Landesverband; Dt. Volkshochschul-Verband
(III) Religiöse Bildungsträger: Geschäftsführung —>Einrichtungsleitung —>Gruppen-/Kursleitung —>Kitas —>Kinder/Jugendliche
(IV) Sozialunternehmer/ Stadtteilbezogene Sozialarbeit: Streetworker / Sozialarbeiter Bildungs-Paten —>Kinder (vor allem aus benachteiligtem, bildungsfernem und durch hohen Zuwanderungsanteil geprägtem Milieu)
(V) Berufliche Bildungsträger: Fachpädagogisches Personal —>Teilnehmende und Lernende
(VI) Kommunale Institutionen: Integrationspolitische ReferentInnen == -> integrations -> u. bildungspolitische Netzwerker == Verbreitung: Netzwerk Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte und Elternvereine NRW; Kommunale Integrationszentren und Landesweite Koordinierungsstelle NRW; Städteinitivative Integration.Interkommunal
Über die Auswahl unserer Kooperationspartner, die von Projektbeginn an partizipativ in die Projektarbeit eingebunden werden, können passgenaue, bedarfsgerechte Präventions- und (Fort-) Bildungsangebote in den wesentlichen Sozialisationsinstanzen vor Ort entwickelt und erprobt sowie ggf. modifiziert und schließlich landes- und bundesweit verbreitet werden. Die Projektarbeit setzt demnach genau dort an, wo Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene über einen längeren Zeitraum sozialisiert und wo antisemitische und fremdenfeindliche Vorurteile und Einstellungen ausgebildet und manifest werden.
Obschon Präventionsangebote für Kinder und junge Menschen, Eltern und Erwachsene gegen religiös, sozial oder politisch bedingte Formen von aktuellem Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufgrund kollektiver Wahrnehmungsmuster erstellt werden, bilden nicht diese selbst, sondern staatliche bzw. kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit sowie der Frühpädagogik und Elternarbeit tätig sind, die Hauptzielgruppe. Diese wurden schon bei der Konzipierung der vorliegenden Interessenbekundung und somit bereits in die Frühphase des Vorhabens mit einbezogen.
Wichtige Akteure der Hauptzielgruppe, zu der aus vorhergehenden Modellprojekten seit vielen Jahren erprobte und belastbare Kooperationsbeziehungen bestehen, werden sich von Projektbeginn an über alle fünf Phasen des Vorhabens durch anteilige personale Mitarbeit beteiligen. Sowohl Entwicklung wie Erprobung als auch Verbreitung, Überführung in Regelstrukturen und Herstellung der landes- und bundesweiten Übertragbarkeit und Verbreitung können daher in enger Zusammenarbeit mit der Hauptzielgruppe erfolgen.
Über die Hauptzielgruppe können weitere Zielgruppen, insbesondere Kinder und Jugendliche (auch aus bildungsfernen Milieus, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte), deren Familien sowie LehrerInnen und ErzieherInnen, Bundesfreiwilligendienstleistende und FSJ`ler ebenso wie MultiplikatorInnen erreicht und über alle Phasen des Vorhabens in die konkrete Projektarbeit mit eingebunden werden.
Der Zugang zu allen Zielgruppen, die für das Modellvorhaben von Relevanz sind, ist somit gewährleistet.
7. Arbeitsschritte und Meilensteine
PROJEKTPHASE 1: Empirisch-kooperative Entwicklung des Präventionsangebots
Zusammen mit den Kooperationspartnern werden Expertengespräche und Tiefeninterviews (Meilenstein 1) sowie standardisierte Befragungen mit Teilnehmenden der Kooperationspartner über Selbstdeutungen, GMF, Israelkritik und Judenfeindschaft geführt (Meilenstein 2), ein gemeinsames Kernangebot erstellt und auf einem Workshop der Fachöffentlichkeit vorgestellt(Meilenstein 3).
PROJEKTPHASE 2: Erprobung und Überarbeitung der Präventionsangebote
Es werden modular aufgebaute Präventionsangebote für mindestens drei verschiedene Zielgruppen der Kooperationspartner fertig gestellt (Meilenstein 4) und im Team-Teaching mit mindestens drei verschiedenen Kooperationspartnern und ihren Teilnehmenden erprobt (Meilenstein 5a-c). Auf der Grundlage dieser Erfahrungen werden die Angebote überarbeitet und fertiggestellt (Meilenstein 6).
PROJEKTPHASE 3: Regionale Durchführung und Übernahme in Regelstrukturen
Es werden mindestens drei Fortbildungskonzepte für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure entwickelt (Meilenstein 7a-c), Multiplikatorenschulungen durchgeführt (Meilenstein 8a-c) und 10 weitere Anwendungen des Präventionsangebots mit den zuvor Fortgebildeten und ihren Teilnehmenden supervidiert (Meilenstein 9a-j), überarbeitet und in die Regelstrukturen überführt (Meilenstein 10a-c). Es wird eine umfangreiche Dokumentation mit Materialien über alle Präventionsangebote und Fortbildungen erstellt (Meilenstein 11).
PROJEKTPHASE 4: Landesweite Durchführung von Multiplikatorenschulungen
PROJEKTPHASE 5: Bundesweite Durchführung von MultiplikatorenschulungenJeweils Durchführung von drei Multiplikatorenschulungen (Meilensteine 12/15a-c) und Supervision der zuvor Fortgebildeten beim ersten Einsatz der Präventionsangebote mit ihren Teilnehmenden (Meilensteine 13/16a-j) nebst Überarbeitung und Übernahmeberatung der Leitung (Meilensteine 14/17).
8. Pädagogische und wissenschaftliche Standards
Pädagogische Standards:
Unsere Kooperationspartner sind zertifiziert und staatlich anerkannte Träger der Weiterbildung oder Jugendhilfe. Mit Blick auf die Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung orientieren sich Träger und Kooperationspartner – über gesetzliche Vorgaben und übliche Qualitätsstandards hinaus – an je eigenen Wertedimensionen und qualitativen Leitbildern zur Sicherstellung guter Arbeit. Für die Ansprache und die Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind vor allem die Prinzipien Freiwilligkeit, Akzeptanz, Transparenz und Vertrauen verbindlich. Die Schnittmenge der fachlichen Standards für das Arbeitsleben betrifft menschliches Miteinander und Toleranz, kollegialen Umgang, gegenseitige Wertschätzung und Annahme, Vertrauen und Freundlichkeit sowie Eintreten für eine Gesellschaft, die solidarisch und auf demokratischem Wege Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit anstrebt.
Um über die konkrete Projektarbeit hinaus eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, sollen gemeinsam erarbeitete und erprobte Projektergebnisse in die Konzepte, Leitbilder und Qualitätsstandards der Kooperationspartner einfließen, z.B. im Hinblick auf die Weiterführung ihrer interkulturellen Öffnung und Etablierung eines Diversity-Management-Systems.
Wissenschaftliche Standards:
Das RISP e.V. als ein vom Wissenschaftsministerium des Landes NRW anerkanntes An-Institut der Universität Duisburg-Essen ist den Standards guter wissenschaftlicher Praxis verpflichtet.
Im Projekt werden wir uns über die Antisemitismusforschung hinaus an der Politischen Kulturforschung und der Religionspolitologie orientieren, um dem Hauptziel, der Entwicklung, Erprobung u. Verbreitung neuer Präventionsangebote gegen religiös, politisch und sozial bedingte Formen von Antisemitismus gerecht zu werden. Denn unterschiedliche kulturelle wie religiöse Prägungen indizieren stärkere oder schwächere Demokratiefähigkeit bzw. == distanz. == Phänomene von politisierter oder vorgeblich politisch bzw. vorgeblich religiös legitimierter Judeophobie gilt es als solche zu erkennen. Die Besonderheit der Verknüpfung von Politischer Kulturforschung und Religionspolitologie besteht darin, dass nach der politischen Bedeutung von Kultur und Religiosität der Menschen für ihr jeweiliges Bewusstsein von der gesellschaftlichen Ordnung gefragt wird. Ausgehend von der religiösen ebenso wie der kulturellen Selbstwahrnehmung der Menschen kommt es darauf an zu ermitteln, welche politischen Implikationen die unterschiedlichen Formen ihrer Selbst und Fremdbilder aufweisen. Diese wiederum sind konstitutiv für Verabsolutierungen, Vereinseitigungen, Ethnisierungen, Identifikationen sowie Projektionen und als motivationale Grundlage für gruppenbezogene Formen von menschenfeindlichen Entgleisungen zwecks wirksamer und erfolgversprechender Präventionsarbeit zu berücksichtigen.
Obschon es sich bei dem hier vorgestellten Modellvorhaben nicht um die Fortführung eines bereits geförderten Projekts handelt, so können wir dennoch inhaltlich, pädagogisch-methodisch und kooperativ an unsere bisher durchgeführten DFG und BKA Forschungsprojekte und BQF, XENOS, VIELFALT und TFKS Modellprojekte auf vielfältige Weise anknüpfen.
So hatten wir letztere z.B. bereits in einem Kooperationsverbund als Tandemprojekte mit Wissenschaft-Praxis-Austausch und Akteuren aus politischer Bildung und Sozialarbeit umgesetzt. Doch können wir nicht nur auf einen bewährten und daher belastbaren Kooperationsverbund zurückgreifen. Durch die Vernetzung interkultureller wie interreligiöser Orte der Bildung in einer Region können methodisch der gesamte lokale Raum für erlebnis- und diversitätsorientierte Formen der Bildung und Begegnung quer zu kollektiven Zugehörigkeiten ebenso wie die Methodenvielfalt unserer Kooperationspartner erneut genutzt werden. Bewährt hat sich auch der Zielgruppenzugang über staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure.
In den Vorgängerprojekten standen allerdings hinsichtlich der Zielsetzung Präventions- und Fortbildungsangebote gegen die Ethnisierung von Religion und Kultur und damit gegen alle Formen von religiös wie kulturell bedingter Menschenfeindlichkeit im Mittelpunkt. Inhaltlich fanden vor allem Islamismus, Islamophobie und Nationalismus Beachtung. Die Bekämpfung des Antisemitismus erfolgte eher am Rande. Diesmal werden umgekehrt und erstmals Maßnahmen gegen aktuelle Formen des Antisemitismus im Zentrum stehen. Um religiös, politisch wie sozial bedingter Judenfeindschaft effektiv entgegenwirken zu können, wird es wiederum erforderlich sein, dabei rechtsextreme Orientierungen, Islamophobie und antireligiöse Affekte zu beachten. Zudem kommt es abermals darauf an, sorgfältig zwischen Islamkritik und Islamophobie zu differenzieren, ohne dabei Zusammenhänge zu ignorieren. Erstmals gilt dies auch für das Spannungsfeld von Israelkritik und Judenhass.
Peter Krumpholz, Dr. Alexander Schmidt, Andrea Ullrich
Entwicklung von Inhalten und Methoden für die Bildungsarbeit mit Bundesfreiwilligen
Krumpholz, Peter
Verfassungs- und Judenfeindschaft aus der Perspektive der Politischen Philosophie und Religionspolitologie
Krumpholz, Peter / Wessendorf, Insa
Interkulturelle Fallberatung in der Schule - Fortbildung für Schulsozialarbeiter*innen
Krumpholz, Peter / Wessendorf, Insa
Kultur und Konflikte in Gesellschaft und Schule - Fortbildung für die Schulpsychologie
Krumpholz, Peter / Andrea Ullrich / Astrid Kummer / Patrick Depuhl / Jens Korfkamp
Wie man Deutsch leben kann - Eine Reise in den Kopf & das Herz der Deutschen
Schmidt, Alexander / Ullrich, Andrea
Verschwörungstheorien und Antisemitismus - Unterrichtsmodul für Schulen
Krumpholz, Peter / Wessendorf, Insa
Interkulturelle Fallberatung in der Schule
Krumpholz, Peter
Verfassung und Verfasstheit: Förderung bürgerlicher Kompetenzen
Krumpholz, Peter
Religion & Kultur an Rhein & Ruhr - Kerncurriculum zum Modellprojekt Israelkritik und Judenfeindschaft
(1) Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein
(2) Evangelisches Bildungswerk im Kirchenkreis Duisburg
(3) Katholische Familienbildungsstätten Duisburg
(4) DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh
(5) VHS der Stadt Duisburg
(6) VHS der Stadt Moers
(7) VHS-Zweckverband Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten,
(8) IMBSE – Institut für Modelle beruflicher und sozialer Entwicklung GmbH, Duisburg
(9) Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg
(10) Duisburger Schulen, Lehrkräfte, Eltern und SchülerInnen, Kindertagesstätten der Religionsgemeinschaften und Kirchen, ErzieherInnen, Eltern und Kinder
(11) Tausche Bildung für Wohnen e.V., Duisburg-Marxloh
(12) Internationales Zentrum des Kommunalen Integrationszentrums der Stadt Duisburg
STRATEGISCHE PARTNER:
(13) VHS der Stadt Duisburg
(14) Kommunales Integrationszentrum der Stadt Duisburg
(15) Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, NRW
Laufzeit: 01/2015 - 12/2019
Projektleitung:
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz
Linke Militanz und Antisemitismus in heterogenen Jugendmilieus: Analyse – Zugänge – Maßnahmen
Hintergrund: Antisemitismus unter Linken ist ein oftmals unterschätztes Phänomen. Gleichzeitig gehen Teile des linken Spektrums selbst gegen linke Militanz und Antisemitismus vor. Judenfeindlichkeit in seinen verschiedenen Erscheinungsformen – vor allem im Gewand des Antizionismus oder vermeintlich legitimer „Israelkritik“ – stellt spätestens seit Ende der 1990er Jahre eine entscheidende Konfliktlinie innerhalb des linksradikalen Spektrums dar. Ein Teil der radikalen Linken bricht offen mit der traditionellen antiimperialistischen Linken, problematisiert deren Antizionismus und Antisemitismus und charakterisiert sich durch ihre öffentlich artikulierte Solidarität mit Israel.
Die Modellhaftigkeit und Innovationskraft des Präventionsvorhabens lag daher darin, dass entlang dieser Konfliktlinie nicht gegen die Linke, sondern aus einem Teil der radikalen Linken selbst heraus präventiv gegen linke Militanz und Antisemitismus vorgegangen wurde. Methodisch-innovativ war das Vorhaben, weil erstmals auf der Basis lokaler empirischer Befunde und durch Studierende Zugänge zur linken Szene eröffnet wurden.
Forschungsfragen: In vergleichender Perspektive wurde danach gefragt, wie verbreitet welche Formen von Antisemitismus (manifester, latenter, sekundärer und israelbezogener) unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Rhein-Ruhr-Region mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Einstellungen, Glaubensformen, Selbstdeutungen und Wertorientierungen sind. Gibt es Antisemitismus unter Linken? Und falls ja: Für welche Formen sind Linke im Vergleich zu anderen Gruppen besonders anfällig? Spielen dabei eher Religionszu- und Staatsangehörigkeit sowie Migrationshintergrund oder die Radikalität der politischen Orientierung, spezifische Glaubensformen, persönliche Selbstdeutungen und Wertorientierungen eine Rolle? Mit anderen Worten: Kommt es eher darauf an, ob man Deutscher, Christ und Muslim ist oder nicht ist, oder nicht doch eher darauf, ob man Theist, Soziotheist oder Atheist bzw. Humanist, Sozialist und Naturalist ist? Welche Verbindungen bestehen zwischen gesellschaftspolitischer Orientierung und religiösen Werteorientierungen, säkularen Selbstdeutungen, Lebensgeschichten und Erfahrungen vor Ort? Welche Mittel und Wege werden als legitim angesehen, um bestimmte Ziele zu erreichen?
Methodik: Ausgehend von einer Sekundäranalyse quantitativer, selbst erhobener Daten wurden zunächst in einer Feld- und Diskursanalyse Schriften (Flyer, Liedtexte, in sozialen Netzwerken) und Programmatiken linker Gruppen analysiert, um das Ideologie- und Gefährdungspotential einzuschätzen. Zudem wurden Interviews und Kleingruppengespräche mit Studierenden und Repräsentanten linker Parteien und Gruppierungen geführt und analysiert. Befragt wurden vornehmlich links-affine, religiös wie säkular orientierte Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Zuwanderungsgeschichte.
Ergebnisse/Ausblick: Die Sekundäranalyse der unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen vom RISP in der Region durchgeführten quantitativen Erhebung „Religion & Kultur an Rhein & Ruhr“ hat ergeben, dass Antisemitismus Bestandteil vieler, vielleicht sogar aller Glaubensformen, Selbst- und Weltdeutungen sein kann, aber nicht muss. Am wenigsten anfällig für die Ausgrenzung von Juden sind übrigens Atheisten, am gefährdetsten Soziotheisten, also Menschen, die exklusiv an einen Gott für ihr Volk glauben, und Rechtsextremisten. Israelbezogener Antisemitismus ist indes – in der Reihenfolge der Aufzählung – unter jungen Soziotheisten, Muslimen, Linken und Frauen verbreiteter als unter Rechten, Männern, Atheisten und Christen. Basierend auf den Erkenntnissen wurden zudem gemeinsam mit Studierenden der UDE Maßnahmen zu Radikalisierungsprävention entwickelt und erprobt. Durchgeführt wurden Peer-to-Peer-Coachings für Studierende, Fortbildungen für das lokale Community-Education Netzwerk zur Radikalisierungsprävention und überregionale Multiplikatorenschulungen.
Wissenschaftliche Kooperationspartnerin dieses Modellprojekts ist die Universität Duisburg-Essen. Die Projektleitung dort hat Frau Prof. Dr. Susanne Pickel.
I. Projektziele
Hauptziel des Projektes ist die Entwicklung von zugangserschließenden Ansätzen zum uneinheitlichen Milieu linker und linksextremer Gruppierungen, in denen sich vornehmlich Ju-gendliche und junge Erwachsene organisieren. Lokale Zugänge zur linken Szene sollen auf der Basis empirischer Befunde und durch Peer Groups eröffnet werden.
Erwartet werden Befunde, die auf ein überlappendes Feindbildspektrum („Querfront“) mit dem Rechtsextremismus und die gemeinsam geteilte Wahrnehmung gefühlter Ungerechtigkeit hinweisen, die es ggf. unter Anwendung von Gewalt auszumerzen gilt. Ferner erwarten wir, dass sich das Unbehagen an den „Verhältnissen“ auch in linksextremen Diskursen konkret in Abwertung von Demokratie, Phantasien der Abschaffung „des Systems“, Antiliberalismus und Parlamentarismuskritik zeigt. Gemeinsam dürfte auch die Verbindung von Kapitalismus, der als wichtiges Feindbild fungiert, und „jüdischer“ Urheberschaft sein und die Verquickung von Globalisierung, Zionismus und amerikanischem Imperialismus.
Perspektivisch werden die gewonnenen Erkenntnisse und daraus entwickelte Maßnahmen in das lokale Community-Education Netzwerk zur Radikalisierungsprävention sowie die Politische Bildungsarbeit, Familienberatung und Schulsozialarbeit übertragen.
II. Handlungskonzept
Durch eine Diskurs- und Feldanalyse wird zunächst das ideologische Gefährdungs- und Radikalisierungspotential erhoben, das für und von der Anhängerschaft linker Gruppierungen ausgeht. Dabei wird insbesondere nach offenen oder verdeckten antiisraelischen und antijüdischen Tendenzen gefragt. Aufgrund heterogener, z. B. kurdisch stämmiger Jugendmilieus sind regionale Befunde zu erwarten, die andernorts eher untypische Ausrichtungen, Verknüpfungen und militante Handlungsoptionen aufweisen.
Um Zugänge zur Szene zu eröffnen, werden im Anschluss an die ideologische Gefährdungs- und Radikalisierungsanalyse Interviews von und mit Studierenden und Repräsentanten linker Parteien und Gruppieren geführt. Darauf aufbauend werden Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention entwickelt. Diese werden gemeinsam mit örtlichen Kooperationspartnern konzipiert und erprobt. Geplant sind u.a. Multiplikatorenschulungen mit Vertreter*innen aus Duisburger Parteien, Stadt- und Integrationsrat, Peer-to-peer-Coaching für Studierende und Fortbildungsangebote für Schulpsycholog*innen, Lehrer*innen, Schulsozial*arbeiterinnen.
Methodisch-innovativ ist das Vorhaben, weil erstmals auf der Basis lokaler empirischer Befunde und durch Studierende Zugänge zur linken Szene eröffnet werden. Dass insbesondere Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen ein oftmals unterschätztes Phänomen des linksextremen Spektrums ist, ist aus fachlicher Perspektive nicht neu. Das Phänomen in Teilen des linken Spektrums – vor allem im Gewand des Antizionismus oder vermeintlich legitimer „Israelkritik“ – stellt spätestens seit Ende der 1990er Jahre eine entscheidende Konfliktlinie innerhalb der deutschen Linken dar. Sie bricht offen mit der traditionellen antiimperialistischen Linken, problematisiert deren Antizionismus und Antisemitismus und charakterisiert sich durch ihre offen artikulierte Solidarität mit Israel. Eine weitere methodische Modellhaftigkeit und bisher noch nicht genutzte Innovationskraft unseres Vorhabens liegt daher darin, dass entlang dieser Konfliktlinie nicht gegen die Linke, sondern aus einem Teil der Linken selbst heraus radikalisierungspräventiv gegen linke Militanz und Antisemitismus vorgegangen wird.
III. Ausführliche Beschreibung des Vorhabens
1. Lokale Ausgangslage und Handlungsbedarf
Die Stadt Duisburg hat sowohl in Hinblick auf AS im linken Spektrum als auch auf die daraus hervorgehende innerlinke Konfrontation nicht erst seit kurzem einen zweifelhaften Ruf über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus. So kam es vor Ort in den letzten Jahren zu mehreren einschlägigen und auch in der bundesweiten Presse beachteten anti-israelischen und antisemitischen Vorfällen. Gerade die Partei Die Linke sah sich wiederholt mit dem Vorwurf des AS konfrontiert.
So sprach sich z.B. der damalige Oberbürgermeisterkandidat und Fraktionsvorsitzende im jüngsten Kommunalwahlkampf öffentlich für einen Boykott israelischer Waren aus. Nur zwei Jahre später tauchte auf der Website der Duisburger Partei Die Linke ein dezidiert antisemitisches Flugblatt auf, woraufhin auch Vertreter der eigenen Bundespartei Kritik äußerten. Die Verantwortlichen distanzierten sich zwar, der genaue Urheber blieb jedoch unbekannt. Eine innerparteiliche Auseinandersetzung blieb somit aus. Im Zuge des kürzlich wieder aufgeflammten militärischen Konflikts im Gaza-Streifen kam es im Anschluss an eine von der lokalen Jugendorganisation der Partei Die Linke, „solid“, organisierten pro-palästinensischen Kundgebung in Essen zur öffentlichen Skandierung etlicher antisemitischer Parolen und einem Angriff auf die zeitgleich stattfindende pro-israelische Kundgebung. Auffällig war hier der große Anteil an arabischstämmigen und mitunter dem islamistischen Milieu angehörigen Personen in der Gruppe der Angreifenden. Wenige Tage danach forderten TN einer Kundgebung des Duisburger Ablegers der orthodox-marxistischen und der MLPD nahestehenden Jugendorganisation „Young Struggle“ auf einem Plakat „Tod dem Zionismus“.
Die ideologischen Schnittmengen zwischen bestimmten Strömungen der Linken und islamistischen Gruppierungen in ihrer Feindschaft gegen “den Westen”, die USA und Israel zeigt sich vor Ort am Beispiel des sog. antiimperialistischen “Initiativ e.V – Verein von Demokratie und Kultur von unten”. Wegen ihrer Kooperation mit dem ebenfalls in Duisburg ansässigen Verein “Organization for Human Dignity and Rights” (HDR), welcher wiederholt der antijüdischen Propaganda bezichtigt wurde, fand der Initiativ e.V. mehrfach Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW als “islamistische” Organisation. In der Vergangenheit beteiligte sich der Verein als deutscher Vertreter an einer Spendenaktion unter dem Titel “10€ für den irakischen Widerstand” zur Finanzierung der Baath-Partei nahestehender terroristischer Gruppierungen im Irak. Der HDR wiederum war trotz innerlinker Kritik im lokal durchaus bedeutsamen Bündnis “Duisburger Netzwerk gegen rechts” aktiv, welches regelmäßig zu Gegenprotesten anlässlich rechter Demonstrationen mobilisiert.
Beachtenswert ist zudem ein weiterer anti-emanzipatorisch geprägter Teil der Szene. In diesem linksextremistisch besetzten und zumindest rechtsoffenen Umfeld können sich verschwörungstheoretische und damit einhergehende antisemitische Denkmuster immer wieder durchsetzen. Das sich selbst als “Politpop-Band” bezeichnende Duisburger Hip-Hop Duo “Die Bandbreite” adressiert eine Querfront aus linksaffinen und rechtsoffenen Personen, wobei in den Songtexten stets die USA, Israel und Repräsentanten “des Kapitalismus” als geeignete Feindbilder fungieren.
Die beschriebenen Vorfälle und Konstellationen führten immer wieder zu Konflikten und gewaltsamen Konfrontationen mit lokalen Gruppen, die dem israel-solidarischen Flügel der Linken zuzuordnen sind. Die migrantisch geprägten Strukturen linksextremistischer Gruppen einerseits und die vereinzelten Querfrontbestrebungen andererseits stehen exemplarisch für die angespannte Situation in mehreren Duisburger Stadtteilen. In einigen Fällen geht die Struktur linksmilitanter Gruppen auf die Beschaffenheit örtlicher Gemeinde- und Familienstrukturen zurück, was deren Identifizierung und Zugang zwar erleichtert, den Umgang mit Konflikten auf inhaltlicher Basis jedoch erschweren kann. Besonders in Kreisen pro-kurdischer Organisationen mit kommunistischer Grundeinstellung wird beispielsweise auf bereits bestehende Infrastrukturen von Familienclans zurückgegriffen. Hieraus ergeben sich vermutlich die große Mobilisierungskraft und der Organisationsgrad solcher Gruppen.
Eine vom RISP im Jahr 2016 durchgeführte standardisierte Befragung unter ca. 800 Jugendlichen an Bildungseinrichtungen in der Rhein-Ruhr-Region hat nicht nur gezeigt, dass sich auffällig viele Muslime als extrem links einschätzen, sondern auch antisemitische Einstellungen unter der Mehrheit dieser Gruppe überproportional verbreitet sind. Israelbezogener Antisemitismus übernimmt dabei häufig die Rolle einer Artikulationsform latenter Judenfeindschaft, die sich in sozialen Netzwerken, Schulhofgesprächen und Studierendendebatten manifestiert.
2. Hauptziel und Ziele des Modellvorhabens
Die Konzeption des Modellprojektes reagiert auf das Phänomen linksextremistischer ideologischer Entgleisungen, die in spezifischen Jugend- bzw. Studierendenmilieus vor Ort in Duisburg und Umgebung sowie der hiesigen Hochschullandschaft zu beobachten sind. Obschon einige – indirekt zu Kenntnis gelangende – Informationen über die Existenz und die ideologische Denkungsart diverser politisch-linker Gruppierungen oder parteipolitischer Vorfeldorganisationen bekannt werden, ist es zur Anwendung präventiver Maßnahmen unabdingbar, direkten Zugang zu diesen Gruppierungen zu erarbeiten.
Hauptziel des Vorhabens “Linke Militanz und Antisemitismus in heterogenen Jugendmilieus“ ist somit die Entwicklung zugangserschließender Ansätze zum heterogenen Milieu linker und linksextremer Gruppierungen vor Ort, die sich offen oder verdeckt gegen Juden richten. Des Weiteren sollen in Kooperation mit unseren ProjektpartnerInnen Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention konzipiert und erprobt werden.
Die Ziele werden wie folgt gefasst:
1.) Diskurs- und Feldanalyse der in Duisburg und Umgebung ansässigen linken bzw. linksradikalen Gruppierungen mit antisemitischen Haltungen und Aktivitäten:
a) Textanalyse (Flugblätter, Songtexte, Flyer etc.);
b) Internetanalyse (soziale Netzwerke);
c) Programmanalyse
2.) Zugangserschließende Ansätze:
a) qualitative Interviews mit Studierenden und weiteren Hochschulmitgliedern;
b) Expertengespräche mit Repräsentanten der verschiedenen Gruppen (Parteien im Duisburger Stadt- und Integrationsrat, Jugendorganisationen);
c) Tiefeninterviews mit SchulsozialarbeiterInnen, SchulpsychologInnen; LehrerInnen, Eltern
3.) Konzeption und Erprobung von Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention:
a) Multiplikatorenschulung (Vertreter der Parteien im Integrationsrat, kurdische Bewegung); b) Peer-to-peer-Coaching für Studierende;
c) Fortbildungsangebote für SchulsozialarbeiterInnen und LehrerInnen
4.) Vorstellung der entwickelten Ansätze und erprobten Maßnahmen in der Kommune und in Fachkreisen.
Bereits im Verlauf des Interessenbekundungsverfahrens ist den antragstellenden ProjektmitarbeiterInnen deutlich geworden, dass das Phänomen “Linke Militanz” in der Duisburger Stadtgesellschaft sowie der Hochschullandschaft der Universität Duisburg-Essen ein ernstzunehmendes Problem darstellt. Überdies war bereits oberflächlich ersichtlich, dass das Phänomen vor Ort eindeutige Spezifika aufweist:
1.) Im Hinblick auf die Hauptzielgruppe – Jugendliche und Studierende, die sich dem linken Spektrum zuordnen -, ist ein hoher Anteil ethnisch, kulturell bzw. religiös geprägter junger Menschen zu verzeichnen, die als muslimisch oder kurdisch stämmig zu bezeichnen sind.
2.) Auch aufgrund dieser Tatsache sind ideologische Prämissen zu erwarten, die andernorts eher untypische Ausrichtungen, Verknüpfungen und militante Handlungsoptionen gewärtigen.
Ziel der ersten Projektphase wird es also sein, die Leerstellen analytisch zu definieren und sie zu füllen. Daraus sollte sich ergeben, wo genau Zugänge in radikalisierungsgefährdetes Milieu zu erschließen sind, und ebenso wichtig, wie und mit welchen notwendigen präventiven Inhalten dies geschehen sollte. Beides trägt zum übergeordneten Gesamtprojektziel bei, d.h. der Erschließung sowie belastbaren Entwicklung von Zugängen in das heterogene Milieu linksradikaler (bzw. an der Schwelle zum Linksextremismus sich befindlicher) Gruppierungen im Großraum Duisburg und der hiesigen Universitätslandschaft. Fokussiert werden insbesondere diejenigen Gruppen, die implizit oder direkt “judenfeindlich” agitieren oder gar agieren. Nachgelagertes Hauptanliegen ist dann (im Verbund unserer ProjektpartnerInnen) die kooperative Entwicklung von Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention.
3. Methodisches Vorgehen
Die Diskurs- und Feldanalyse zu Beginn dient zunächst einer Bestandsaufnahme linksextremistischer Gruppierungen in Duisburg und Umgebung mit antisemitischen Tendenzen, wobei aktuelle Themen erkannt, Debatten abgegrenzt und Positionen sortiert werden sollen. Der Zugang zu den einzelnen Gruppierungen soll über Einzelgespräche, qualitative Interviews und Expertengespräche erschlossen werden. Der gewählte Zugang ist nicht “paternalistisch-dozierend”, sondern aufsuchend, wertschätzend und akzeptierend.
Bei den Kleingruppen- und Einzelgesprächen sind vor allem die existentiellen Selbstdeutungen der Jugendlichen und jungen Menschen von Interesse. Befragt werden vornehmlich links-affine, religiös wie säkular orientierte Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Zweck der Untersuchung ist es herauszufinden, welche Verbindungen es zwischen den gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen, insbesondere im Hinblick auf manifeste oder latente antisemitische Einstellungsmuster und Tendenzen, den individuellen Werteorientierungen sowie den verschiedenen religiösen Implikationen vor dem Hintergrund welcher Selbstdeutungen, Lebensgeschichten und Erfahrungen vor Ort gibt. Es soll auch danach gefragt werden, welche Mittel und Wege als legitim angesehen werden, um bestimmte Ziele, die für die persönliche oder kollektive “Emanzipation” und “Befreiung” als erstrebenswert angesehen werden, zu erreichen (Verhältnis zu Gewalt und Rechtsstaatlichkeit).
Die empirische Erhebung mittels Diskursanalyse und Tiefeninterviews ermöglicht Aussagen über das Gefährdungspotential und Ausmaß der Radikalisierung. Dabei sind mehrere Risikofaktoren zu berücksichtigen, die sich im Prozess der Radikalisierung gegenseitig verstärken können: a) erlebte Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Perspektivlosigkeit; b) Übernahme vermeintlich logischer Erklärungsansätze mit Absolutheitsanspruch (Dogmatismus, Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, Fanatismus) und c) Mobilisierung durch gruppendynamische Prozesse (öffentliche Demonstrationen, Netzwerke, Suche nach dem “Kick”).
Anhand spezifischer Merkmale (u.a. Abschottung der eigenen Gruppe gegen “die anderen”, Gewaltbereitschaft) soll das Gefährdungspotential der einzelnen Gruppierungen bzw. deren Mitglieder erhoben werden. Darauf aufbauend sollen schließlich Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention entwickelt und gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern sowie deren TeilnehmerInnen in Fortbildungen, Coachings, Peer-to-peer-Arbeit lokal erprobt werden. Perspektivisch soll durch komplementäre Vernetzung der entwickelten Maßnahmen in Ergänzung zur Politischen Bildungsarbeit, Familienberatung und Schulsozialarbeit ein Beitrag zum bestehenden lokalen Community-Education Netzwerk zur Radikalisierungsprävention geleistet werden.
4. Fachlicher Bedarf und Innovationsgehalt des Modellvorhabens
Das Phänomen der Linken Militanz wird insofern unterschätzt, als vergleichbare(s) Opferzahlen und Gewaltpotential wie beim Rechtsextremismus vermeintlich nicht zu konstatieren sind. Mit Blick auf ein überlappendes Feindbild-spektrum und die Wahrnehmung gefühlter großartiger Ungerechtigkeit – die global, lokal und personal erkannt wird – und die es ggf. unter Anwendung von Gewalt auszumerzen gilt, ist eine Berücksichtigung auch des Linksextremismus geradezu geboten. Das abstrakte Unbehagen an den “Verhältnissen“ manifestiert sich in sowohl rechts- als auch linksextremen Diskursen konkret in Demokratiedistanz, Religionskritik, Phantasien der Abschaffung „des Systems“ resp. der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ordnung, Antiliberalismus und Parlamentarismuskritik. Unter den zu fokussierenden ideologischen Facetten sind vor allem die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols bis hin zur aggressiven Bekämpfung seiner Repräsentanten, die Engführung einer fundamentalen Kapitalismuskritik auf jüdische Urheberschaft, deren vermeintliche Verquickung mit Globalisierung, Zionismus und (vor allem so wahrgenommenen) amerikanischem Imperialismus zu nennen. Um den Übergang von (links-) radikaler Haltung in (links-) militante bzw. extremistische Handlung zu verstehen, ist eine komplementäre Betrachtung der individuellen lebensgeschichtlichen Entwicklung (soziales und familiäres Milieu, psychische Dispositive) im Zusammenspiel mit krisenhaften Momenten in der Identitätssuche und Werteorientierung vonnöten. Zusammenhänge mit der vor allem in der Jugendkultur verankerten erlebnisorientierten Suche nach „dem Kick” sind ebenso wenig zu vernachlässigen.
Dass insbesondere AS in seinen verschiedenen Erscheinungsformen ein gemeinhin unterschätztes Phänomen des linksextremen Spektrums ist, ist aus wiss. Perspektive nicht neu. Gerade in Teilen der radikalen Linken hält sich jedoch hartnäckig die Annahme, die eigene Weltanschauung sei gegen AS grundsätzlich immun und schließe diesen per definitionem aus. Auf diese moralische Selbstüberhöhung reagiert z.B. die innerlinke Strömung der sog. “Anti-Deutschen”, die die Existenz linken AS explizit benennen. Das Phänomen AS in Teilen des linken Spektrums – vor allem im Gewand des Antizionismus oder vermeintlich legitimer „Israelkritik“ – stellt spätestens seit Ende der 1990er Jahre eine entscheidende Konfliktlinie innerhalb der deutschen Linken dar. Sie bricht offen mit der traditionellen antiimperialistischen Linken, problematisiert deren Antizionismus und AS und charakterisiert sich weiterhin durch ihre offen artikulierte Solidarität mit Israel. Im lokalen Handlungsfeld ist überdies eine nahezu homogene Ethnisierung der linksextremen Szene aufweisbar, namentlich z.B. PKK-affiner oder kurdischstämmiger Akteure sowohl im lokalparlamentarischen wie außerparlamentarischen Kontext in Form von gewachsenen bzw. bestehenden Milieus, Familienstrukturen und stud.-universitären Zusammenhängen. Hier sind gar Einzelfälle junger Linksradikaler (z.B. die gebürtige Niederrheinerin Ivana Hoffmann, gest. 2015 in Syrien) bekannt geworden, die im bewaffneten Konflikt umkommen. Dieser sowohl wissenschaftlichen wie präventionspolitischen Leerstelle soll Rechnung getragen werden, wobei die in dem heterogenen linksextremen Milieu vorfindbaren Spannungspole von moralischer Selbstüberhöhung und Kollektivabwertung berücksichtigt werden sollen.
5. Kooperation und Vernetzung
Von konkreter Kooperation ist bei einigen hier zu nennenden Organisationen bzw. linken Gruppierungen mit Blick auf Verdacht von Verfassungsfeindlichkeit nicht auszugehen. Nichtsdestotrotz ist über indirekte Vernetzung Zugang zu diversen Gruppen hergestellt bzw. herstellbar. Dabei kann das RISP auf langjährig bestehende Arbeitsbeziehungen zur Schulpsychologischen Beratungsstelle, zum Kommunalen Integrationszentrum sowie zum Integrationsrat der Stadt Duisburg und den darin vertretenen Parteien zurückgreifen. Zudem bestehen über eigene Lehrveranstaltungen, Lehrstühle der Politik- und Bildungswissenschaften und Soziologie sowie permanente Kontakte zu studentischen Mitarbeitern und Praktikanten vitale Beziehungen in die Hochschulöffentlichkeit Universität Duisburg-Essen hinein.
Die Kooperationspartner sind:
1.) Universität Duisburg-Essen, Fak. für Gesellschaftswissenschaften, Institut für Politikwissenschaft, Prof. Dr. Susanne Pickel
2.) Studierende der Universität Duisburg-Essen, die sich gegen AS und Antizionismus engagieren
3.) Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg
4.) LehrerInnen, SchulsozialarbeiterInnen und Eltern aus Duisburg und Umgebung mit und ohne Migrationshintergrund
5.) Strategische Kooperation mit dem Kommunalen Integrationszentrum Duisburg (KI) mit Zugang zum Integrationsrat der Stadt Duisburg
Das Rhein-Ruhr-Institut verfügt seit vielen Jahren über gewachsene und verlässliche Kontakte zu Akteuren der lokalen Bildungs- und Integrationsarbeit. Über die die enge Kooperation mit dem Duisburger KI und den angegliederten Migrantenselbstorganisationen, aber auch die kirchlichen Träger (Ev. Familienbildungsstätte, Kath. Familienbildungsstätte, jüdische Gemeinde, Moscheevereine) ist das RISP in zahlreiche integrationspolitische Netzwerke, Round-Tables etc. aktiv eingebunden. Des Weiteren besteht über das KI Zugang zum Integrationsrat der Stadt Duisburg und den dort vertretenen Parteien. Nicht zuletzt verfügt das RISP über die jahrelange Zusammenarbeit mit der Schulpsychologischen Beratungsstelle der Stadt Duisburg und der aktiven Teilnahme an Vernetzungstreffen u.a. zum Thema Radikalisierungsprävention an Schulen über zahlreiche Kontakte zu Lehrkräften und SchulsozialarbeiterInnen mit und ohne Migrationshintergrund.
6. Zielgruppen und deren Erreichung
Linke Gruppen mit Ansätzen von militanter Gesinnung agieren zumeist im Verborgenen. Deren Mitglieder, sofern sie überhaupt öffentlich auftreten, meiden die Bekanntmachung ihrer Angehörigkeit in diesbezüglichen Umfeldern. Hinzu kommt, dass eine geographische Zuordnung über Stadtteile zwar annähernd möglich ist, die konkrete Identifikation und Abgrenzung von unabhängig operierenden Gruppen bleibt jedoch weiterhin schwierig.
Duisburg als Universitätsstadt mit einer äußerst heterogenen Studierendenschaft eröffnet hingegen den Zugang zu Schnittmengen einer linksextremistischen Szene mit institutionalisierten Vereinigungen im hochschulpolitischen Umfeld. So traten ab spätestens 2015 mehrere Mitglieder der ehemaligen “Roten Antifa” in Hochschulgruppen auf und kandidierten mit der Liste “United Students”. Dieser gegenüber wurden immer wieder Antisemitismus- und Denunziationsvorwürfe laut. Aus dem Umfeld der “Roten Antifa” wurden zuvor gewaltsame Übergriffe auf Andersdenkende bekannt, der Ruf des Netzwerks aus damit verbunden Ablegern und bundesweit aktiven Splittergruppen prägte eindringlich das überregionale Bild der Duisburger linken Szene. Mit der “Roten Antifa” verknüpfte Gruppen wie “Young Struggle” oder das antiimperialistische “United Squad” sowie nicht zuletzt deren Ableger an der Universität Duisburg-Essen sind meist relativ instabil, indem sie sich rasch neu organisieren oder ihre Mitglieder andernorts aktiv werden.
Teilweise separat davon zu betrachten sind Zielgruppen mit kurdischem Hintergrund, die häufig in enger Verbindung mit den oben genannten stehen und überdies eigene, oft auch international ausgerichtete Interessen verfolgen. Dies sind unter einigen anderen die Duisburger Zellen der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) oder der Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK). Letzteres verdeutlicht erneut den Vorteil eines zugangserschließenden Ansatzes über die Hochschule. Zwar scheinen die MLKP und die ihr ähnlichen Gruppen vor Ort vordergründig friedlich zu handeln, ihr Mobilisierungspotential für den bewaffneten Kampf an der Seite der kurdischen Befreiungsbewegung wird jedoch mit prominenten Fällen wie dem Ivana Hoffmanns deutlich.
Zur Erschließung von Zugängen zu linksextremistischen Milieus besteht aufgrund der institutionellen Nähe zur Universität Duisburg-Essen die Möglichkeit einer direkten oder indirekten Kontaktaufnahme über die Studierendenschaft. Wo linke Gruppen im öffentlichen Raum oft in diffusen Kontexten agieren, sind deren Mitglieder innerhalb des akademischen Umfelds in manchen Fällen als Hochschulgruppen oder studentische Vereinigungen an der Universität organisiert. Indem hier personelle und ideologische Schnittmengen offengelegt werden, erleichtert sich die Gestaltung einer Kontaktaufnahme.
Die Vernetzung des RISP über die eigenen studentischen Hilfskräfte, die Lehrenden und die Verfasstheit als An-Institut bedeuten große Vorteile bei der vertrauensvollen Etablierung von Zugängen. Auftretende Konflikte wie bei der Kandidatur der Hochschulgruppe “United Students” zum Studierendenparlament im Juni 2015 werden häufig offen ausgetragen und weisen auf Konstellationen und innerlinke Verhältnisse im gesamten Stadtgebiet hin. Die öffentliche Kritik an “United Students” aus konkurrierenden Teilen des linken Spektrums macht
deutlich, inwiefern Konflikte im Hochschulumfeld zutage treten, verstanden und aufgearbeitet werden können.
Da mit dem akademischen Umfeld nur ein begrenzter Teil des Milieus erreicht werden kann, ist zudem eine gezielte Vernetzung mit gesellschaftspolitischen Akteuren in den jeweiligen Stadtteilen nötig. Wie erwähnt, nutzen vor allem die migrantisch geprägten Gruppen eine in deren Communities bestehende Infrastruktur, was weniger ein strategisches Kalkül sein muss, als vielmehr den langjährig gewachsenen Verhältnissen folgt.
Zielgruppenzugänge über politische Parteien und Organisationen sowie Gemeindevertreter und Vertreter von MSO sind neben weiteren Akteuren vor Ort somit elementarer Bestandteil einer überlegten Präventionsarbeit.
7. Arbeitsschritte und Meilensteine
Projektphase I (August bis Dezember 2017):
Um Zugang zu linksradikalen Szenen, Milieus und Gruppierungen zu erschließen, ist zunächst mit einer inhaltlich-analytischen Untersuchung zu beginnen. Zu diesem Zweck ist eine dreigliedrige Diskurs- und Feldanalyse anzustellen, die
(a) in vielfältiger Textanalyse (Meilenstein 1, August bis Dezember 2017),
(b) einer u.a. sozialmedialen Internetanalyse (Meilenstein 2, August bis Dezember 2017) und einer
© partei- sowie hochschulpolitischen Programmanalyse (Meilenstein 3, August bis Dezember 2017) besteht.
Die hier zu erwartenden Ergebnisse sind zugleich die Voraussetzung für das weitere zielführende Vorgehen, mithin das Erreichen des Projektzieles. Der Projektgegenstand erfordert es, im Rahmen einer explorativen Untersuchung, die vorliegenden, ausgetauschten und verbreiteten Ideologiegehalte deskriptiv zu analysieren, sie zu ordnen und sie im Hinblick auf Extremismusaffinität im Allgemeinen, wie auf antisemitisch-verschwörungstheoretische Anschlussfähigkeit im Besonderen zu beurteilen.
Im Anschluss an die inhaltlich-analytische Feld- und Diskursforschung ist die zugangserschließende Erhebungsphase einzuleiten, um daran anschließend wie darauf aufbauend Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention zu konzeptualisieren und zu erproben und sie anschließend weiternutzbar zugänglich zu machen.
Projektphase II (Januar bis Dezember 2018)
Zugangserschließung zu linken/linksradikalen Szenen über:
a) über Studierende und weitere Hochschulangehörige; Methode: (10-15) Qualitative Interviews (Meilenstein 4)
b) über Repräsentanten aus Duisburger Parteien, Stadtrat und Integrationsrat; Methode (10-15) Expertengespräche (Meilenstein 5)
c) über SchulpsychologInnen, SozialarbeiterInnen, LehrerInnen und Eltern; Methode: (10-15) Tiefeninterviews (Meilenstein 6)
Projektphase III. (Januar bis Dezember 2019)
Konzeption und Erprobung von mind. zwei Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention:
a) Multiplikatorenschulung mit Vertretern aus Duisburger Parteien, Stadt- und Integrationsrat (Meilenstein 7)
b) Peer-to-peer Coaching für Studierende (Meilenstein 8)
c) Fortbildungsangebote für SchulpsychologInnen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen (MS 9)
d) Dokumentation (Meilenstein 10)
e) Vorstellung Kommune und Fachkreise (Meilenstein 11)
8. Fachliche und wissenschaftliche Standards
Das Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung e.V. als ein vom Wissenschaftsministerium des Landes NRW anerkanntes An-Institut der Universität Duisburg-Essen ist den Standards guter wissenschaftlicher Praxis verpflichtet. Bei der konkreten wissenschaftlich-pädagogischen Umsetzung unserer Maßnahmen werden zudem die Maßgaben des “Beutelsbacher Konsens” gewahrt.
Im hier beantragten Projektvorhaben werden überdies Erkenntnisse, Methoden und Theorien der interdisziplinären Extremismusforschung sowie die ideengeschichtlichen Grundlagen linker bzw. linksradikaler Ideologeme eingebracht.
Methodisch werden bei der beabsichtigten Verknüpfung von Theorie und Praxis, insbesondere bei der Entwicklung zugangserschließender Maßnahmen zu den Zielgruppen, neben den Instrumenten der empirischen Sozialforschung und Diskursanalyse auch Ansätze der Handlungs- und Aktionsforschung von Nutzen sein.
Mit Blick auf die anzunehmende Bedeutsamkeit der individuellen lebensweltlichen und milieuspezifischen Entwicklung Jugendlicher und Heranwachsender sind die Erkenntnisse aus Sozial- und Entwicklungspsychologie handlungsleitend.
Über die verschiedenen Ansätze der Extremismusforschung hinaus werden wir in dem Projekt auch eine religionspolitologische Perspektive einnehmen, um die den extremistischen Ausprägungen zugrundeliegenden Einstellungen zu Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, aber auch die individuellen Werteorientierungen und religiösen Glaubensvorstellungen in den Blick zu bekommen. So hat unsere im Jahr 2016 durchgeführte Befragung (s.o.) ergeben, dass bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund, die sich politisch selbst als „links“ einschätzen, Religion, insbesondere in sozio-theistischer Ausprägung, eine signifikante Rolle spielt. Ebenso weist der vornehmlich in linken Kreisen vorfindbare israelbezogene AS auf religiöse Implikationen in Form einer moralischen Überhöhung des eigenen Kollektivs (Volk, Nation, Gruppe) bei gleichzeitiger Abwertung der das eigene Kollektiv bedrohenden Juden hin.
9. Gender- und Diversity-Mainstreaming und Inklusion
Gender-Aspekte werden über alle Phasen des Projekts berücksichtigt. Bei den Tiefeninterviews ebenso wie bei der Erprobung unserer Maßnahmen, die sich vor allem an Studierende der Universität Duisburg-Essen, an SchülerInnen und Akteure der Integrations- und Bildungsarbeit richtet, werden selbstverständlich Mädchen/Frauen und Jungen/Männer eingeschlossen, so dass geschlechtsspezifische Wahrnehmungs-, Selbst- und Weltdeutungsmuster sowohl bei der Diskursanalyse als auch Konzeption von Präventionsmaßnahmen beachtet werden können.
Ein Diversity-orientierter Ansatz kommt in dem Modellvorhaben – wie bereits in früheren Projekten erfolgreich erprobt – auf struktureller, inhaltlicher und methodischer Ebene zur Anwendung: Auf der strukturellen Ebene, indem unterschiedliche Zielgruppen in dem heterogenen Jugendmilieu vor Ort sowie staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure der Integrations- und Bildungsarbeit partizipativ in die Projektarbeit eingebunden werden. Inhaltlich wird ein weit gefasstes Verständnis von Diversity zugrunde gelegt, das über die klassischen Dimensionen Kultur/Ethnizität, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung hinausgeht. Menschen unterscheiden sich in vielen Aspekten voneinander, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen und sich sowohl auf Gruppenzugehörigkeiten als auch individuelle Einstellungen, Werteorientierungen, Bedürfnisse und Interessen beziehen, so dass weitere Dimensionen von Diversity (personale, soziale, politische, religiöse, ökonomische) zu berücksichtigen sind. Dieses weite Verständnis von Diversity hat methodische Konsequenzen. Es reicht erfahrungsgemäß nicht aus, vorgefertigte Konzepte und Lösungen zu präsentieren, sondern diese sollen gemeinsam mit den Projektpartnern entwickelt und aus den jeweiligen Bedarfen hergeleitet werden. Bei der Entwicklung der Präventionsmaßnahmen wird auf pädagogische Vielfalt der Lern- und Lehrmethoden Wert gelegt, so dass Menschen mit unterschiedlichen biographischen Hintergründen, Fähigkeiten und Fertigkeiten inkludiert werden und deren aktive Teilnahme und Teilhabe gefördert wird.
10. Öffentlichkeitsarbeit
Wichtigster Teil der Öffentlichkeitsarbeit wird zunächst die Vorstellung des Vorhabens bei staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Kommune, die in Bildungs- und Präventionsarbeit der Zielgruppe tätig sind, bei Vertretern der lokalen Parteienlandschaft sowie den Organisationen und Institutionen der Hochschulpolitik an der Universität Duisburg-Essen sein.
Über diese und über die geplanten Interviews und Expertengespräche werden wir das Projekt in die lokalen und regionalen Netzwerke einbinden. Eine wichtige Rolle wird hierbei unter anderem die Nutzung der entsprechenden Netzwerke des Kommunalen Integrationszentrums der Stadt Duisburg spielen, in denen wichtige zivilgesellschaftliche Akteure vertreten sind. Des Weiteren können die bereits im aktuell laufenden Projekt arbeitenden Kooperationspartner eingebunden und gegebenenfalls auch auf deren jeweilige Kommunikationsforen zurückgegriffen werden.
Da wir uns nicht unmittelbar an die Bevölkerung wenden, heißt Öffentlichkeitsarbeit für uns in erster Linie Fachöffentlichkeitsarbeit.
Folgende Produkte werden im Verlaufe des Projektes entstehen und über das RISP und die KP, deren Internetpräsenz, Netzwerke und Kommunikationsforen verbreitet werden:
- Dokumentation der geplanten Diskurs- und Feldanalyse
- Konzepte zur Zugangserschließung schwer zugänglicher linker Jugendmilieus
- Dokumentation von mindestens zwei Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention
11. Qualitätssicherung
Die Qualitätssicherung wird in allen Projektphasen erfolgen:
Die bereits gewonnenen Kooperationspartner werden in die Diskurs- und Feldanalyse miteinbezogen.
Die Expertengespräche und Tiefeninterviews in der 2. Phase des Projekts stellen sicher, dass die (hochschul)politischen Organisationen und Institutionen in die Planung und Ausgestaltung des Vorhabens aktiv mit eingebunden werden.
Durch die aktive Mitarbeit der verschiedenen Kooperationspartner aus der kommunalen Bildungs- und Begegnungsarbeit wird sichergestellt, dass die Perspektive der professionellen Praktiker aus der Hochschule und Sozialarbeit bereits bei der Planung der Präventionsangebote Berücksichtigung findet.
Zur Qualitätssicherung in der dritten Projektphase gehört vor allem, dass die Maßnahmen mit den Zielgruppen gemeinsam erprobt werden. Aufgrund der Probephase und der Rückmeldungen werden die Angebote überarbeitet und dokumentiert. Durch die Erprobung werden also diejenigen, für welche die Angebote letztlich konzipiert werden, unmittelbar und aktiv in das Projektvorhaben eingebunden.
Die Konzeption als Tandemprojekt mit Wissenschaft-Praxis Austausch und Akteuren aus Politischer Bildung, Hochschule und Sozialarbeit dient der Qualitätssicherung und (Selbst-)Evaluation über alle Projektphasen hinweg.
12. Verstetigungs- und Disseminationsstrategien
Das RISP beabsichtigt, über die Projektlaufzeit hinaus in dem Themenfeld “Linke Militanz und Antisemitismus in heterogenen Jugendmilieus” tätig zu sein. Das Modellvorhaben soll uns neue Zugänge zu bisher schwer erreichbaren Zielgruppen erschließen, für die in Zukunft nicht nur weitere Präventionsangebote zu entwickeln sind. Vielmehr müssen diese auch in deren organisatorischem Umfeld implementiert und zu einem selbstverständlichen Bestandteil in ihrem Netzwerk werden.
Zur Verstetigung und Verbreitung der Projektergebnisse ist die Überführung der Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention in die Strukturen der beteiligten Partnerinstitutionen vorgesehen.
Hierzu ist es erforderlich, die Partner bei der Entwicklung der Zugänge und bei der Erprobung der konzipierten Maßnahmen von Anfang an einzubeziehen und die alltagspraktischen institutionsinternen Abläufe zu erfassen. Insofern sind vorgefertigte, oktroyierte pauschale Angebote zu vermeiden. Vielmehr sind die Maßnahmen von Anfang an gemeinsam zu entwickeln und in methodischer, didaktischer wie fachlich-pädagogischer Hinsicht fortlaufend zu evaluieren und zu modifizieren. Die genannten Voraussetzungen tragen wesentlich dazu bei, bedarfsgerechte und passgenaue Präventions- und Fortbildungskonzepte zu erstellen und für je verschiedene Institutionen und Zielgruppen anwendbar zu gestalten. Nach Entwicklung der Maßnahmen auf Grundlage der empirischen Ergebnisse durch die Diskurs- und Feldanalyse (Multiplikatorenschulung, Peer-to-peer Coaching für Studierende und Fortbildungsangebote für Schulpsychologen, Schulsozialarbeitende, LehrerInnen und Eltern) sollen diese in den Einrichtungen mit den jeweiligen Zielgruppen erprobt und in dort bestehende Maßnahmen integriert werden. Ziel ist die kontinuierliche Weiterführung der in dem Projekt erarbeiteten Präventions- und Fortbildungsmaßnahmen vor Ort und die Übernahme in die Regelstruktur der Kooperationspartner.
13. Erfahrungen des Projektträgers mit Radikalisierung
Das RISP ist seit 35 Jahren landes-, bundes- und europaweit in der Sozialforschung und Politikberatung aktiv. Die Forschungsgruppe Migration und interkulturelle Kommunikation befasst sich seit 2001 mit Fragen des interkulturellen und interreligiösen Zusammenlebens in der Integrationsgesellschaft. Im Mittelpunkt stehen die Bereiche: (1) Migration und Integration, (2) Interkulturelle Pädagogik sowie (3) Religionspolitologie und kulturreligiöse Konflikt- und Extremismusforschung. In zahlreichen Modellprojekten haben wir für Menschen mit wie ohne Zuwanderungsgeschichte im Kooperationsverbund mit Trägern der schulischen wie außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung Präventionsangebote gegen säkular wie religiös bedingte Formen von GMF erstellt. Dabei haben wir uns theoretisch, empirisch und pädagogisch-praktisch mit Nationalismus, Rechts- und Linksextremismen, Transzendenzskepsis, Islamfeindlichkeit sowie Antisemitismus einerseits und mit bildungsferner Weltfremdheit, ethnisch-exklusiver Gottesbegeisterung, politisch-religiösen Fundamentalismen, Islamismus und der Politisierung von Religionen andererseits befasst. Auf der Basis der Politischen Kulturforschung und der Religionspolitologie, beides interdisziplinär ausgerichtete Teilgebiete der Politikwissenschaft, verbinden wir interkulturelle Ansätze mit interreligiösen Konzepten.
Wir verfügen über vielfältige Erfahrungen mit jungen Menschen, die im Begriff sind, sich zu radikalisieren: sowohl aus unserer aktuellen Modellprojektarbeit zu antisemitischen Denkmustern als auch aus vorangegangenen Projekten zur Ethnisierung religiös-kultureller Einstellungen und demokratiedistanten Grundhaltungen, die häufig das Komplement entweder links-anarchistischer, rechts-nationalistischer oder religiös-grundierter “radikaler” Tendenzen aufweisen. Zugang zur rechts-, links- oder religiös-radikalisierten Szene erhalten wir über unsere Kooperationspartner und immer dann, wenn es gelingt, komplexe ideologische Sachverhalte dem je verstehbaren Niveau anzupassen. Die vorfindlichen radikalen oder extremen Gesinnungen sind den Trägern selbst manchmal gar nicht bewusst. Es ist bemerkenswert, wie weit verbreitet radikalisierungsoffene und -affine Überzeugungen sind, die auf den Wunsch nach Vereinfachung, auf ein aus der Unerträglichkeit herrschender „Verhältnisse“ (gesellschaftlich, politisch, ökonomisch, kulturell) entsprungenes Ungerechtigkeitsempfinden und der Sehnsucht nach schneller, umfassender und endgültiger Problemlösung reagieren. Radikalisierung geht einher mit Selbstermächtigung. Radikalisierungsverläufe sind uneinheitlich, verweisen indes auf ähnliche Entstehungskontexte. Die Unterscheidung sicherheitsrelevanter Radikalisierung von allgemeinen jugendlichen Überschwang stellt die größte Herausforderung der präventiven Bewertung wie deradikalisierenden Intervention von bzw. bei Phänomenen des politischen und religiösen Radikalismus dar.
Lehrstuhl Frau Prof. Dr. Susanne Pickel
Laufzeit: 08/2017 - 12/2019
Projektleitung:
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz
Abgeschlossene Projekte
Selten hat es so viel Streit über Religion gegeben wie in der jüngsten Vergangenheit. Die Debatten um den Karikaturenstreit, um den neuen Atheismus in unserer Gesellschaft, um die Kritik der protestantischen Kanzlerin an kirchenpolitischen Entscheidungen des Papstes, um die Islamkonferenz des Bundesinnenministers und die Integration der Muslime, um die Moscheeneubauten in München, Köln und Duisburg und die Schaffung eines „Euro-Islam“, um das Scheitern des Volksentscheids für den Religionsunterricht in Berlin, um das Minarettverbot in der Schweiz, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen in Berlin sowie jüngst um die Missbrauchskrise der Katholischen Kirche: All diese zuletzt öffentlich ausgetragenen Kontroversen weisen darauf hin, dass Religion und Religionskritik mit Vehemenz in den öffentlichen Raum zurückgekehrt sind. Die Religionszugehörigkeit und Religiosität der Bürgerinnen und Bürger wird von Öffentlichkeit und Politik wenn nicht ausschließlich im Modus des Konflikts, so doch zunehmend in der Alternative zwischen politischer Konfliktverschärfung einerseits und gesellschaftlicher Koexistenz-, Integrations- und Kohärenzförderung andererseits wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Vereinbarkeit religiöser und säkularer Überzeugungen mit dem Wertekanon der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Ziel des Vorhabens ist es, einen ersten Beitrag zur Etablierung einer empirischen Religionspolitologie zu leisten. Zu diesem Zweck wird auf der Grundlage der Religionspolitologie ein religionspolitologisches Befragungsdesign entwickelt, um darauf aufbauend Befragungen der Bevölkerung zu ihrer Wahrnehmung des Verhältnisses von Politik und Religion durchführen zu können.
Selten hat es so viel Streit über Religion gegeben wie in der jüngsten Vergangenheit. Die Debatten um den Karikaturenstreit, um den neuen Atheismus in unserer Gesellschaft, um die Kritik der protestantischen Kanzlerin an kirchenpolitischen Entscheidungen des Papstes, um die Islamkonferenz des Bundesinnenministers und die Integration der Muslime, um die Moscheeneubauten in München, Köln und Duisburg und die Schaffung eines „Euro-Islam“, um das Scheitern des Volksentscheids für den Religionsunterricht in Berlin, um das Minarettverbot in der Schweiz, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen in Berlin sowie jüngst um die Missbrauchskrise der Katholischen Kirche: All diese zuletzt öffentlich ausgetragenen Kontroversen weisen darauf hin, dass Religion und Religionskritik mit Vehemenz in den öffentlichen Raum zurückgekehrt sind. Die Religionszugehörigkeit und Religiosität der Bürgerinnen und Bürger wird von Öffentlichkeit und Politik wenn nicht ausschließlich im Modus des Konflikts, so doch zunehmend in der Alternative zwischen politischer Konfliktverschärfung einerseits und gesellschaftlicher Koexistenz-, Integrations- und Kohärenzförderung andererseits wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Vereinbarkeit religiöser und säkularer Überzeugungen mit dem Wertekanon der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Ziel des Vorhabens ist es, einen ersten Beitrag zur Etablierung einer empirischen Religionspolitologie auf der Grundlage des theoretischen Konzepts der Religionspolitologie zu leisten, um darauf aufbauend eine repräsentative empirische Befragung der Bevölkerung Deutschlands durchzuführen.
Die Entwicklung eines Konzepts der empirischen Religionspolitologie dient der Aufgabe, Antworten auf u.a. folgende aktuelle Fragen zu finden:
Fragefeld 1:
Religiöse oder (vermeintlich) areligiöse Existenzdeutungen des Menschen
Welche Formen des Glaubens und der Säkularität gibt es und wie verbreitet sind sie?
Überwiegen heute innerweltliche oder außerweltliche, inklusiv-universale oder exklusive Glaubensformen? Glaubt man eher an die Gleichheit der Menschen, Kulturen und Gesellschaften vor Gott oder überwiegen national- oder völkisch-religiöse Glaubensformen? Wie verbreitet sind anthropomorphe, soziomorphe oder physiomorphe Formen von Religiosität? Nehmen Phänomene der Selbstvergottung, der Divinisierung der Gesellschaft und naturalisierte Gottesvorstellungen zu oder überwiegen transzendente Gottesvorstellungen?
Wie verbreitet sind Transzendenzskepsis, Areligiosität oder gar Anti-Religiosität?
Welche Grundformen von Säkularität gibt es heute? Steht eher der Mensch, die Gesellschaft oder die Natur im Mittelpunkt säkularer Überzeugungen?
Fragefeld 2:
Religiosität und das Bewusstsein von gesellschaftlicher Ordnung sowie Religiosität und das Bewusstsein von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschen
Welche politischen Wertevorstellungen korrelieren mit verschiedenen Glaubensformen und säkularen Weltdeutungen? Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede gibt es? Welche Unterschiede im Hinblick auf politische Einstellungen und Ziele sind zwischen Juden, Muslimen, Christen, Postkonfessionellen und Säkularisten feststellbar?
Welche gesellschaftspolitischen Güter- bzw. Werteorientierungen dominieren: wirtschaftliche, soziale, politische oder religiöse? Werden Prioritäten und Rangordnungen inklusiv oder exklusiv gesetzt? Werden Pluralität, Eigenständigkeit sowie Relativität verschiedener Werte berücksichtigt oder nicht? Ist eine im Geiste der pluralen Werte der Verfassung gelebte und diese tragende Kultur vorherrschend oder besteht die Gefahr eines ökonomischen (oder sozialen etc.) Reduktionismus oder eines religiösen Fundamentalismus? Wird die relative Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der politischen Sphäre von Gläubigen anerkannt? Werden wirtschaftlicher Wohlstand und Sicherheit als materielle Grundlage und Basis für ein politisch selbstbestimmtes und religiös freies Leben erstrebt oder besteht die Gefahr, dass das Streben nach geistigen Werten und Bildung dem Streben nach materiellem Wohlstand und Besitz untergeordnet wird? Werden bei einer idealistischen Güterorientierung die materiell-ökonomischen Werte ausgeschlossen oder werden diese nur zurückgestuft, ohne dass deren Eigenständigkeit aufgehoben wird?
Inwiefern sind einerseits religiöse, andererseits säkulare Überzeugungen mit dem Wertekanon der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar? Führt der Glaube zum Werterelativismus und Areligiosität zur Verabsolutierung spezifischer Werte, oder vice versa? Ist der muslimische Glaube mit dem Grundgesetz vereinbar oder verstößt er gegen den Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau?
Erhöhen die Pluralisierung, Differenzierung und Fragmentierung der Religionen eher das Koexistenz- oder Konfliktpotential unter Gläubigen und zwischen ihnen und Säkularisten? Welchen Einfluss haben postkonfessionelle Formen der Religiosität auf die politischen Einstellungen der Bürger?
Gibt es eine Marginalisierung der Volks- bzw. etablierten Kirchen? Führt Glaubensverlust zu gesellschaftlicher Entsolidarisierung, zu Individualismus und Egoismus oder zu Kollektivismus und Naturalismus? Führt die Geltungskrise der christlichen Kirchen über eine Pluralisierung der Religion zur Entstehung einer neuen Zivil- oder Bürgerreligion in Deutschland?
Sind die typischen Spaltungslinien in unserer Gesellschaft im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger eher nach der Unterscheidung säkular und religiös oder sozial und ökonomisch kodiert? Werden die politischen Konflikte der Zukunft eher als religiös, sozial oder ökonomisch bestimmt wahrgenommen? Besteht nach Meinung der zu Befragenden die Gefahr, dass es zu Konflikten zwischen Säkularisten und Fundamentalisten kommt?
Wie verbreitet sind national-religiöse Vorstellungen unter verschiedenen Konfessionen und Glaubensrichtungen? Sind Zusammenhänge zwischen national-religiösem Extremismus und säkular bedingter Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie feststellbar?
Wie verbreitet sind Dispositive zur Gewaltbereitschaft in den verschiedenen Glaubensformen einerseits und den säkularen Überzeugungen andererseits? Steht uns ein neuer Kulturkampf zwischen laizistischen Scharfmachern und religiösen Eiferern bevor? Neigen eher Anhänger monotheistischer Religionen zur Gewalt oder eher Religiöse postkonfessioneller Prägung? Wann schlägt religiöser Fundamentalismus um in politische Gewalt? Führt in der Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger eher die Religion oder eher der Laizismus zu Gewalt? Führt religiöse Vielfalt zu einem Krieg der Religionen?
Welche Formen von politischer Religiosität gibt es? Sind diese eher konfessionell oder postkonfessionell bedingt? Begünstigt die Entkirchlichung und Enttheologisierung die Entwicklung „politischer Religionen“, wie wir sie aus dem vorigen Jahrhundert kennen? Oder verhindern Volkskirchen Konkurrenz? Geraten die neuen postkonfessionellen Formen von Religiosität in Konflikt mit dem Grundgesetz oder führen sie zur Ausbildung einer Zivilreligion oder transkonfessionellen Bürgerreligion, die die Werteordnung einer demokratischen Gesellschaft stabilisiert?
Inwieweit folgt die Politik dem gesellschaftlichen Wandel religiöser und säkularer Überzeugungen einerseits und den aus Religiosität bzw. Säkularität abgeleiteten Wertvorstellungen der Bürger andererseits in ihrem Handeln?
Kommt es zu einer Rekonfiguration der Politik entlang von religiösen Differenzen?
Steht uns ein Rekurs auf das christliche Abendland bevor? Gibt es überhaupt politische Herrschaftsansprüche der Religiösen?
Prof. (em.) Dr. Claus-E. Bärsch, Dietramszell
Laufzeit: 01/2015 - 12/2019
Projektleitung:
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz
KIBA: Kommunale Integration, Beschäftigung und Arbeitsmarkt – Interkulturelle Öffnung, Qualifizierung und strukturelle Ausrichtung von Verwaltung, Betrieb und Beruf / BMAS XENOS Integration und Vielfalt Modellprojekt
Im Rahmen des BMAS Bundesprogramms XENOS Integration und Vielfalt befasst sich das Modellprojekt KIBA Kommunale Integration, Beschäftigung und Arbeitsmarkt im Kontext der „Städtekooperation Integration.Interkommunal“ der Metropole Ruhr mit der praktischen Gestaltung der interkulturellen Ausrichtung dreier Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, die von der Qualifizierung (Essener Arbeit – Beschäftigungsgesellschaft) über die Vermittlung (Jobcenter Duisburg) bis hin zur Beschäftigung in KMU’s (VHS Dortmund) in einer Prozesskette am Arbeitsmarkt agieren.
Zielsetzung
KIBA befasst sich im Kontext der „Städtekooperation Integration.Interkommunal“ der Städte Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Mülheim a.d. Ruhr und Oberhausen in der Metropole Ruhr exemplarisch mit der praktischen Gestaltung der interkulturellen Öffnung, Ausrichtung und Qualifizierung dreier Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, die von der Qualifizierung (Essener Arbeit – Beschäftigungsgesellschaft) über die Vermittlung (Jobcenter Duisburg) bis hin zur Beschäftigung in kleinen und mittelständischen Unternehmen (VHS Dortmund/Öffnung KMU’s) in einer logisch aufeinander aufbauenden und sich ergänzenden Prozesskette unmittelbar am Arbeitsmarkt agieren, so dass KIBA Diversitykompetenzen und interkulturelle Karrieren von Beschäftigten mit wie ohne Zuwanderungsgeschichte an drei ausgewählten Orten fördern kann, die innerhalb der öffentlichen Verwaltungslandschaft für die berufliche Integration funktionell und symbolisch von herausragender Bedeutung sind, nicht zuletzt für Risikogruppen und benachteiligte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Methode und Meilensteine: Entwicklung, Erprobung und Ergebnissicherung
Der methodische Ansatz des Projekts KIBA stützt sich auf die langjährigen Erfahrungen des Antragstellers mit der Konzipierung und Leitung von interkulturellen Modellprojekten und empirisch gestützter Begleitforschung von kommunalen und regionalen Maßnahmen für interkulturelle Eingliederungs- und Lernprozesse in Stadtverwaltungen, die auf die nachhaltige Sicherung und Wirkung angelegt sind. Der Ansatz lässt sich als methodischer 3-Schritt übersichtlich darstellen:
(1) Empirische Analyse und Entwicklung geeigneter Projektmodule
Meilenstein 1: Diversity-Checks der Teilprojekte (Organisation – Personal – Außenauftritt)
Meilenstein 2: Führungskräfte-Feedback
Meilenstein 3: Evaluation bestehender Maßnahmen und Aufstellung eines Maßnahmeplans
(2) Erprobung von Maßnahmen und Modulen
Meilenstein 4: Durchführung der Maßnahmen
Meilenstein 5: Popularisierung von Diversity und Interkulturalität für Verwaltungen an der
Schnittstelle zum Arbeitsmarkt und zur Wirtschaft
Meilenstein 6: Dokumentation der Maßnahmen, inkl. Teilnehmer-Feedback
(3) Ergebnissicherung und Verbreitung
Meilenstein 7: Austausch im Projektverbund
Meilenstein 8: Verbreitung durch die Kooperationspartnerinnen
Meilenstein 9: Abschlussveranstaltung
Laufzeit: 05/2012 - 12/2014
Projektleitung:
Prof. Dr. Nicolai Dose
Ethnisierung von Religion und Kultur / BMFSFJ Modellprojekt Toleranz fördern-Kompetenz stärken
Hauptziel des Vorhabens ist die Entwicklung, Erprobung und Verbreitung eines neuen Präventionsangebots gegen religiös wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit, die durch ethnisierte Wahrnehmungsmuster hervorgerufen werden.
In Zeiten der Globalisierung und des world-wide-web sind zumindest die Vielfalt der (vermeintlich homogenen) Kulturen und Weltreligionen sowie ihre offenkundigen Unterschiede und Konflikte zwischen ihnen in den Fokus selbst lokaler Öffentlichkeiten gerückt. Befürchtet wird bis weit in die Wissenschaften hinein ein ‚Kampf der Kulturen’ (Huntington 1997) und neuerdings sogar ein ‚Krieg der Religionen’ (V. & V. Trimondi 2006), den es durch interkulturelle und interreligiöse Dialoge zu verhindern gelte. Mit der in den Medien wohl unvermeidlich verkürzten Redeweise werden ‚Kulturen’ und ‚Religionen’ zu Kollektivsubjekten erhoben, die kämpfen, glauben oder einen Dialog führen könnten.
Zwar bieten kollektive Wahrnehmungsmuster eine Reduktion von Komplexität und informieren über bestehende Differenzen zwischen ‚Kulturen’ und ‚Religionen’. Zugleich sind sie jedoch ein wesentlicher Bestandteil eben dieser Konflikte. Denn durch sie werden nicht nur die Unterschiede zwischen den Gläubigen in einer Religion und Menschen in einer Kultur weitgehend ausgeblendet, sondern auch die Gemeinsamkeiten von Menschen aus unterschiedlichen Kultur- und Glaubensgemeinschaften. Weil für immer mehr Menschen der Glaube an Gott zu einer Option unter vielen avanciert ist und an immer mehr Orten der Welt Menschen mit unterschiedlichen Glaubensformen und säkularen Weltsichten leben, gibt es indes sowohl Gemeinsamkeiten als auch Spannungen zwischen wie unter Gläubigen, Andersgläubigen und Nicht-Gläubigen. Kollektive Wahrnehmungsmuster führen also dazu, dass vermeintliche oder tatsächliche Differenzen zwischen Kollektiven als alleinige Begründung für komplexe Problemlagen herangezogen werden, die es nicht nur zwischen, sondern auch in ‚Kulturen’ und ‚Religionen’ gibt.
Kollektive Wahrnehmungsmuster, vor allem die Ethnisierung von Kultur und Religion, berühren längst auch das Miteinander vor Ort. Mentale und religiöse Differenzen führen insbesondere dann zu Konflikten, wenn sie durch (Kultur-)Nationalismen und ethnisierte Glaubenslehren fundiert werden. Dann kommt es zu einer polarisierenden Gegenüberstellung von vermeintlich Gläubigen und Ungläubigen, von säkularer und religiöser Kultur. Durch positive Selbst- und negative Fremdbestimmung werden national-kulturelle und ethnisch-religiöse, vermeintlich homogene Kollektivgemeinschaften und fundamental-dramatisierte Differenzen konstruiert. Auf diese Weise werden exklusive Zugehörigkeiten imaginiert, die leicht zu Diffamierung, Dämonisierung und Ausgrenzung führen. Vor allem an Orten wie Duisburg, in denen Gläubige, Andersgläubige und Menschen mit säkularer Orientierung aus verschiedenen ‘Kulturen’ und ‘Religionen’ leben, kommt es daher darauf an, zugleich Präventionsangebote gegen säkular als auch gegen religiös bedingte Formen von Fremden- und Deutschenfeindlichkeit zu entwickeln, die durch kollektive Stereotypen bzw. ethnisierte Wahrnehmungsmuster hervorgerufen werden.
Erstellung von Präventions- und Fortbildungsangeboten für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure gegen religiös wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus
Die Angebote werden gemeinsam mit und für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure erstellt, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind. Passgenaue Fortbildungskonzepte werden somit kooperativ erstellt. Mit der DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh wird überdies eine zweijährige Begleitfortbildung durchgeführt. Das Präventionsangebot richtet sich an alle Bevölkerungsgruppen, d.h. es wird für Menschen mit unterschiedlichen Glaubensformen und säkularen Weltsichten konzipiert. Auf handlungs- und erlebnisorientierte Weise will es ihnen Gelegenheit bieten, andere und sich selbst jenseits kollektiver Stereotypen und ethnisierter Wahrnehmungsmuster (z.B. ‚Deutsche’ vs. ‚Türken’,‚Muslime’ vs. ‚Christen’ oder ‚Gläubige’ vs. ‚Ungläubige’) als Personen mit unterschiedlichen oder ähnlichen Glaubensformen und säkularen Wertorientierungen wahrzunehmen. Auf der Grundlage ihrer Selbstdeutungen, d.h. unabhängig von Herkunft, Staatsan- und Religionszugehörigkeit, werden zudem aktuelle Konflikte in der Integrationsgesellschaft thematisiert und Regeln der Koexistenz für Gläubige und Religionskritiker (wieder)entdeckt und eingeübt. Weil kollektive Wahrnehmungsmuster und Identitäten implizit eine fragwürdige Antwort auf die Frage geben, wer wir sind, soll überdies explizit erarbeitet werden, was allen Menschen unserer Gesellschaft gemeinsam sein sollte und was besser nicht. Zu diesem Zweck werden die Grundwerte unserer Gesellschaft erörtert, die aufgrund ihrer Pluralität nicht nur spannungsgeladen sind, sondern aufgrund ihrer wechselseitigen Begrenzung auch Konfliktlösungspotentiale aufweisen.
Die Besonderheit des Fortbildungskonzepts besteht darin, dass nicht erst nachträglich Multiplikatorenschulungen durchgeführt werden, sondern bereits die Entwicklung des Angebots kooperativ erfolgt. Eine besonders intensive Zusammenarbeit wird mit der DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh stattfinden. Das Präventionsangebot und die Begleitfortbildung dienen als qualitätssichernde Grundlage einer kommunal und regional vernetzten Integrationsarbeit der Begegnungsstätte, die über die Projektlaufzeit hinaus in deren Regelstrukturen überführt und als Modell bundesweit übertragbar sein wird.
Modellhaftigkeit
Erstmals werden kooperativ im kommunalen Verbund von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in der Bildungs-, Begegnungs- und Integrationsarbeit tätig sind, Präventions- und Fortbildungsangebote gegen alle Formen von Extremismus aufgrund ethnisierter Wahrnehmungsmuster ─ also gegen säkular wie religiös bedingte Fremden- und Deutschenfeindlichkeit zugleich ─ entwickelt, erprobt und verbreitet.
Neu ist auch, dass zum ersten Mal ein muslimisch geprägter Ort der Bildung und Begegnung, die Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh, dabei im Mittelpunkt steht und zusammen mit religiösen und säkularen Bildungseinrichtungen der Kommune die Maßnahme entwickelt und erprobt. Besonderes Augenmerk wird also darauf gelegt, dass nicht nur der interreligiöse Dialog zwischen den Gläubigen, sondern auch das interkulturelle Gespräch mit den Nicht-Gläubigen und Religionskritikern gepflegt wird. Zum innovativen Gehalt zählt, dass eine Maßnahme zugleich gegen religiöse wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit entwickelt wird, und nicht beide gegeneinander ausgespielt werden. Die Ethnisierung von Religion – also der Glaube, dass nicht alle Menschen zum Volk Gottes gehören und nicht alle Menschen, Gesellschaften und Kulturen vor Gott gleich seien ─ gefährdet unser Miteinander jedenfalls eben so wie eine Ethnisierung von Kultur, Gesellschaft oder Wirtschaft, die interkulturelle Konflikte durch alleinige Verfolgung nationaler oder volkswirtschaftlicher Interessen hervorrufen. Ein Innovationsgehalt der geplanten Maßnahme besteht mit anderen Worten in dem Umstand, dass bestehende Übel weder in die Religion bzw. Religionen noch in Politik oder Wirtschaft allein verlegt werden, vielmehr säkulare (ökonomische, soziale und politische) wie religiöse Ursachen von Konflikten beachtet werden. Es ist ferner zu erwarten, dass die neuen Formen kommunaler Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Angeboten auch zu neuen Methoden der Bildung- und Begegnung von Gläubigen, Andersgläubigen und Nicht-Gläubigen genutzt werden. So kann durch die Vernetzung verschiedener Orte der Begegnung z.B. der gesamte Raum einer Kommune für die Arbeit genutzt werden, so dass neue erlebnisorientierte Formen der Begegnung quer zu kollektiven Zugehörigkeiten möglich sein werden. Obschon wir es bereits in der Vergangenheit so handhabten, ist unseres Erachtens eine empirisch gestützte Vorgehensweise nach wie vor innovativ.
Zielgruppen
Obschon Präventionsangebote für alle Bevölkerungsgruppen gegen religiös wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus aufgrund ethnisierter Wahrnehmungsmuster erstellt werden, bilden nicht diese selbst, sondern staatliche bzw. kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, die Hauptzielgruppe. Diese wurde schon bei der Konzipierung der Interessenbekundung bzw. des Antrags und somit bereits in die Vorphase des Vorhabens miteinbezogen. Wichtige Akteure der Hauptzielgruppe, zu der aus vorhergehenden Modellprojekten seit vielen Jahren erprobte und somit belastbare Kooperationsbeziehungen bestehen, werden sich von Projektbeginn an über alle drei Phasen des Vorhabens durch anteilige personale Mitarbeit beteiligen. Sowohl Entwicklung wie Erprobung als auch Verbreitung, Überführung in Regelstrukturen und Herstellung der bundesweiten Übertragbarkeit können daher in enger Zusammenarbeit mit der Hauptzielgruppe erfolgen.
Für unseren wichtigsten Kooperationspartner, die DITIB-Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh, ist zudem im Rahmen des Modellprojekts eine Teilzeitstelle vorgesehen. Mit ihr kann somit eine besonders intensive Zusammenarbeit erfolgen. Unter unseren Kooperationspartnern aus der Hauptzielgruppe besteht Konsens darüber, dass die Qualität und der Erfolg interreligiöser und interkultureller Bildungsarbeit in der Begegnungsstätte als muslimisch geprägter Ort der Begegnung im hohen Maße davon abhängen, ob und inwiefern deren Bildungs- und Integrationsarbeit in lokal und regional vernetzter Weise mit kommunalen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren erfolgt, die ebenfalls in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind. Von besonderer Bedeutung ist daher auch, dass die Bildungsholding der Stadt Duisburg, die in der Kommune für die Vernetzung aller Bildungspartner und die Entwicklung und Durchführung von ressortübergreifenden Bildungsprojekten zuständig ist, sich an der Entwicklung, Erprobung und Verbreitung des Vorhabens durch koordinierende Leitung und personale Mitarbeit beteiligt. Überdies werden auch Jugendliche und Erwachsene aus der Bevölkerung Duisburgs, über vom RISP in der Vergangenheit bereits wiederholt durchgeführte Befragungen hinaus, wiederum durch Tiefeninterviews in erster Projektphase und via Erprobung und Verbreitung in zweiter und dritter Projektphase in alle Etappen des Vorhabens direkt mit eingebunden.
Weitere Konkretisierung der Zielgruppen und Darstellung der Aktivierungsstrategie
Obschon im vorigen Abschnitt als Hauptzielgruppe des Vorhabens staatliche bzw. kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure definiert wurden, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, werden im Rahmen des Vorhabens letztlich doch Präventionsangebote gegen religiös wie säkular bedingte Formen von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus aufgrund ethnisierter Wahrnehmungsmuster erstellt, die sich potentiell an alle Bevölkerungsgruppen der Bundesrepublik Deutschland wenden. Grundsätzlich halten wir es zum Zwecke einer näheren Bestimmung dieser Zielgruppe bei interkulturellen und interreligiösen Maßnahmen sachlich für dringend geboten, hierfür auch interkulturelle und interreligiöse Kriterien heranzuziehen. Wichtige Kriterien zur näheren Bestimmung der Zielgruppe sind daher z.B. nicht soziostrukturelle Indikatoren wie Einkommen, Alter, Bildung, Geschlecht, Staatsan- oder Religionszugehörigkeit oder sonstige kollektive Wahrnehmungskategorien (wie Nationalität, Migrationshintergrund, Ethnizität etc.), sondern die konkreten Glaubens-, Selbstdeutungs- und Wertorientierungsformen der Bürgerinnen und Bürger. Wer eine Maßnahme gegen durch Ethnisierung und kollektive Wahrnehmungsmuster hervorgerufene Formen von religiöser wie säkularer Fremdenfeindlichkeit erstellen will, würde seine Absicht konterkarieren, wenn er seine Zielgruppe allein oder primär durch eben diese Kategorien zu erfassen suchte. Wir erstellen somit Präventionsangebote nicht in erster Linie für spezifische Einkommens-, Alters-, Bildungs-, Geschlechts-, Staats- oder Religionsgruppen bzw. für Menschen mit spezifischer kollektiver Zugehörigkeit, sondern Angebote für Menschen mit unterschiedlichen Glaubens-, Selbstdeutungs- und Wertorientierungsformen, unabhängig von kollektiven Selbst- oder Fremdzuschreibungen. Die Glaubens- und Selbstdeutungsformen, dies haben auch unsere bisherigen empirischen Befragungen gezeigt, kann man nicht schlicht auf soziostrukturelle Indikatoren oder kollektive Zugehörigkeiten zurückführen. Diese haben zwar einen Einfluss auf die Ausbildung der Glaubens- und Selbstdeutungsformen, determinieren diese jedoch nicht. Wir entwickeln also in erster Linie Präventionsangebote für Gläubige, Andersgläubige, Agnostiker, Atheisten und Religionskritiker, und nicht primär Angebote für soziostrukturell oder kollektiv näher bestimmte Gruppen.
Obschon wir uns in diesem Sinne also potentiell an alle gläubigen, andersgläubigen und nicht-gläubigen Bürgerinnen und Bürger wenden und Wert darauf legen, dass die Zielgruppe nicht in erster Linie soziostrukturell und kollektiv, sondern interkulturell und interreligiös heterogen zusammengesetzt sind, werden wir uns doch immer über unsere Kooperationspartner – und die Zielgruppen von deren Bildungs- und Integrationsarbeit – an konkrete Personen wenden. Über die interkulturell/-religiös nähere Bestimmung unserer Zielgruppe hinaus, die stets oberstes Kriterium bleibt, kann unsere Zielgruppe somit auch soziostrukturell näher beschrieben werden. So ist die soziostrukturelle Bevölkerungszusammensetzung in einem Integrationskurs, der von der VHS durchgeführt wird, eine andere als die Zielgruppe der Schulpsychologischen Beratungsstelle, die mit Lehrern, Eltern und Schülern einer oder mehrerer Schulformen zusammenarbeitet. Konkret wenden wir uns also an spezifische Zielgruppen unserer Kooperationspartner. Diese werden aktiviert, indem sie von Beginn an über Tiefeninterviews bis hin zur Erprobung der Maßnahme in alle Entwicklungsphasen der Maßnahme aktiv mit eingebunden werden. Dabei werden diese nicht nur durch das Bundesprogramm bzw. uns, sondern auch von unseren jeweiligen Kooperationspartnern angesprochen und zur aktiven Mitarbeit aufgefordert. Die empirisch-kooporative Entwicklung und die gemeinsame Erprobung und Entwicklung der Maßnahme stellt also unsere Aktivierungsstrategie dar. Eine nähere Beschreibung der Zielgruppe im Hinblick auf die Glaubensformen und Selbstdeutungen werden nicht zuletzt die Tiefeninterviews ermöglichen, die wir im Verlaufe des Vorhabens mit der Zielgruppe führen, um nähere Befunde über ihre unterschiedlichen Glaubens- und Selbstdeutungsformen sowie über kollektive Wahrnehmungsmuster gewinnen zu können. Dies wird im Rückgriff auf Forschungsansätze und –methoden der Religionspolitologie erfolgen (vgl. hierzu Bärsch, Berghoff und Sonnenschmidt: Wer Religion verkennt, erkennt Politik nicht – Perspektiven der Religionspolitologie, Würzburg 2005).
Kooperations- und Netzwerkpartner
Unsere Kooperationspartner (folgend: KP) sind sowohl staatliche als auch zivilgesellschaftliche Akteure aus Duisburg und Nordrhein-Westfalen, u.a.:
1. DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte an der Merkez- Moschee zu Duisburg-Marxloh,
2. „DuisburgBildung“ – Bildungsholding der Stadt Duisburg,
3. Referat für schulische Bildung der Stadt Duisburg,
4. Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg,
5. Volkshochschulen der Stadt Duisburg, Moers und Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten,
6. Referat für Integration der Stadt Duisburg,
7. Gesellschaft für Beschäftigungsförderung der Stadt Duisburg (GfB),
8. Evangelisches Familienbildungswerk Duisburg,
9. St. Peter und Paul, katholische Gemeinde zu Duisburg Marxloh,
10. Bildungswerk NRW des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB),
11. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW
12. Duisburger Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, Schüler und Eltern,
13. weitere Akteure, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, und deren Zielgruppen
Hauptziel der Kooperationen ist es, Präventions-Angebote mit und für die jeweiligen Zielgruppen der Kooperations- bzw. Projektpartner zu entwickeln, zu erproben und zu verbreiten. Hier sei bzgl. der Arbeitsstrukturen ergänzt, dass eine Steuerungsgruppe für KP gegründet wird, mit denen eine besonders intensive Kooperation erfolgt (KP 1-5, 7-10). Gemeinsam mit dem Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikbratung (RISP) übernimmt hier KP (2) eine koordinierende Leitungsfunktion. Zur Koordination werden ferner die Beiratssitzungen der Begegnungsstätte (KP 1) genutzt (u.a. mit KP aus 8, 9 und 12). Zudem werden Workshops zur Präsentation der Ergebnisse aus Phase 1 und 2 mit den KP durchgeführt. Eine Mitarbeit im Hinblick auf spezifische Arbeitspakete [siehe nächstes Kapitel 7), dort unterscheiden wir Phase 1-3 mit den Meilensteinen 1-13] erfolgt bei der konzeptionellen Entwicklung (Phase 1), bei der Erprobung (Phase 2) sowie bei der Verbreitung des Modellvorhabens (Phase 3) vor allem mit KP 1-10. Mit Blick auf die, für die Umsetzung des Projektes unabdingbare kommunal- und darauf folgende landespolitische Transfer- und Öffentlichkeitsarbeit wird kommunal vor allem die Mitarbeit des KP (6) sowie landesweit die von KP (1, 8-11) und deren Integration in Landesarbeitsgemeinschaften in Anspruch genommen. Die Zusammenarbeit mit den Partnern erfolgt somit über alle drei Phasen des Vorhabens. Nahezu alle 13 Meilensteine werden kooperativ erarbeitet.
Erfahrungsgemäß werden im Verlaufe des Vorhabens weitere Kooperationspartner hinzukommen.
Methoden/Projektmodule, Formulierung von Teilzielen und Meilensteine
A. Methodische Herangehensweise
Quantitative und qualitative Befragungen des RISP haben uns nicht nur gezeigt, dass ethnisierte Wahrnehmungsmuster unter allen Bevölkerungsgruppen in Duisburg sehr weit verbreitet sind. Tiefeninterviews haben uns vielmehr darauf aufmerksam gemacht, dass sie zugleich über weitaus komplexere Selbst- und Weltdeutungen verfügen. Sie weisen somit ungleich mehr Gemeinsamkeiten auf, als ihnen aufgrund ihrer kollektiven Wahrnehmungsmuster zunächst bewusst ist. Dies gilt es pädagogisch mit Teilnehmenden aus unterschiedlichen ‚Kulturen’ und ‚Religionen’ zu nutzen. Das Modellvorhaben gliedert sich inhaltlich wie zeitlich in drei Phasen:
B. Teilziele und Meilensteine
Teilziel 1: Empirisch-kooperative Entwicklung und Meilensteine 1-3:
Im ersten Projektjahr wird das Präventionsangebot „Ethnisierung von Religion und Kultur“ in enger Zusammenarbeit mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelt. Zu diesem Zweck werden ca. 15 Expertengespräche mit ihnen (MEILENSTEIN 1) und ca. 25 Tiefeninterviews mit Jugendlichen und Erwachsenen aus allen Bevölkerungsgruppen über ethnisierte Konflikte, Glaube und Selbstdeutung in der Integrationsgesellschaft geführt (MEILENSTEIN 2). Die Ergebnisse werden mit einem ersten Curriculumentwurf den Kooperationspartnern und der lokalen Fachöffentlichkeit innerhalb eines Workshops vorgestellt und erörtert (MEILENSTEIN 3).
Teilziel 2: Erprobung und Entwicklung der Fortbildungskonzepte und Meilensteine 4-8
Im zweiten Projektjahr werden modular aufgebaute Präventionsangebote für verschiedene, stets heterogen im Hinblick auf Glaubens- und Selbstdeutungsformen zusammengesetzte Altersgruppen und Akteure fertig gestellt (MEILENSTEIN 4) und im Team-Teaching mit drei verschiedenen Kooperationspartnern in ihren Einrichtungen mit ca. 20 ihrer Teilnehmenden erprobt (MEILENSTEIN 5a-c). Parallel dazu wird die Begleitfortbildung in der Begegnungsstätte mit Schulungen ehrenamtlicher Moscheeführer begonnen (MEILENSTEIN 6). Auf der Grundlage dieser Erfahrungen werden die Angebote überarbeitet (MEILENSTEIN 7) und drei Fortbildungskonzepte für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure entwickelt (MEILENSTEIN 8a-c).
Teilziel 3: Verbreitung, Überführung und Übertragbarkeit und Meilensteine 9-13:
Nach erster Erprobung der Angebote und Entwicklung der Fortbildungskonzepte dient das 3. Projektjahr der regionalen Verbreitung, der Vorbereitung der Überführung des Vorhabens in die Regelstrukturen der Begegnungsstätte über die Förderlaufzeit hinaus und der Herstellung der bundesweiten Übertragbarkeit einer kommunal vernetzten Bildungs- und Integrationsarbeit einer muslimisch geprägten Bildungs- und Begegnungsstätte. Zu diesen Zwecken werden zunächst zwei Fortbildungen mit jeweils 10 Teilnehmenden für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure durchgeführt (MEILENSTEIN 9a-b) und 10 weitere Durchgänge mit den zuvor Fortgebildeten und wiederum ca. 20 Teilnehmenden supervidiert und ausgewertet. (MEILENSTEIN 10a-j). Abschließend werden die Konzepte mit pädagogischer Anleitung schriftlich dokumentiert (MEILENSTEIN 11), gemeinsam mit der Begegnungsstätte ein Curriculum für die Überführung der Maßnahme in deren Regelstrukturen (MEILENSTEIN 12) und ein Fortbildungskonzept zur bundesweiten Übertragbarkeit erstellt (MEILENSTEIN 13). Zu diesem Zwecke werden wir inbesondere die landesweit agierenden Kooperationspartner und deren Erfahrungen nutzen.
Sicherung der Nachhaltigkeit und des Transfers
Die entwickelten und erprobten Präventions- und Fortbildungsangebote werden in die Regelstrukturen der Begegnungsstätte aufgenommen und dort über die Projektlaufzeit hinaus angeboten. Das Modellprojekt dient darüber hinaus durch die Begleitfortbildung, Vernetzung und kooperative Entwicklung von Maßnahmen mit anderen säkularen wie religiösen Bildungseinrichtungen in der Kommune der Qualitätssicherung der Integrationsarbeit der Begegnungsstätte. Zentrale Projektergebnisse werden extern in Kooperationsvereinbarungen, und intern im Leitbild, in Stellen- und Aufgabenbeschreibungen, Qualitätsstandards (z.B. bei Moscheeführungen) und Kompetenzregelungen etc. festgehalten werden. Auf diese Weise wird zunächst sichergestellt, dass das Projekt durch den wichtigsten Kooperationspartner über die Laufzeit hinaus fortgeführt wird. Selbstredend können und sollen die zu erstellenden Präventions- und Fortbildungsangebote auch von den übrigen Kooperationspartnern in ihr Regelangebot aufgenommen werden. Überdies soll die Zusammenarbeit aber auch dazu führen, dass künftig weitere Angebote zu jeweils aktuellen Themen gemeinsam entwickelt und durchgeführt werden können.
Das Modell der kommunalen Vernetzung eines muslimisch geprägten Ortes der Begegnung mit anderen Orten der Begegnung in einer Kommune, die sowohl religiös als auch säkular oder religionskritisch geprägt sind, ist darüber hinaus als Ganzes landes- und bundesweit auf andere Kommunen übertragbar. Das RISP und seine kommunalen Partner verstehen dies als ein Duisburger Leuchtturmprojekt, das landes- und bundesweit ─ und möglicherweise sogar weit darüber hinaus, wie internationale Besucher nicht nur aus der Türkei andeuten ─ von Bedeutung ist.
Transferstrategie
Von besonderer Bedeutung im Hinblick auf die Herstellbarkeit einer landes- und bundesweiten Übertragbarkeit des Modellvorhabens sind nicht allein die landesweit agierenden Kooperationspartner (10 und 11). Vielmehr sind auch viele unserer kommunalen Kooperationspartner Mitglied in landesweiten Organisationen bzw. in Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften. Zu unserer Transferstrategie gehört es daher, die Ergebnisse und Produkte unseres Modellvorhabens in diese Organisationen miteinzubringen und mit diesen gemeinsam realisierbare Transferstrategien zu entwickeln. Hierzu seien nur drei Beispiele genannt, die erfolgversprechende Ansatzpunkte für eine nachhaltige Transferleistung bieten:
1. Die DITIB-Begegnungsstätte zu Duisburg-Marxloh ist in den Gremien des DITIB Landes- und Bundesverbands vertreten, die somit Basisstrukturen für eine Übertragbarkeit des Duisburger Modells einer muslimisch geprägten, kommunal vernetzten Begegnungsstätte auf andere Kommunen bieten. 2. Die Zusammenarbeit nicht nur mit der VHS Duisburg, sondern auch mit VHS’en aus mittelstädtischen und ländlichen Gebieten, kann genutzt werden, um Strategien für die Übertragbarkeit in Regionen sicherzustellen, deren Bevölkerung möglicherweise zwar weniger im Hinblick auf konkrete Glaubens-, Selbstdeutungs- und Wertorientierungsformen, doch im Hinblick auf Zu- oder Nichtzugehörigkeit zu Glaubensgemeinschaften recht unterschiedlich zusammengesetzt sind. 3. Und nicht zuletzt können wir zum Zwecke des Transfers die Landesarbeitsgemeinschaft der Familienbildung in NRW nutzen. Das evangelische Familienbildungswerk in Duisburg, Mitglied dieser Landesarbeitsgemeinschaft und unseres Modellprojektes, hat zu diesem Zwecke bereits an einm landesweiten, vom Integrationsministerium NRW (ebenfalls Kooperationspartner) geförderten Projekt mitgewirkt, dass einen Praxisleitfaden zur interkulturellen Öffnung der Familienbildung erstellt hat. Unser Modellvorhaben, das dieser Öffnung der Familienbildung ein weiteres zentrales, interkulturell-interreligiöses Modul bietet, kann über diesen Kooperationspartner bereits auf etablierte Entwicklungspfade der Tranferarbeit zurückgreifen und diese nutzen.
Ferner hat das RISP zusammen mit Prof. Bärsch und Prof. Weidenfeld (CAP Uni München) bereits einen umfangreichen Antrag zu einer bundesweiten repräsentativen Bevölkerungsumfrage ausgearbeitet. Jenseits der Frage, ob man für oder wider eine Religion oder gar die Religion ist, wird mit dem religionspolitologischen Design dieser Befragung – was im Zeitalter der Mondialisierung von besonderer Bedeutung ist, da an immer mehr Orten der Welt Menschen mit unterschiedlichen Glaubensformen und säkularen Weltsichten leben und daher neue, interkulturelle und interreligiöse Regeln der Koexistenz finden müssen – erstmals in vergleichender Perspektive erfasst werden, wie Gläubige, Andersgläubige und Nicht-Gläubige einerseits und politische Entscheidungsträger andererseits das Verhältnis von Religion und Politik deuten und welche gesellschaftspolitischen Schlüsse sie hieraus ziehen. Weder Religion noch Religionskritik oder Säkularität werden dabei ausschließlich im Modus des Konflikts und eines erneuerten Kulturkampfes als Dispositive politisch oder religiös motivierter Gewaltbereitschaft wahrgenommen. Gefragt wird mithin zum ersten Mal sowohl danach, welche Inhalte des Glaubens als auch danach, welche Gehalte des säkularen Bewusstseins der demokratischen Kultur förderlich bez. abträglich sind. Erstmals soll zu diesem Zweck in vergleichender Perspektive erfasst werden, wie verbreitet einerseits religiöse Pathologien und andererseits säkulare Hybris sind. Beispielsweise kommt es gerade im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen der Integration darauf an, nicht isoliert die – möglicherweise nicht vorhandene – Verfassungsloyalität z.B. von Muslimen (vgl. hierzu Brettfeld/Wetzels 2007), sondern auch diejenige von Säkularisten zu erfassen. Erst in vergleichender Perspektive kann eine politische Gewichtung der Befunde vorgenommen werden, die sich nicht leichtfertig dem Vorwurf der Dramatisierung oder Verharmlosung aussetzt.
Die bundesweite Befragung wird somit empirische Befunde liefern, die wir ausgezeichnet zur bundesweiten Übertragbarkeit der Präventions- und Fortbildungskonzepte verwenden können, die im vorliegenden Modellprojekt entwickelt werden. Denn sie bietet nicht nur kommunal, sondern bundesweit eine empirische Grundlage für eine religionspolitologisch ausgerichtete Politikberatung und Bildungsarbeit. Insofern stellt auch dieses parallell verfolgte Vorhaben eine wichtige Kompenente unserer Transferstrategie dar.
Krumpholz, Peter / Schmidt, Alexander
Dokumentation Ethnisierung von Religion und Kultur
1. DITIB Bildungs- und Begegnungsstätte an der Merkez-Moschee zu Duisburg-Marxloh,
2. „DuisburgBildung“ – Bildungsholding der Stadt Duisburg,
3. Referat für schulische Bildung der Stadt Duisburg,
4. Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg,
5. Volkshochschulen der Stadt Duisburg, Moers und Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten,
6. Referat für Integration der Stadt Duisburg,
7. Gesellschaft für Beschäftigungsförderung der Stadt Duisburg (GfB),
8. Evangelisches Familienbildungswerk Duisburg,
9. St. Peter und Paul, katholische Gemeinde zu Duisburg Marxloh,
10. Bildungswerk NRW des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB),
11. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW
12. Duisburger Schulen, Lehrerinnen und Lehrer, Schüler und Eltern,
13. weitere Akteure, die in der Bildungs- und Integrationsarbeit tätig sind, und deren Zielgruppen
Laufzeit: 04/2011 - 03/2014
Projektleitung:
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz
Master-DUO Studienmodell für die Universitäten Danzig und Duisburg
Unter den veränderten Rahmenbedingungen, die mit der Implementierung der Agenda von Lissabon und der europäischen Neuordnung von Studienregelungen zum Bologna Prozess entstehen, hat die Forschungsgruppe mikom ein Master-DUO Studienmodell mit erweiterten internationalen Studienmöglichkeiten im Verbund mit den beiden Partneruniversitäten Danzig und Duisburg-Essen entwickelt und erprobt.
Unter den veränderten Rahmenbedingungen, die mit der Implementierung der Agenda von Lissabon und der europäischen Neuordnung von Studienregelungen zum Bologna Prozess entstehen, hat die Forschungsgruppe mikom ein Master-DUO Studienmodell mit erweiterten internationalen Studienmöglichkeiten im Verbund mit den beiden Partneruniversitäten Danzig und Duisburg-Essen entwickelt und erprobt.
Diese Neukonzeption bietet den teilnehmenden Studierenden die Möglichkeit, ihren auswärtigen Studienaufenthalt wie folgt zu planen und zu realisieren:
1. Bereits zu Beginn des ersten Masterstudienjahres können sie eine Förderung für die Teilnahme am Master-DUO Programm im Rahmen der beantragten DPWS-Förderung für die laufende „Erprobungsphase“ im Studienjahr 2010/11 ff. an den kooperierenden Universitäten Danzig und Duisburg-Essen beantragen.
2. Die Bewerber können sich jeweils im 1. und 2. Semester des Master-DUO Studiums auf einen einsemestrigen Auslandsstudienaufenthalt im 3. Semester an der Partnerhochschule mit entsprechenden Sprachkursen und durch ihre empfohlene Teilnahme am Zusatzstudium der ,,Interkulturellen Kommunikation / Cultural Studies“ vorbereiten.
3. Vom ersten MA-Studiensemester an lernen die Studierenden die für beide Partnerhochschulen vereinbarten Studien- und Prüfungsregelungen kennen und können dadurch ein Zusatzstudienprogramm ─ einschließlich des an beiden Partnerhochschulen vorbereiteten fachlichen Auslandsstudiums ─ auch für den integrierten Studienschwerpunkt Interkulturelle Kommunikation / Cultural Studies individuell gestalten.
4. Die im Master-DUO Studienprogranm integrierte Komponente der ,,Interkulturellen Kommunikation / Cultural Studies” wird bereits seit Beginn des ersten MA-Studienjahres, bei Bedarf gemeinsam mit Visiting-Professoren, in der heimatlichen Hochschule für alle dafür angemeldeten Studierenden eingeführt. Im daran anschließenden dritten Studiensemester wird dieser modularisierte Teil-Studiengang auch an der Gasthochschule studiert und mit einem besonderen Prüfungs-Zertifikat absolviert, das in den Master-Abschluss einbezogen wird; wobei auch ─ bei einer möglichen Themenwahl für die Master-Arbeit aus diesem Bereich ─ alle in- und ausländischen Studienleistungen berücksichtigt werden.
5. Die beschlossenen Rahmenvereinbarungen über die koordinierte Studienplanung für die Studierenden beider Partnerhochschulen über dieses variable Master-DUO-Studienmodell, dem sich nach erfolgreicher Evaluierung und Modell-Implementierung auch weitere europäische Universitäten im Netzwerk-Verbund wunschgemäß anschließen können ─ erhält durch die nunmehr gemeinsam ermöglichte Interkulturelle Studien-Komponente zusätzliche, wissenschaftlich begleitete Wahlmöglichkeiten lokaler Cultural Studies an der Gasthochschule unter vollständiger Anrechnung auf den Masterabschluss.
6. Demnach werden durch die nunmehr vorhandenen Wahlmöglichkeiten sowie durch die garantierte, im Studienaustausch zwischen beiden Partneruniversitäten geförderte Anerkennung der Interkulturellen Studienanteile und -abschlüsse auch erheblich erweiterte Berufseinstiegsmöglichkeiten im europäischen Kontext für die Studierenden geschaffen. Diese günstigen Chancen und Voraussetzungen gilt es in den kommenden Jahren während der Erprobungsphase zu realisieren und zu evaluieren.
Die projektverantwortlichen Dekane und Koordinatoren ─ Prof. Dr. Andrzej Ceynowa (Dekan an der Danziger Fakultät für Sprachwissenschaften), Prof. Dr. Erhard Reckwitz (Dekan an der UDE-Fakultät für Geisteswissenschaften) sowie Prof. Dr. Manfred Bayer in seinen Funktionen als Koordinator und Danziger Gastdozent ─ leiten im ständigen persönlichen Kontakt und im Einvernehmen mit ihren jeweiligen Hochschulpartnern das Kooperationsprojekt. Dieses kollegiale Leitungsteam ist auch für die empirische Evaluierung und für die curriculare Weiterentwicklung des Master-DUO Studienprogramms verantwortlich und stellt gemeinsam die hierfür notwendigen Förderanträge (u .a. im Einvernehmen mit der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung / DPWS).
Dadurch soll ─ nach einer mehrjährigen Erprobungsphase ─ die anschließende Implementierung nicht nur an beiden Hochschulstandorten gewährleistet, sondern auch die erwünschte Übertragbarkeit auf weitere Universitäten im europäischen Netzwerk-Verbund ermöglicht werden.
Mitarbeitende: Manfred Bayer (Projektleitung) Peter Krumpholz, Alexander Schmidt, Björn Ochs und Lukas Twardowski
Laufzeit: 01/2009 - 12/2012
Projektleitung:
Prof. Dr. Manfred Bayer
Ideenführer Europa: Reise nach Jerusalem, Athen, Rom und Paris - BMFSFJ/VIELFALT TUT GUT Modellprojekt
Das Modellprojekt Ideenführer Europa wird vom BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) im Rahmen des Bundesprogramms VIELFALT TUT GUT – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie gefördert.
Leitziel des Modellprojekts: Entwicklung eines kulturreligiösen Bildungskonzepts
Übergeordnetes Leitziel des Modellprojekts ist es, auf der theoretischen Grundlage der Religionspolitologie ein neues, empirisch gestütztes Bildungs- und Begegnungskonzept zu entwickeln, mit dem Ansätze der interkulturellen Pädagogik aufgegriffen und mit denen des interreligiösen Lernens didaktisch verknüpft werden. Das Bildungs- und Begegnungskonzept wird gemeinsam mit Jugendlichen und Lehrkräften entwickelt, erprobt und durch die Fortbildung von Pädagogen und die Publikation von Arbeitsmaterialien mit Arbeitsblättern verbreitet. Letztere werden so gestaltet, dass der Ideenführer Europa ohne zusätzliche Vorbereitungszeit von Pädagogen in der schulischen und außerschulischen Jugendbildung eingesetzt werden kann.
Download: Bildungs- und Begegnungskonzept Ideenführer Europa
Mit dem Ideenführer Europa wird erstmals ein kulturreligiöses Bildungs- und Begegnungskonzept entwickelt, dass religiöse und religionskritisch eingestellte Jugendliche anregt, sich sowohl über die Vor- und Nachteile verschiedener Glaubensformen als auch über die Stärken und Schwächen von säkularen Selbstdeutungen auszutauschen. Unabhängig von Herkunft, Staatsan- und Religionszugehörigkeit wird ihnen deshalb auf kognitiv und emotional abwechslungsreiche Art und Weise Gelegenheit geboten, sich zunächst untereinander und anschließend mit lokalen Persönlichkeiten aus Religion, Politik, Kultur und Arbeitswelt über die kulturelle Bedeutung von Glaube und Säkularität für das interkulturelle und interreligiöse Mit-, Neben- oder Gegeneinander vor Ort auszutauschen.
Auf diese Weise trägt das Modellprojekt nicht zuletzt dazu bei, dass Jugend-liche die Attraktivität und die Integrationsstärke Europas entdecken. Daher steht die Idee einer wechselseitigen Ergänzung wie Begrenzung von weltlicher und religiöser Orientierung im Mittelpunkt, die im gegenwärtigen Prozess der globalen Begegnung und Durchdringung der Religionen und Kulturen an Aktualität gewonnen hat. Hängt die Frage nach einer ethischen Grundlage für ein interkulturelles und interreligiöses Miteinander doch vor allem davon ab, ob es zu einer polyphonen Korrelationalität von Vernunft und Religion, säkularen Weltsichten und der Vielfalt der Glaubensformen kommt. Es kommt darauf an, gegenwärtige Pathologien der Religiosität und Hybris oder Fatalität bei säkularen Weltanschauungen gleichermaßen zu erkennen. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Selbstdeutungen und Wertorientierungen sollen Jugendliche und junge Erwachsene deshalb die Vielfalt und Spannungshaftigkeit der europäischen Prinzipien und die Werte des Grundgesetzes kennen lernen. Denn nur sofern diese als ideale Maßstäbe und Ordnung der eigenen Lebensziele wahrgenommen werden, können sie auch lebensweltnah Orientierung bieten und einen neuen Umgang mit kulturreligiösen Konflikten eröffnen, die aus einer Ablehnung, unreflektierten Hinnahme oder Dramatisierung religiöser oder säkularer Differenzen resultieren.
Zur Idee Europas gehören Jerusalem, Athen, Rom und Paris. Als ideelle Orte des Glaubens, der Vernunftkultur, der Politik und der Aufklärung versinnbildlichen diese vier Städtenamen symbolisch die Spannungen zwischen religiöser, wissenschaftlicher, politischer und sozialer Lebensweise. Durch gedankliche Ausflüge in die europäische Ideenwelt und konkrete Reisen zu Persönlichkeiten und Orten, von und an denen heute in unmittelbarer Umgebung der Jugendlichen die verschiedenen Formen des Glaubens ausgeübt, Kultur betrieben, Politik gemacht und soziale Fragen erörtert werden, sollen sie die Spannungen innerhalb und zwischen idealen und konkreten Orten kennen lernen. Durch die Begegnungen sollen sie zudem Einblicke erhalten, wie im öffentlichen Raum um Macht und Einfluss und damit zugleich um die ideale Rangordnung von Glaube und Wissen, Kunst, Politik und Wirtschaft gestritten wird. Pädagogisches Leitziel des Modellprojekts ist es, Jugendlichen vor Augen zu führen, dass es in und zwischen Religionen, Kultur, Politik und Arbeitswelt immer auch um die richtige Lebensweise, die Ziele, Zwecke, Güter und Werte des Lebens und deren Rangordnung bzw. um die Frage geht: Wie soll ich leben? Indem im öffentlichen Raum für, mit und von Jugendlichen kontrovers über die Vor- und Nachteile von unterschiedlichen Glaubensformen und Weltsichten, Wertorientierungen und Lebensweisen für das gesellschaftliche Miteinander gestritten wird, soll mit dem Modellprojekt ein Beitrag dazu geleistet werden, dass die europäischen Prinzipien und Werte des Grundgesetzes von Jugendlichen als ideale Maßstäbe und Rangordnung ihrer eigenen Lebensziele wahrgenommen werden können.
Handlungskonzept des Ideenführer Europa
Bei der Entwicklung, Erprobung und Verbreitung des kulturreligiösen Bildungs- und Begegnungskonzepts Ideenführer Europa stehen stets die empirisch zu ermittelnden Selbst-, Gesellschafts- und Weltdeutungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Mittelpunkt. Diese – und nicht kollektive Zugehörigkeiten – bilden den Ausgangs- und Angelpunkt des Modellvorhabens.
Unter der Verknüpfung von Konzepten der interkulturellen Pädagogik mit Ansätzen des interreligiösen Lernens verstehen wir zudem in praktisch-topischer Hinsicht zunächst einmal schlicht, dass Menschen mit unterschiedlichen oder ähnlichen Selbstdeutungen – seien diese nun primär religiös oder säkular – pädagogisch angeregt werden, sich untereinander und mit anderen darüber auszutauschen, welche (kulturelle) Bedeutung ihre Religiosität (oder deren Negation) für ihr jeweiliges Bewusstsein von Mensch, Gesellschaft und Welt und damit auch für ihr kulturreligiöses Mit-, Neben-, Durch- und Gegeneinander hat. Daher kommt es uns nicht allein auf Form und Inhalt der Religiosität der Jugendlichen an, sondern vor allem auf die kulturelle Bedeutung ihrer Religiosität. Und es geht auch nicht allein um die kulturelle Bedeutung ihrer Religiosität, sondern zudem um die Bedeutung von Religionskritik, Areligiosität und Säkularität für ihr Miteinander. Entwickelt, erprobt und verbreitet wird somit eine kulturreligiöse und keine bloß religiöse, allein soziale, lediglich politische oder ausschließlich ökonomische Präventionsmaßnahme.
Indem wir Jugendliche unterschiedlichen Glaubens und solche, die auf eher auto-, sozio- oder physionome Weise säkular orientiert sind, untereinander und mit Erwachsenen ins Gespräch bringen, wollen wir auch, dass junge Erwachsene sich selbst und andere jenseits kollektiver Stereotypen und dichotomer Wahrnehmungsmuster (z.B. ‚Deutsche’ vs. ‚Türken’, ‚Muslime’ vs. ‚Christen’ oder ‚Gläubige’ vs. ‚Ungläubige’) erleben und kennenlernen, die sie leider allzu häufig ausbilden. Trotz dichotomer Selbst- und Fremdzuschreibungen anhand o.g. Differenzen weisen Jugendliche und junge Erwachsene – dies haben unsere Befragungen gezeigt – jedoch im Hinblick auf ihre konkreten Selbst-, Gesellschafts- und Weltdeutungen mehr Gemeinsamkeiten auf, als ihnen selbst bewusst ist. Dies gilt es pädagogisch zu nutzen.
Das Modellvorhaben gliedert sich dabei formal in drei Phasen und sieben Meilensteine:
Phase 1: Empirisch-kooperative Entwicklung
Zum Zwecke der Gewinnung von Pädagogen und von lokalen Persönlichkei-ten, die Orte des Glaubens, der Kultur, Politik und Arbeit repräsentieren, wurden zunächst Expertengespräche geführt (Meilenstein 1a). Um die Hauptzielgruppe von Beginn an aktiv in das Vorhaben einbinden zu können, wurden zudem narrative Interviews mit Jugendlichen realisiert. Dies geschah in Ergänzung zu der quantitativen Befragung zu ihren Weltdeutungen und Wertorientierungen, die das RISP bereits durchgeführt hatte (Meilenstein 1b). Die Ergebnisse der Interviews wurden zusammen mit einem ersten Curriculum-Entwurf ausgewählten Kooperationspartnern und der lokalen Fachöffentlichkeit vorgestellt und mit ihnen erörtert (Meilenstein 1c).
Phase 2: Curriculumentwicklung und Erprobung des Vorhabens
Auf der Grundlage der Experteninterviews, der quantitativen Befragung und der narrativen Interviews mit den Jugendlichen wurde im zweiten Jahr das kulturreligiöse Bildungs- und Begegnungskonzept Ideenführer Europa entwickelt (Meilenstein 2) und mit Jugendlichen und Lehrkräften erprobt und überarbeitet (Meilenstein 3).
Phase 3: Regionale Implementierung und Übertragung des Vorhabens
Das letzte Jahr dient nun der regionalen Umsetzung des Vorhabens, der Herstellung der Serienreife und der Vorbereitung der Weiterführung des Projektvorhabens über die Förderlaufzeit hinaus. Zu diesen Zwecken werden Fortbildungen mit Pädagogen durchgeführt (MEILENSTEIN 4), die bei ihrer ersten Durchführung der Maßnahme mit Jugendlichen begleitet und supervisiert werden (Meilenstein 5). Schließlich wird das Konzept IDEENFÜHRER EUROPA weiteren Bildungs- und Begegnungsstätten angeboten (Meilenstein 6) und mit pädagogischer Anleitung schriftlich dokumentiert und publiziert (Meilenstein 7).
Bayer, Manfred / Krumpholz, Peter
Cultural Diversity Inspiring International and Urban Education
Krumpholz, Peter
Methodenporträt des Modellprojekts IDEENFÜHRER EUROPA - Reise nach Jerusalem, Athen, Rom und Paris
Krumpholz, Peter
Zum Verständnis von Kultur unter der Perspektive von Philosophie und Religionspolitologie
Krumpholz, Peter
IDEENFÜHRER EUROPA: REISE NACH JERUSALEM, ATHEN, ROM UND PARIS. Ein kulturreligiöses Bildungs- und Begegnungskonzept für Jugendliche und junge Erwachsene
Volkshochschule Duisburg, lokale Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Bildung, Katholische und Evangelische Kirche, Bildungs- und Begegnungsstätte an der Merkez-Moschee
http://www.vielfalt-tut-gut.de/content/e4558/e4560/e5131/e4962/index_ger.html
Laufzeit: 01/2007 - 12/2010
Projektleitung:
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz
Internationale Stadt Mülheim an der Ruhr - Auf dem Weg zur transkulturellen Stadtgesellschaft / Begleitforschung
Interkulturelle Vernetzung und transkulturelle Vermischung
Dass Mülheim, wie andere Städte der Metropole Ruhr, längst zu einer internationalen Stadt geworden ist, lässt sich mittlerweile leicht an der Vielzahl internationaler Kontakte und der Vielfalt der Beziehungen der hier ansässigen Organisationen und der in Mülheim lebenden Menschen auf geschäftlicher, gesellschaftlicher und privater Ebene mit dem europäischen wie außereuropäischen Ausland erkennen. Dass im Verlaufe des vorigen Jahrhunderts nicht nur Weltstädte wie Berlin, Paris, London, Istanbul, New York oder Sydney, sondern auch die Mehrzahl der Groß- und Mittelstädte in metropolitanen Ballungsräumen international geworden sind und hierzu längst auch Mülheim an der Ruhr mit seinen kommunalen Besonderheiten im Ruhrgebiet zählt, mag daher inzwischen eine banale Feststellung sein: Jedenfalls ist das eine Tatsache, die im Zeitalter der Mondialisierung auch konservative, heimat- und traditionsbewusste Bürgerinnen und Bürger nicht mehr grundlos verschreckt. Ungeachtet des Umstands, ob sie nun seit vielen Generationen oder erst in jüngster Vergangenheit hier ansässig geworden sind. Oder ob sie nur – wie dies zukünftig immer häufiger und für immer mehr Menschen der Fall sein wird – vorübergehend und jenseits ihrer Familienbande und Freundschaftsstrukturen im Rahmen eines beruflichen Projekts, eines Praktikums im Ausland oder eines Auslandsaufenthalt im Kontext ihres Studiums hier bei uns leben werden.
Die Vielzahl und Vielfalt der internationalen Beziehungen führt allerdings nicht immer und keineswegs ohne zusätzliche Begegnungsformen, kulturelle Reflexion und neue Bildungsanstrengungen zu der Feststellung, dass diese Städte im 21. Jahrhundert auch im Hinblick auf die im Alltag habitualisierten Lebensstile und Kommunikationsformen ihrer Bevölkerung inter- und transkulturelle Städte sein werden.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass man, wie dies in der Vergangenheit oftmals der Fall war, der Vielfalt der multikulturellen Städte in der Einwanderungsgesellschaft wieder schlicht mit bloßem Misstrauen oder ungetrübter Begeisterung begegnet. Die real vorgefundene Vielfalt allein durch Toleranz und einen Dialog zwischen den Kulturen vermeintlich überbrücken zu können, reicht jedoch nicht aus. Vor allem dann nicht, wenn dabei die ‚Kulturen’ als solche unter Bestandsschutz gestellt und als in sich unveränderlich betrachtet werden. Erst recht wird man die Vielfalt – zum Ausgleich von sprachlichen, ökonomischen und sozialen Defiziten – nicht durch Integrationsbemühungen in eine vorgeblich homogene Nationalkultur wieder rückgängig machen können.
Ob künftig auch die Internationalität einer mittleren Großstadt als städtisches Entwicklungspotenzial erkannt wird, hängt deshalb in einem ganz entscheidenden Maße davon ab, dass sich die Einwohner dieser Städte im Hinblick auf ihr Miteinander mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen auch als Bewohner inter- und transkultureller Städte begreifen. Denn wohl erst dann wird man über die bisherigen politischen Gegensätze hinaus die internationale und multikulturelle Vielfalt in den Städten selbst primär als ein Potenzial betrachten können, das durch interkulturelle Vernetzungen und transkulturelle Vermischungen im Außen- wie im Binnenverhältnis innovative Lebensweisen, neue Partizipations- und Arbeitsformen, kreativen Unternehmensgeist und ideenreiche Marktzugänge aus sich selbst hervorzubringen vermag. Dies mag dann auch als eine adäquate Antwort auf die immensen Herausforderungen und sozialen Verwerfungen zu verstehen sein, die der Prozess der Mondialisierung und Europäisierung zweifelsohne gerade für die Kommunen mit sich bringt.
Begegnung und transkulturelle Bildung in Mülheim
Vier Jahre lang unterstützte und begleitete das RISP die Stadt Mülheim a. d. Ruhr auf ihrem Weg zu einer internationalen Stadtgesellschaft. Hier sei nur in praktischer Hinsicht kurz angedeutet, wie die Kommune und das Team „Internationale Stadt“ der Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe mikom damit begonnen haben, vor Ort die Voraussetzungen und Bedingungen zu verbessern, damit künftig die inter- und transkulturellen Kompetenzen insbesondere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Mülheim stärker als bisher gefördert werden können.
Zu diesem Zweck wurde zunächst eine Auftaktkonferenz zur „Internationalen Stadt Mülheim an der Ruhr“ in der Akademie „Die Wolfsburg“ im Februar vergangenen Jahres durchgeführt. Da die Internationalität künftig alle Bereiche der Gesellschaft, Dimensionen der Kultur und Ressorts der Politik betrifft, war es wichtig, dass zur Auftaktkonferenz auch Teilnehmende aus Mülheim gewonnen werden konnten, die internationale Erfahrungen aus ganz unterschiedlichen Betätigungsfeldern mit einbrachten, u.a. aus den Bereichen: Bildung, Kultur, Wirtschaft und Beruf, Zivilgesellschaft, Migration und Integration, Religion und Glaubensgemeinschaften sowie Jugendarbeit. Auf diese Weise konnten von den Teilnehmenden ressortübergreifende Entwicklungspfade für die Stadt Mülheim auf ihrem Weg zur internationalen Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts gesucht und auch gefunden werden, wobei die Förderung der interkulturellen Bildung als zentrales Aktionsfeld zukunftsträchtigen kommunalen Engagements identifiziert wurde. Die Kommunen wurden nicht zuletzt als wichtige Akteure im vereinten Europa der Bürgerinnen und Bürger identifiziert. Als interaktives Bindeglied zwischen den Institutionen dieser Europäischen Union und ihren Bürgerinnen und Bürgern tragen sie vor allem durch die Städtepartnerschaften zum zwischenmenschlichen Austausch und zur grenzüberschreitenden Begegnung bei. Die Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld hob auf der Konferenz hervor, dass seit dem EU-Reformvertrag von Lissabon die Städte, Gemeinden und Kreise als unverzichtbare Mittler zwischen den Menschen in der Europäischen Union gesehen werden. Sie betonte überdies, dass sich EU-Parlament, EU-Ministerrat und EU-Kommission darin einig sind, dass Städtepartnerschaften auf dem Weg zum vereinten Europa einen wichtigen Beitrag zur gelingenden Integration leisten, die notwendige interkulturelle Kompetenz durch Begegnung erwerben helfen und so eine europäische Identität herausbilden sollen, die das Friedensprojekt Europa dauerhaft zukunftsfest macht. Diese Aufgabe müssen wir auch und vor allem unseren jungen Menschen vermitteln: Am einfachsten geschieht das im Austausch mit anderen Jugendlichen – über Ländergrenzen hinweg.
Ein weiterer Meilenstein, um künftig inter- und transkulturelle Kompetenzen fördern zu können, war daher auch die internationale Berufsbildungskonferenz vom 07. bis 10. Mai 2009 in Mülheim. Ziel dieser Konferenz war es, die Mülheimer Berufsschulen mit denen der Partnerstädte intensiver zu vernetzen und den Praktikantenaustausch zu einer festen und regelmäßigen Insti-tution zu machen. Der Informationsaustausch für die Mülheimer Schülerinnen und Schüler soll auf internationaler Ebene erreicht, ein gemeinsames Lernen in Projekten ermöglicht sowie die interkulturelle Kompetenz gefördert werden. Die Teilnehmenden der Konferenz waren sich darin einig, dass zunächst eine gemeinsame Internetplattform zu schaffen ist, die von den Schulen und Unternehmen in den Partnerstädten als Praktikumsbörse und Informationsplattform für multilaterale Austauschprojekte genutzt werden kann. Alle Teilnehmenden erklärten überdies in einer gemeinsamen Abschlusserklärung ihre Bereitschaft, den Schüler-/Praktikantenaustausch zwischen den Partnerstädten zu einer festen und regelmäßigen Institution zu machen und gemeinsam Austauschprojekte für Lehrer, Schüler und Mitarbeitende aus Unternehmen mit dem Ziel zu entwickeln, die interkulturelle und sprachliche Kompetenz insbesondere von Jugendlichen zu verbessern und sie fit zu machen für die Anforderungen des europäischen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes.
Um es künftig bei internationalen Begegnungen im Rahmen von Städtepartnerschaften und Schüler-/Praktikantenaustauschen nicht bei schlichten Begegnungskonzepten zu belassen, ist es allerdings erforderlich, dass diese durch inter- und transkulturelle Bildungsmodule ergänzt werden. Es empfiehlt sich daher, bereits bestehende Bildungsprogramme aus der inter- und transkulturellen Pädagogik auf europäische Jugendaustauschprogramme zu übertragen.
Anknüpfungspunkte hierzu bietet das transkulturelle Begegnungs- und Bildungskonzept „Ideenführer Europa“, das zurzeit von uns (RISP) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Programms „Vielfalt tut gut“ entwickelt wird. In Zusammenarbeit mit dem Team „Internationale Stadt“ der Stadtverwaltung Mülheim und der Gustav Heinemann Gesamtschule – Europaschule in NRW – wurde das von uns entwickelte Curriculum inzwischen von Schülerinnen und Schüler der Klasse 11 und ihrer Lehrerin Frau Mewenkamp in diesem Frühjahr erfolgreich erprobt. Es ist geplant, die Module dieses Curriculums künftig auch in Austauschprogramme und internationale Projekte mit Schulen aus europäischen Partnerstädten Mülheims zu integrieren.
Das Coaching des Jugendstadtrats und des Teams „Internationale Stadt“ der Stadtverwaltung hat zur Konzipierung des Vorhabens „Jugendstadtrat meets friends – Multilaterale Begegnung in 2010“ geführt. Im Jahr 2010 wird der Mülheimer Jugendstadtrat aus den Partner- und Cousinenstädten Mülheims Jugendstadträte oder interessierte Jugendliche einladen, sofern diese noch nicht über einen Jugendstadtrat verfügen. Auf einem mehrtägigen Kongress zum Thema „Politisches Engagement und europäisches Bewusstsein von Jugendlichen – Jugendstadtrat meets friends“ sollen Partizipationsmodelle von Jugendlichen aus den verschiedenen Ländern vorgestellt werden, Erwartungen Jugendlicher an Politik und EU sowie Mitwirkungsmöglichkeiten an europäischen Entscheidungen in der Jugendpolitik diskutiert werden. Ziel dieses Vorhabens ist es u.a., den interkulturellen Dialog zwischen den Jugendlichen zu fördern und in Europa Werbung für das Mülheimer Partizipationsinstrument „Jugendstadtrat“ zu machen.
Mitarbeitende: Manfred Bayer, Raphael Gareis, Peter Krumpholz, Björn Ochs und Alexander Schmidt
Kommunalverwaltung Stadt Mülheim an der Ruhr
Laufzeit: 04/2006 - 12/2010
Projektleitung:
Prof. Dr. Manfred Bayer
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz
Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation von jungen Migrantinnen und Migranten für den öffentlichen Dienst der Stadt Duisburg - BMBF/BQF Modellprojekt
Die Forschungsgruppe mikom war für die Gesamtkonzeption des Projekts und die Durchführung der Begleitforschung verantwortlich. Projektträger war die Stadt Duisburg, Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) und das Institut für Aus- und Fortbildung. Ziel dieses Modellprojekts, das vom BMBF im Rahmen des Bundesprogramms: Kompetenzen fördern – Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf gefördert wurde, war es, die Quote der städtischen Auszubildenden mit Migrationshintergrund nachhaltig zu erhöhen und Strukturen für die interkulturelle Öffnung der Verwaltung weiter zu entwickeln.
Der Zweck dieses Vorhabens war insofern ein zweifacher: Einerseits Jugendliche mit Migrationshintergrund für eine Ausbildung im öffentlichen Dienst zu motivieren, und andererseits den öffentlichen Dienst der Stadt Duisburg für Auszubildende und Mitarbeitende mit Migrationshintergrund interkulturell nachhaltig zu öffnen.
Das Modellprojekt gliederte sich in zwei Bereiche:
a) den Bereich der empirischen Analyse und
b) den Bereich der Weiterentwicklung, Evaluation und Erprobung konkreter Einzelmaßnahmen zur Erhöhung der Ausbildungsbeteiligung junger Erwachsener mit Migrationshintergrund und Förderung interkultureller Kompetenzen in der Stadtverwaltung.
Im Bereich a) stellte die Begleitforschung bei den Schüler-, Lehrer-, Eltern- und Expertenbefragungen (insgesamt ca. 1300 Befragte) folgende Leitfragen in den Mittelpunkt:
• Wie gut kennen Jugendliche mit Migrationshintergrund die Ausbildungsmöglichkeiten bei der Stadtverwaltung oder interessieren sich dafür?
• Bestehen bei diesen Jugendlichen Probleme im Hinblick auf die Anforderungen des kommunalen Einstellungsverfahrens und eine Ausbildung im Verwaltungssektor des öffentlichen Dienstes?
• Wird zielgruppengerecht um die Jugendlichen mit Migrationshintergrund geworben?
• Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang interkulturelle Kompetenzen?
Im Bereich b) widmete sich die Begleitforschung vor allem
1. der Evaluation von bereits eingeleiteten Fördermaßnahmen, um eine fortschreitende Qualitätsverbesserung und -sicherung zu erreichen; 2. einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Akteuren und den städtischen Einrichtungen im Rahmen der Weiterentwicklung von effektiven Informations- und Vernetzungsstrategien; 3. der gemeinsamen Entwicklung und Erprobung von passgenauen Maßnahmen für die Schülerschaft der Projektpartnerschulen und deren Eltern (u. a. Informationsveranstaltungen und Durchführung von Trainingstests); 4. der Optimierung des Personalmarketings für die Zielgruppe Jugendliche mit Migrationshintergrund, der Ermittlung des Weiterbildungsbedarfs für interkulturelle Kompetenzen und der Durchführung und Erprobung von interkulturellen Mitarbeiterschulungen in der Stadtverwaltung.Im Rahmen des Projektes ist es gelungen, mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund für eine Ausbildung im öffentlichen Dienst zu motivieren und gezielt vorzubereiten. Die Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist insbesondere im mittleren Dienst bei der Stadtverwaltung in Duisburg erhöht worden.
Laufzeit: Januar 2004 bis September 2006
Krumpholz, Peter / Bayer, Manfred / Pater, Elisabeth u.a.
Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation junger Migrantinnen und Migranten für den Öffentlichen Dienst der Stadt Duisburg - Abschlussbericht zum Modellprojekt
Projektträger war die Stadt Duisburg, Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) und Institut für Aus- und Fortbildung
Laufzeit: 01/2004 - 09/2006
Projektleitung:
Prof. Dr. Manfred Bayer
Interkulturelle Qualifizierung – BMWA/XENOS Modellprojekt für Multiplikatoren aus der beruflichen Bildung
Im Mittelpunkt dieses Modellprojekts, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Rahmen des XENOS Bundesprogramms Leben und Arbeiten in Vielfalt aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und der Stiftung Mercator GmbH (Essen) finanziell gefördert wurde, stand die Interkulturelle Qualifizierung und Beratung von Multiplikatoren aus Berufsschulen und der betrieblichen Aus- und Weiterbildung in der Region Duisburg. Zu diesem Zweck wurden auf der Basis von Experteninterviews, einer Literaturauswertung und der empirischen Befragung von 500 Berufsschülern aus Duisburg zu ihrer interkulturellen Praxis drei fächerübergreifende Module zur Vermittlung von interkultureller Kompetenz entwickelt.
Die Umsetzung der drei Module wurde anschließend durch die Schulung von Multiplikatoren aus der beruflichen Aus- und Weiterbildung erprobt. Durch die Dokumentation der Unterrichtsmodule wurde sichergestellt, dass künftig Ausbildende und Auszubildende mit wie ohne Migrationshintergrund durch gemeinsames Lernen und Arbeiten Konflikte mindern können, die aus der Ablehnung, unreflektierten Hinnahme oder Fundamentalisierung kultureller Vielfalt resultieren. Darüber hinaus wurde ein Mobiles Beratungsteam gegründet, dessen Aufgabe es war und noch ist, Akteure des interkulturellen Dialogs zu beraten und Begegnungsprojekte zur Förderung interkultureller Kompetenzen zu initiieren und zu begleiten. Seit dem Jahre 2002 ist die Forschungsgruppe mikom daher u. a. im Beirat der DITIB-Begegnungsstätte in der neuen Moschee an der Warbruckstraße in Duisburg-Marxloh tätig.
Prof. Dr. Claus-E. Bärsch, Prof. Dr. Manfred Bayer, Peter Krumpholz, Ursula Berretz, Nicole Schlette
Im Mittelpunkt dieses Modellprojekts, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Rahmen des XENOS Bundesprogramms Leben und Arbeiten in Vielfalt aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und der Stiftung Mercator GmbH (Essen) finanziell gefördert wurde, stand die Interkulturelle Qualifizierung und Beratung von Multiplikatoren aus Berufsschulen und der betrieblichen Aus- und Weiterbildung in der Region Duisburg. Zu diesem Zweck wurden auf der Basis von Experteninterviews, einer Literaturauswertung und der empirischen Befragung von 500 Berufsschülern aus Duisburg zu ihrer interkulturellen Praxis drei fächerübergreifende Module zur Vermittlung von interkultureller Kompetenz entwickelt.
Die Umsetzung der drei Module wurde anschließend durch die Schulung von Multiplikatoren aus der beruflichen Aus- und Weiterbildung erprobt. Durch die Dokumentation der Unterrichtsmodule wurde sichergestellt, dass künftig Ausbildende und Auszubildende mit wie ohne Migrationshintergrund durch gemeinsames Lernen und Arbeiten Konflikte mindern können, die aus der Ablehnung, unreflektierten Hinnahme oder Fundamentalisierung kultureller Vielfalt resultieren. Darüber hinaus wurde ein Mobiles Beratungsteam gegründet, dessen Aufgabe es war und noch ist, Akteure des interkulturellen Dialogs zu beraten und Begegnungsprojekte zur Förderung interkultureller Kompetenzen zu initiieren und zu begleiten. Seit dem Jahre 2002 ist die Forschungsgruppe mikom daher u. a. im Beirat der DITIB-Begegnungsstätte in der neuen Moschee an der Warbruckstraße in Duisburg-Marxloh tätig.
Laufzeit: 2002 bis 2005
Mitarbeitende: Prof. Dr. Claus-E. Bärsch, Prof. Dr. Manfred Bayer, Peter Krumpholz, Ursula Berretz, Nicole Schlette
Laufzeit: 08/2002 - 07/2005
Projektleitung:
Prof. Dr. Manfred Bayer
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz
BMWA & ESF
Students as Journeymen between Communities of Higher Education and Work / EU Research Project FP5
Gegenstand dieses Projekts war die Erforschung der Beziehungen zwischen Kultur, Hochschulbildung und Berufswelt sowie die empirische Erfassung des Stellenwerts universitärer Lernkulturen für den erfolgreichen Übergang vom Studium ins Berufsleben. Inhaltlich standen somit Berufsperspektiven und Fragen des Kompetenzerwerbs für künftige akademische Tätigkeitsfelder im Mittelpunkt.
Zu deren Erfassung wurden je 90 Interviews pro Land, das heißt insgesamt 360 Intensivinterviews mit Hilfe von strukturierten Frageleitfäden an den vier beteiligten Universitäten Danzig (PL), Duisburg (D), Linköping (S) (Projektkoordination) und Oslo (N) durchgeführt. Ferner wollten wir herausfinden, wie Studierende und akademische Novizen ihre Lernumwelt während des Studiums und der beruflichen Tätigkeit begreifen sowie durch Praktika kennen- und beurteilen lernen. Es wurden qualitative Interviews mit Studierenden aus drei verschiedenen Studiengängen (Politikwissenschaft, Erziehungswissenschaft, Psychologie) durchgeführt, wobei jeder Studiengang in drei Kohorten unterteilt wurde.
Das Forschungsdesign des Journeymen–Projekts umfasste gleich strukturierte Interviews mit Studienanfängern und Absolventen in den drei genannten Studiengängen für jedes der vier am Projekt beteiligten europäischen Länder. Ermittelt wurde, welche vorberuflichen, sozialen und auch studienrelevanten institutionellen Bedingungen in diesen Studiengängen den Übergang ins Berufsleben beeinflussen. Die gewonnenen Ergebnisse der phänomenographischen Analysen wurden dann zum Gegenstand vergleichender Interpretationen unter Verwendung von diskursanalytischen und hermeneutischen Methoden. Komparative Analysen zwischen den unterschiedlichen Fachrichtungen und den partizipierenden vier Ländern wurden gemeinsam durchgeführt. Dabei wurden auch interkulturelle Einflüsse berücksichtigt, die das Verständnis von Bildung in Bezug auf die künftige Berufstätigkeit prägen.
Die wichtigsten Ergebnisse der deutschen Teiluntersuchung lassen sich exemplarisch an den Befunden der Befragungen im Fach Psychologie darstellen: Bezüglich der Unterschiede zwischen Anfängern und Absolventen lassen sich gravierende Diskrepanzen hinsichtlich der jeweils angestrebten Tätigkeitsfelder feststellen: Während die Studienanfänger großes Interesse an der klinischen Psychologie äußern, lehnt die Mehrzahl der befragten Absolventen diese Ausrichtung ab und bevorzugt statt dessen andere Tätigkeitsfelder der Psychologie, wie zum Beispiel wissenschaftliche Forschung, Bildungsarbeit an Schulen oder in der Erwachsenenbildung.
Ausgehend von der Frage, wie Studierende einen Zugang zu dem Theorie-Praxis-Verhältnis finden, lassen sich drei Grundpositionen identifizieren:
a) Praxiserfahrungen sollen ausschließlich durch die Universität vermittelt werden (ohne persönliche Initiative der Studierenden),
b) Praxiserfahrungen können auch durch wissenschaftliche Tätigkeiten innerhalb des Universitätsbetriebes erworben werden und
c) handlungsrelevanter Praxiserwerb findet hauptsächlich durch außeruniversitäre Tätigkeiten in Eigenregie statt (professionelle Nischen).
Hinsichtlich der Identitätsbildung wurden vier Stadien identifiziert, die bei vielen Studierenden zu unterschiedlichen Handlungsstrategien zur Bewältigung eigener Identitätskrisen führten:
1. Eine intellektuelle und formale Anpassung an die vorgegebenen Studienstrukturen sowie die anschließende Berufstätigkeit.
2. Eine persönliche Abkehr vom Fachstudium bzw. sogar Studiengangswechsel mit der Tendenz zu eigener Resignation in der Rolle als Studierender.
3. Die Ausformung einer ‘split identity’, um neue berufs- oder handlungsrelevante Nischen zu finden, die eine befriedigende Selbstverwirklichung erlauben.
4. Darüber hinaus wird der angestrebte Studienabschluss mit möglichst geringem Aufwand absolviert.
In der Gruppe der Politikwissenschaftler entwickelte sich zwischen den Stadien der Studienanfänger und Absolventen eine deutliche Differenzierung bzw. Profilierung hinsichtlich der Auffassung von Studierverhalten und Wissenserwerb in drei Phasen:
1. Vom Konsumentenverhalten zur Reproduktion von Wissen.
2. Vom reinen Wissenserwerb zur Wissensvermittlung und
3. vom willkürlichen Lernen von Detailkenntnissen zu ganzheitlichem, reflektiertem Lernverhalten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass für Studienanfänger neben diffusen Berufsvorstellungen stärker die Perspektive einer politischen Karriere im Vordergrund steht, während bei den Absolventen eher soziales Engagement, selbstbestimmte Persönlichkeitsbildung und die Demokratisierung der Gesellschaft als Studienmotive betrachtet werden.
Krumpholz, Peter / Lababidi, Tarek / Bayer, Manfred / Dahlgren, Lars Uwe u.a.
Students as Journeymen Between Communities of Higher Education and Work - Journeymen - Final report
Coordinator of project:
Linköping University Sweden
Lars Owe Dahlgren, Madeleine Abrandt Dahlgren, Håkan Hult, Helene Hård af Segerstad, Kristina Johansson
Partners:
University of Oslo, NO,
Gunnar Handal, Berit Karseth, Kirsten Hofgaard Lycke, Tone Dyrdal Solbrekke
University of Duisburg-Essen, DE, Manfred Bayer, Tarek Lababidi, Peter Krumpholz
University of Gdansk, PL, Tomasz Szkudlarek, Malgorzata Cackowska, Lucyna Kopciewicz, Maria Mendel, Astrid Meczkowska, Ania Struzynska
Laufzeit: 01/2001 - 10/2004
Projektleitung:
Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz